Theaterstück über Shoa-ÜberlebendeIhr Vater hielt sich für König David

Lesezeit 3 Minuten
Auf dem Bild sieht man Schauspielende, die große Pappmascheeköpfe tragen. Die drei Darsteller haben die Arme in einer dynamischen Geste ausgestreckt, zwei von ihnen ballen dabei die Hände zu Fäusten.

Szene aus der Theater-Performance „Mein Vater war König David“

„Mein Vater war König David“ erzählt eine jüdische Familiengeschichte, die eine Kölner Schauspielerin erst in dritter Generation aufdeckte.

Wenn Lara Pietjou, Mitglied im Ensemble des Kölner Analog-Theaters, gefragt wird, was ihre Jugend geprägt hat, fällt die Antwort auf den BVB. Nach dem Ruhrpott-Verein waren es die Jungs von „New Kids on the Block“, die sie in jungen Jahren auch begeisterten. Die Geister ihrer eigenen Familie blieben da lange im Hintergrund.

Erst nach dem Tod des Vaters fand sie in dessen Nachlass Zeugnisse über ihre jüdische Abstammung und ihre Vorfahren zur Zeit des Dritten Reichs. In einem Videointerview, das sie für Steven Spielbergs Shoa-Foundation gab, berichtete ihre Großmutter über den Tod von Laras Urgroßvater in Auschwitz und wie sie selbst den Holocaust in einem Versteck überlebte.

Performance des Analog-Theaters „Mein Vater war König David“

Drei Generationen, heißt es, braucht es, bis bei einem Trauma Hoffnung auf Heilung besteht. „Mein Vater war König David“, die neue Performance-Arbeit des Analog-Theaters, unter der Regie von Daniel Schüßler, beschäftigt sich damit, was mit den Menschen auf dem Weg dorthin passiert. „Über Identität, Familie und das Ich in der Zeit“ lautet der Untertitel der Arbeit, die mit performativen Mitteln Laras vergrabene Familiengeschichte ans Licht rückt.

Als Prolog zum eigentlichen Stück erzählen, in auf weiße Fahnen projizierten Videoinstallationen, jüdische Menschen aus Deutschland, wie sie selbst auf höchst unterschiedliche Weise den Zwiespalt einer doppelten Identität erlebt und verarbeitet haben. Wie in einem Museum durchschreitet das Publikum den Saal, den die auf zahlreichen Ständern gehissten Fahnen in ein fluides Labyrinth verwandeln.

Mit Ausschnitten aus dem Shoa-Interview der Großmutter setzt dann ein Aufräumen an: die vier Performer Lara Pietjou, Dorothea Förtsch, Ingmar Skrinjar und Hanna Held klappen die raumgreifenden Fahnen zusammen und langsam eröffnet sich für den Betrachter ein Theaterraum, in dem die biografischen Wege der Familie von Lara Pietjou nachgezeichnet werden.

Das Stück zeigt die Traumata der Shoa-Überlebenden

Drei große Puppenköpfe, die zuvor wie Museumstücke im Raum lagen, werden von den Performern übergestülpt. Sie werden zu Laras verstorbenen Familienmitgliedern, die wie in einer Séance zu Wort kommen, oder stumm die Erzählungen im Spiel unterstreichen: Das Trauma der Großmutter, die unter dramatischen Umständen in den damals von den Nazis besetzten Niederlanden die Shoa überlebte, ihre Emigration nach Südafrika und die bipolaren Störungen des Vaters, eines hochsensiblen Berufsmusikers, der nichts von seiner jüdischen Herkunft wusste, sich aber in seinen manischen Phasen für König David hielt.

Die theatrale Familienaufstellung schreitet durch die Zeit und bringt dabei ein Gefühlserbe zu Tage, das im Hier und Jetzt und besonders nach dem 7. Oktober seine Relevanz verdeutlicht. Die Bedeutung einer jüdischen Realität für einen Menschen, der mit familiären Tabus aufgewachsen ist, was die eigene jüdische Abstammung betrifft, weist über das Einzelschicksal hinaus. Sie konfrontiert bei diesem eindringlichen Theatererlebnis auf nachhaltige Art und Weise auch den Zuschauer mit Fragen über Identität und Zugehörigkeit. Eine packende Performance, die eindrucksvoll wertvolle Denkansätze liefert, wie ein Genesungsprozess aussehen könnte, wenn eine Gesellschaft bereit ist, ihre Geschichte als Teil ihrer Gegenwart anzunehmen.

Zur Vorstellung

Neue Termine: Orangerie, 21. – 24.2. 2024, 20 Uhr, 25.2.2024, 18 Uhr

Im Anschluss an die Performance lädt ANALOG das Publikum zu einem gemeinsamen Essen und flankierendem Tischgespräch ein. Mit geladenen Gästen spricht Regisseur Daniel Schüßler über unterschiedliche Perspektiven auf Identitäten, Kunst, Kultur, Psychologie und das Leben.

21.2. – Daniel Vymyslicky – Meldestelle für Antisemitismus in Köln 22.2. – Aaron Knappstein – Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Die Kölschen Kippa-Köpp“ 23.2. – Katja Garmasch – Autorin, Comedienne und Journalistin 24.2. – Debora Antmann – weiße, lesbische, analytische Queer_Feministin und wütende Jüdin 25.2. – Nui Arendt – politische Bildner:in, Gründer:in des Bildungskollektivs „Radikal Jüdisch“

KStA abonnieren