Vorwürfe gegen Joss WhedonKann man jetzt noch guten Gewissens „Buffy“ gucken?

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Sarah Michelle Gellar als Vampirjägerin Buffy

Los Angeles – Die sieben Staffeln der Fernsehserie „Buffy – The Vampire Slayer“ liefen von 1997 bis 2003 im US-Fernsehen und jeweils ein Jahr später auf dem deutschen Sender ProSieben, hier unter dem etwas verunglückten Titel „Buffy – Im Bann der Dämonen“. Verunglückt, weil sich die Titelheldin, die kalifornische Schülerin Buffy Summers, ja gerade nicht von Monstern, Vampiren und anderen Schreckgespenstern bannen ließ, sondern diesen gewaltig auf die Glocke gab.

Joss Whedon, Schöpfer der Figur und Showrunner der Serie, hatte ein sexistisches Horrorfilm-Klischee auf den Kopf gestellt: Die unbedarfte blonde Cheerleaderin, die sonst zum ersten Opfer des Messermörders wird, hatte er zur Rächerin all derer erhoben, die das Leben von klein auf unterbuttert. 

Und so zog Buffy, bewehrt mit Holzpflock, Axt und popkulturellen Spötteleien, gegen   eine Welt ins Feld, deren Sosein sie nicht zu akzeptieren bereit war.  Schon bald versammelte sich hinter der Teenie-Serie und ihrem Spin-off für junge Erwachsene, „Angel – Jäger der Finsternis“, eine große und treue Fangemeinde, der wiederum etliche Kulturwissenschaftler folgten, die ihren Enthusiasmus in Aufsätzen und Büchern intellektualisierten.

Popkulturelles Phänomen

Noch zehn Jahre nach Ende der Serie galt „Buffy“ als das Popkultur-Phänomen, dass die meisten akademischen Arbeiten inspirierte und „Star Trek“ oder „Die Simpsons“ abgeschlagen hinter sich ließ. Unbestritten war auch der Ruf von Buffy als feministische Ikone.

Dazu brauchte es keiner tiefen Textexegese,  das Thema weiblicher Selbstermächtigung bildete den roten Faden der Serie, bis hin zur letzten Staffel, in der Buffy als ursprünglich auserwählte „Slayerin“ ihre Macht mit einer ganzen Schulklasse potenzieller Vampirjägerinnen teilt. Dazu kam, dass sich Joss Whedon wiederholt als Feminist bezeichnete und öffentlich die in Hollywood vorherrschende Misogynie anprangerte.

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Umso größer war der Aufschrei, als die Schauspielerin Charisma Carpenter, in drei Staffeln von „Buffy“ und fünf von „Angel“ in der Rolle der Cordelia Chase zu sehen,  Whedon in einem mehrteiligen Twitter -Post vorwarf, seine Macht am Set  bei der Shows missbraucht zu haben. Von Anfang an habe er beiläufig Grausamkeiten ausgeteilt und ein feindliches Arbeitsumfeld geschaffen. „Fett“ habe er sie vor ihren Kollegen genannt, als sie im vierten Monat schwanger war, nachdem er sie bereits unter vier Augen gefragt habe, ob sie das Baby behalten wolle, und ihr vorgeworfen habe, die Show zu sabotieren.

Andere „Buffy“-Alumni, darunter Hauptdarstellerin Sarah Michelle Gellar  und Produzentin Marti Noxon, solidarisierten sich sofort mit Carpenter und distanzierten sich von Whedon. Michelle Trachtenberg, die im Alter von 15 Jahren die Rolle von Buffys kleiner Schwester Dawn übernahm, schrieb auf Instagram, dass Whedon sich am Set nicht mit ihr allein in einem Raum aufhalten durfte.

Anschuldigungen bei „Justice League“

Wenige Monate zuvor hatte der Schauspieler Ray Fisher Whedon beschuldigt, sich am Set des Superheldenfilms „Justice League“ – zuvor hatte er bereits für Marvel die beiden ersten „Avengers“-Filme geschrieben und inszeniert – widerlich und missbräuchlich verhalten zu haben. Auch hier bekräftigten Kollegen wie Gal Gadot und Jason Momoa die Anschuldigungen.

Whedons Reputation hatte bereits 2017 Schaden davongetragen, als seine Ex-Frau Kai Cole ihn der Heuchelei anklagte. Die feministischen Statements des Regisseurs hätten lediglich dazu gedient, von seinen zahlreichen Affären während der Dreharbeiten abzulenken. „Whedonesque.com“, die größte Fanseite, stellte als Reaktion auf Coles Enthüllungen (welche laut Whedon selbst Ungenauigkeiten und Unrichtigkeiten enthalten), die Arbeit ein. Inzwischen, nach Carpenters Anschuldigungen (auf die Whedon bislang nicht reagiert hat), haben die Betreiber die Seite vom Netz genommen. Das erinnert an den radikalen Schritt der beiden führenden Harry-Potter-Fanforen: Sie schlossen Potter-Schöpferin J.K. Rowling nach deren umstrittenen Äußerungen über Transgender-Menschen von ihren Seiten aus. 

„Harry Potter“-Fans kennen das Problem

Und wie soll sich der individuelle Fan verhalten? Für „Harry Potter“ mag das gar nicht so schwierig zu beantworten sein. Es steht ja nirgendwo geschrieben, dass man mit der Wertschätzung eines Werkes automatisch alle Ansichten seiner Schöpferin übernimmt. Doch im Fall von „Buffy“ hat sich ihr Schöpfer wohl tatsächlich so benommen wie einer der Dämonen, gegen welche er seine Slayerin einst ins Feld schickte.

Was „Buffy“ von ähnlichen Genreprodukten unterscheidet, ist der Umstand, dass die Monster hier keine Metaphern sind, sondern Alltag. „Highschool ist die Hölle“  lautet das Credo der Serie, nicht „wie die Hölle“.  Es geht nicht darum, adoleszenten Ängsten eine (bekämpfbare) Form zu geben, es geht um den Kampf gegen den Höllenschlund des falschen Lebens. Nicht die Angst ist zu therapieren, sondern die Blutsauger sind zu pfählen. Und um gegen gesellschaftlichen Leistungsdruck, gegen männliche Hierarchien und für mehr weibliche Solidarität zu kämpfen, braucht es eben Superkräfte.

Mit eigenem Maß messen

An denen es Joss Whedon entschieden zu mangeln scheint. Vielleicht hat er sich nicht viel anders benommen als manch anderer Mächtiger im Film- und TV-Geschäft. Nur muss er sich jetzt halt an dem Maß messen lassen, welches er selbst angelegt hat.

„Buffy“ war schon vorher nicht perfekt mit den billigen Tricks, der fehlenden Diversität und, am schlimmsten, einer klein geredeten Vergewaltigung in der sechsten Staffel. Doch als ich die Serie vor zwei Jahren mit meinen Töchtern noch einmal anschaute, war deren Begeisterung groß und wurde immer noch   größer. Denn letztlich erzählt „Buffy“ auch davon, wie schwierig es ist, ein Vorbild zu bleiben.

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