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The Midnight SkyGeorge Clooney feiert seinen Abschied vom irdischen Dasein

Lesezeit 5 Minuten

George Clooney als Dr. Augustine Lofthouse

Der graue Zauselbart könnte genauso gut einem altgedienten Weihnachtsmann gehören – der soll ja da oben am Nordpol zu Hause sein. Augustine Lofthouse lebt dort auch. Von Beruf ist er allerdings nicht Weihnachtsmann, sondern Wissenschaftler in einer Forschungsstation in der Arktis. Erst beim zweiten Blick ist George Clooney hinter dem Zottelbart zu identifizieren.

Im Netflix-Film „The Midnight Sky“ ist Clooney Hauptfigur, Produzent und Regisseur. Man könnte sagen: Es handelt sich um die erste Altersrolle des 59-jährigen männlichen Prachtexemplars, das zwei Mal zum „Sexiest Man Alive“ gekürt wurde und im Smoking so elegant aussieht wie einst Cary Grant.

Schleppenden Schrittes und mit grauem Gesicht bewegt sich Lofthouse im Holzfällerhemd durch die tristen Flure der Forschungsstation. Täglich muss er Pillen schlucken. Er hat Krebs und legt sich selbst jeden Abend ans Dialysegerät. Die Tage des Astronomen sind gezählt. Und die der Erde sind es auch.

Was genau passiert ist, bleibt ungewiss: Vom „Ereignis“ ist vage die Rede. Sieht man die kurz auf einer riesigen digitalen Weltkarte eingeblendeten, rot pulsierenden Krisenherde, fühlt man sich unwillkürlich an Corona-Hotspots erinnert.

Klar ist: Eine globale Katastrophe hat sich ereignet. Die Erde ist nicht länger bewohnbar. Es gibt allenfalls noch ein paar Rückzugsorte. Per Hubschrauber wird die Forschungsstation in größter Hektik evakuiert, Lofthouse bleibt freiwillig zurück.

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Er ist allein in der Station. Glaubt er jedenfalls. Dann entdeckt er Iris (Caoilinn Springall) unterm Küchenregal. Das schweigsame Mädchen muss im Chaos verloren gegangen sein. Oder hat es noch eine ganz andere Bewandtnis mit ihm?

Der Wissenschaftler kann niemanden auf Erden erreichen, und er hat noch ein Problem: Draußen im All reist ein Raumschiff zurück zur Erde. Auf einem Jupitermond hat die Besatzung einen Überlebensort für die Menschheit entdeckt – eine Welt voller Luft und Licht, die wie so vieles in diesem Film eher wie eine spirituelle Sphäre ausschaut. Lofthouse will die Astronauten warnen. Aber wie soll das funktionieren, wenn die eigene Antenne in der Station zu schwach und umgekehrt der Kontakt der Astronauten um Missionsleiterin Sully (Felicity Jones) und Kommandant Adewole (David Oyelowo) zu ihrem Heimatplaneten abgebrochen ist?

Der letzte Mann auf einer Arktisstation mit blinder Passagierin Iris (Caoilinn Springal)

Vieles lässt sich in diesen endzeitlichen Stoff packen: Ein Abenteuer im unwirtlichen Eis, wenn sich Lofthouse und Iris notgedrungen auf dem Schneemobil zu einer anderen Station aufmachen. Oder auch die Trauer über Verlust und Trennung, wenn die Raumfahrer die Hologramme ihrer unerreichbaren Familien aktivieren. In diesem Fall aber ist das Ganze weniger als die Summe seiner Teile.

Die Unmöglichkeit der Kommunikation ist hier das eigentliche Thema. Gelegentlich meinen wir, die Stille der Eiswelt und die des Alls zu vernehmen. „Ist da draußen jemand?“, spricht Lofthouse in sein Mikrofon. „Warum ist es so still?“, sinniert Kommandant Adewole im All.

Warten auf „Wonder Woman“ oder: Von der Sehnsucht nach dem Kino

Bitter ist das schon, wie jetzt alle ihre Sehnsucht nach dem Kino beteuern – und dann bei Streamingdiensten landen. George Clooney hat wissen lassen, dass er nicht glaube, dass das Kino vor dem Untergang stehe: „Wenn die Pandemie vorbei ist, können wir es doch kaum erwarten, alle wieder in die Kinosäle zurückzukehren.“ Gleichzeitig warb er dafür, Streaminganbieter als Chance zu sehen. „Mit Netflix habe ich großartige Arbeit gemacht.“ Die Plattformen böten viele Arbeitsmöglichkeiten für die Branche.

Gal Gadot (Foto) ist seit Mittwoch in den USA als „Wonder Woman“ auf Warners hauseigenem Streamingdienst HBO Max unterwegs – und zugleich weltweit im Kino. Wären die deutschen nicht dicht, wäre das auch hierzulande so. Keiner wisse, „wann die Menschen wieder regelmäßig in die Kinos gehen. Wir alle beten, dass der Zeitpunkt schnell wiederkommt, zumal ich fest an das Comeback der Kinos glaube“, sagt Gadot.

Allein Warner-Regisseur Christopher Nolan, der mitten in der Pandemie darauf beharrte, dass sein Film „Tenet“ im Kino startet, bleibt standhaft: „Einige der größten Stars in unserer Branche gingen neulich abends mit dem Gefühl ins Bett, für das großartigste aller Filmstudios zu arbeiten. Stattdessen arbeiten sie nun, wie sie beim Aufwachen feststellen mussten, für den schlechtesten Streamingservice“, sagte er. Er sieht die Kollegen und sich selbst von Warner als „Lockvogel“ missbraucht.

Einst hat Lofthouse für seine Forschung die Liebe seines Lebens aufgegeben, inklusive Tochter. Auch damals versagte er in Sachen Kommunikation. Immer wieder schweifen seine Gedanken in die Erinnerung ab.

Keinesfalls geht es hier darum, das Ende der Erde abzuwenden. Das Überleben steht nicht auf der Agenda. Überdurchschnittliche Kampfeskraft ist von dem ständig kotzend über der Toilette hängenden Astronomen nicht zu erwarten.

Einmal erspähen wir vom Raumschiff aus eine Projektion der Erde: Von unserem Lieblingsastronauten Alexander Gerst kennen wir den Planeten als wunderschöne blau-grüne Kugel. Hier hängt eine verfaulte, rauchige Orange im All.

Seine Freude am Weltraum hat Clooney in „Gravity“ (2013) entdeckt, als er mit Sandra Bullock unterwegs war. Alfonso Cuaróns Film war ein sinnliches Erlebnis und eine Verbeugung vor Klassikern wie Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Daran knüpft Clooney an. Momenteweise scheint das Raumschiff mit den Windmühlenflügeln mit sich selbst zu tanzen. Aber auch Augenblicke des Erschreckens müssen durchgestanden werden: Haben wir schon mal gesehen, wie sich Blut in der Schwerelosigkeit verhält, wenn es den Körper eines Menschen verlassen hat?

Zwischen ein paar wenigen Action-Einlagen bleibt Zeit fürs Meditative. Würde man den Film im Kino sehen, wäre das Gefühl für die Diskrepanz zwischen der Unendlichkeit des Universums und der Beschränktheit des Menschen vermutlich stärker. Auf dem kleinen Bildschirm bleibt manches behauptet – und ist auch nicht gefeit vor einem süßlichen Beigeschmack.

Netflix

„The Midnight Sky“, Regie: G. Clooney, mit : G. Clooney, Felicity Jones Clooney malt ein düsteres Zukunftsbild: Sein Film ist eine Science-Fiction-Parabel über das Überleben der Menschheit

Verstehen kann man, dass Familienvater und Umweltaktivist George Clooney Gefallen an der Romanvorlage „Good Morning, Midnight“ (2016) der US-Autorin Lily Brooks-Dalton gefunden hat. Und die Traurigkeit in seinem Film ist so groß, dass niemand auf den Gedanken kommt, auf einen zweiten Planeten zu hoffen, wenn wir denn den ersten endgültig zerstört haben.