Theaterprojekt„Kölner fühlen sich in einer Stadt wohl, die keine Wohlfühlorte hat“

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Szene aus einem Testlauf von „Utopolis“ 

Köln – Vor zehn Jahren haben Stefan Kaegi und Daniel Wetzel vom Theaterkollektiv Rimini Protokoll mit „100 Prozent Köln“ die ganze Stadt auf die Bühne des Schauspielhauses gestellt – vertreten von 100 Bürgerinnen und Bürgern, die hiesige statistische Verhältnisse repräsentierten.

Jetzt bringen die beiden Regisseure mit ihrem „auditiven Spaziergang“ „Utopolis“ das Theater in die Stadt, zerstreuen ihr Publikum auf 48 verschiedene Startpunkte in der Kölner City. „Da begrüßen dann Verkäufer aus einem Schuh-, Schirm- oder Filzladen die Gäste in ihren Geschäften“, erzählt Daniel Wetzel. „Diese Menschen aus dem Einzelhandel haben sich wahnsinnig gefreut, dass das Theater zu ihnen kommt.“ 

Sensationeller Schlusspunkt

Aus den Läden locken Stimmen die Besucher hinaus auf die Straßen der Stadt,  sie begegnen anderen Gruppen, finden sich an besonderen Orten zusammen – wo genau, wollen die Theatermacher nicht verraten, nur dass auch der Ratssaal eine Station sein sollte, was jedoch an den Covid-Bestimmungen gescheitert ist. „Aber dafür“, sagt Stefan Kaegi,  „wird es einen sensationellen Schlusspunkt geben, wo man über der Stadt sein wird.“ Bis dahin werden die Kleingruppen zu einer Versammlung angewachsen sein. Die vielen Stimmen aus den Lautsprechern  vereinen sich zu einem polyphonen Konzert aus Visionen für eine neue, bessere Stadt. 

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Denn darum geht es Rimini Protokoll. „Das Stück“,  sagt Daniel Wetzel, „möchte utopisches Denken triggern.“ Ihr eigener Denkprozess begann mit einem Buchrestaurator, der den Regisseuren ein Exemplar von Thomas Morus’ Gesellschaftsentwurf „Utopia“ aus der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek in die Hand drückte. Und einem Auftrag des Manchester International Festival. „In Manchester ist mit der Dampfmaschine und dem Manchester-Kapitalismus ein ganz neues Kapitel der Menschheitsgeschichte aufgeschlagen worden“, sagt  Wetzel, und Kaegi ergänzt:  „Andererseits war Manchester auch der Wohnort von Herrn Engels.“

Stadt als Wimmelbild

Schon im 18. Jahrhundert galt die Biene als Wappentier der Stadt, das fleißig arbeitende Insekt. „Die war“, sagt Kaegi, „als wir vor Ort recherchiert haben, überall präsent, weil sie nach dem Terroranschlag auf das Ariana-Grande-Konzert zum Zeichen geworden war. Viele Leute ließen sich die Biene als Solidaritätszeichen tätowieren. Uns interessierte die Bewegung, wie man in einer Gemeinde umeinander her schwirrt. Wie man aneinander vorbeiredet und wie das auch anders sein könnte. Das wollten wir in eine Choreographie überführen.“

Bis heute verändere sich die Stadt in rasendem Tempo, gerade wird das verlassene Stadtzentrum wieder besiedelt. Utopie sei dort jedenfalls ein positiver Begriff. Ganz anders in St. Petersburg, wo Rimini Protokoll als Nächstes mit „Utopolis“ haltmachten. „Da sagen die Hälfte der Leute: Utopie, nein danke, das hatten wir schon.“ 

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Und in Köln? Sei es auffällig, wie innig das Verhältnis der Bewohner zur Stadt ist. „Das ist hier echt speziell – ich weiß nicht, ob es das überhaupt irgendwo anders noch gibt“, sagt Kaegi, „dass die Leute sich so wohlfühlen in einer Stadt, von der sie sagen, sie hätte eigentlich keine Wohlfühlorte.“

Aber Platz für Utopien. Gerade jetzt, in Wahlkampfzeiten, sagt Wetzel,  gehe es doch ständig um das Denken von Modellen und Machbarkeiten. „Plötzlich kommen alle Parteien mit Klimaschutzprogrammen, in der Hoffnung, dass die nicht gelesen werden. Neben dem realpolitischen Denken gibt es aber noch ein anderes Denken, nämlich das utopische. Man denkt geradezu gegen die Machbarkeit an. Was wäre, wenn?“

Eine Frage, die am Anfang des Regie-Kollektivs stand, das wie kein zweites das deutschsprachige Theater der vergangenen 20 Jahre geprägt hat. „Mit Rimini Protokoll wollten wir über den Rand von Theater, wie es damals war, hinausschauen“, sagt Stefan Kaegi. „Ich kann nicht genau sagen, ob das eine Utopie von uns war, neben den klassischen schauspielerischen auch andere Spielformen zu etablieren, aber es ist mit uns und parallel zu uns geschehen. Auch andere haben Lust bekommen, Menschen aus der Stadt auf die Bühne zu holen.“  Gelebte Stadttheater-Utopie: Die Stadt  spielt sich selbst.

„Utopolis“ feiert am 15.9. Kölner Premiere. Weitere Termine: 17., 21., 23., 30. 9.  Infos und Tickets unter www.schauspiel.koeln

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