Neue ukrainische Serie im ZDF„In Her Car“ erklärt mit Fiktion die brutale Realität

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Lydia (Anastasiya Karpenko)

Lydia (Anastasiya Karpenko) fährt mit ihrem Privatwagen durch die Ukraine, um Menschen einen Fahrservice anzubieten

Zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine zeigt ZDFneo eine in der Kriegszeit entstandene Serie.

Der Weg in den Frieden ist nicht mehr weit. Dasha (Kateryna Hryhorenko) ist mit ihrem Freund aus Berlin zur ukrainisch-polnischen Grenze gekommen, um ihre Mutter aus dem Land zu holen, in dem seit wenigen Tagen Krieg herrscht. Doch Lydia (Anastasia Karpenko) lehnt ab. Die Psychologin will bleiben und mit ihrem Auto Menschen helfen, die von dem russischen Angriff brutal aus ihrem Alltag gerissen wurden.

Über Social Media bietet sie ihren Fahrdienst an. Und so begegnet sie den unterschiedlichsten Menschen, die alle gemeinsam haben, dass ihr Leben, wie sie es bisher kannten, vorbei ist. Sie trifft etwa auf Tetyana, eine Großmutter, die ihren Enkel allein großzog und sich mit ihm überwarf, als sie erkannte, dass er schwul ist. Nun will sie sich wenigstens von ihm verabschieden, bevor er an die Front muss. 

Lydia fährt auch das französische Ehepaar Lea und Christian, die ihren Sohn Simon, der als Korrespondent arbeitet, aus der Gefahrenzone holen wollten. Vergeblich, er will bei seiner Frau Oksana bleiben.

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Mehrere europäische Sender zeigen die Serie zeitgleich

Geschichten wie diese gab es Tausende zu Beginn des Krieges vor zwei Jahren. Ukrainerinnen und Ukrainer machten sich mit ihren Privatwagen auf den Weg, um Menschen aus umkämpften Gebieten zu retten. Diese Grundidee diente als Basis für ein Serienprojekt, das nun, zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls, bei ZDFneo zu sehen ist. 

Doch die Serie soll mehr sein als Unterhaltung, ein gemeinsames Zeichen mehrerer öffentlich-rechtlicher Sender in Europa. ZDFneo, FTV (Frankreich), SRF (Schweiz), DR (Dänemark), NRK (Norwegen), RUV (Island) und SVT (Schweden) planen eine koordinierte Veröffentlichung am Mittwoch, 21. Februar, und zudem wird sie in vielen weiteren europäischen Ländern - unter anderem Dänemark, Finnland, Schweden, Frankreich und die Schweiz - und sogar in Japan gezeigt.

„In her Car“ wurde von der Kölner Produktionsfirma Gaumont in Zusammenarbeit mit Filmemachern aus und in der Ukraine gedreht. Und während wir uns erschreckenderweise an die Bilder von zerbombten Häusern und verlassenen Städten schon fast gewöhnt haben, zeigt diese Serie mit aller Wucht, was Fiktion leisten kann, wenn sie gut gemacht ist: Sie erklärt uns die Wirklichkeit.

Die Ereignisse mögen, wenn auch angelehnt an reale Vorbilder, erfunden sein, aber sie lehren uns, dass hinter jeder nüchternen Zahl über Todesopfer oder Vertriebene, Menschen stehen. Menschen, die einen Alltag und ein Leben hatten. Der ukrainische Filmemacher Eugen Tunik erzählt in jeder der insgesamt zehn halbstündigen Episoden, von denen nun die ersten fünf zu sehen sind, ihre Geschichten.

Und er macht sie nicht zu Heiligen. Denn es mag banal klingen, aber auch im Krieg sind Menschen in den seltensten Fällen nur gut oder nur böse. Sie können mutig sein und dennoch die enttäuschen, die sich auf sie verlassen. Sie lieben und hassen, lügen und betrügen genauso wie alle anderen Menschen auch. In jeder Folge wird in einer Rückblende die Vorgeschichte der Menschen erzählt, die im Skoda der Psychologin mitfahren.

Anastasia Karpenko ist als Lydia das Bindeglied zwischen allen Geschichten. Und die ukrainische Schauspielerin hält die Serie in jeder Hinsicht zusammen. Bei ihr reicht ein Blick in den Rückspiegel, um eine ganze Welle von Gefühlen zu verdeutlichen. 

Die Geschichte beginnt im Jahr 2014

Auch ihre Vorgeschichte wird nach und nach aufgedeckt. Denn auch wenn die Handlung am Tag des russischen Überfalls einsetzt, beginnt sie doch schon viel früher, im für die Ukraine so wichtigen Jahr 2014. Die Russen bombardieren die ganz im Osten des Landes liegendes Stadt Luhansk. Lydias Schwester, eine Schauspielerin, steigt in einen Bus, der Menschen evakuieren soll. Doch dieser wird beschossen, die Schwester stirbt. 

Weil die beiden Frauen als Kinder Märchen mochten, hat die Schwester Lydia vor einigen Jahren eine CD geschenkt, auf der sie die Lieblingsgeschichten aus der Kindheit eingesprochen hat. Und so begleiten diese melancholischen Erzählungen nun ihre Fahrten. Die eine konnte sie nicht retten, viele andere schon.

Gedreht wurde „In Her Car“ während des Kriegs in Kiew und Umgebung. Und wir können im sicheren Deutschland nur erahnen, mit welchen Herausforderungen die Filmemacher zu kämpfen hatten. In der Serie vermischt sich Fiktion und Realität auf bedrückende Weise, etwa wenn Szenen in ausgebombten Häusern spielen, die tatsächlich bei russischen Angriffen zerstört wurden. Die Ruinen sind nun Teil des Lebens der Menschen in der Ukraine, ebenso wie der noch immer andauernde Krieg mitten in Europa.

Zwei Jahre nach dessen Beginn macht die Serie deutlich, dass das Leben auch in solchen Zeiten weitergeht. „In Her Car“ gibt den Menschen in der Ukraine Raum, ihre Geschichten selbst zu erzählen. Sie begegnen uns auf Augenhöhe, nicht als passive Opfer.


Die ersten fünf Folgen von „In Her Car“ stehen ab Mittwoch, 21. Februar, 10 Uhr, in der ZDF-Mediathek. ZDFneo strahlt am Dienstag, 27. Februar, ab 23.05 Uhr ebenfalls die ersten fünf Teile aus. Die anderen fünf Teile werden im Laufe des Jahres gezeigt. 

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