Wade Guyton im Museum LudwigDer Kolumbus der digitalen Malerei in Köln

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  • Am Freitag eröffnet im Kölner Museum Ludwig die Ausstellung „Wade Guyton: Zwei Dekaden“.
  • Der US-Amerikaner macht Kunst, die im Prinzip auch mein Tintenstrahldrucker zu Hause produzieren kann; wenn ihm die Tinte ausgeht, er das Papier frisst und halbverdaut wieder ausspuckt – nur einige Nummern größer.
  • Dem Museum gelingt mit der Ausstellung ein weltweit beachteter Coup.

Köln – Was ist eigentlich die Steigerungsform von „Das kann ich/ mein Kind/ meine Katze auch“? Und denken Museumsbesucher so etwas überhaupt noch, wenn sie vor den abstrakten Kringeln und  dem zittrigem Gekrakel  moderner Künstler stehen? Falls ja, sollten sie sich die  Wade-Guyton-Retrospektive im Kölner Museum Ludwig auf keinen Fall entgehen lassen – so wie der Rest der Welt übrigens auch nicht.

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Der 47-jährige US-Amerikaner Wade Guyton macht Kunst, die im Prinzip auch mein Tintenstrahldrucker zu Hause produzieren kann; wenn ihm  die Tinte ausgeht, er das Papier frisst und halbverdaut wieder ausspuckt oder sonst wie zickt.  Allerdings läuft in Guytons Atelier alles einige Nummern  größer ab (er verwendet für industrielle Zwecke geschaffene Drucker), er sucht nach passenden, meistens abstrakten oder allenfalls zu erahnenden Motiven  und er lässt seine Geräte absichtlich Fehler produzieren, indem er sie mit Leinwandstoffen füttert, für die sie nicht geschaffen sind. Was dabei an „schöpferischen“ Aussetzern entsteht, ist für Guyton immer noch Malerei.  Darauf muss man erst einmal kommen. Und vor allem muss man darauf als erster kommen. Mittlerweile finden sich Guytons Werke  in nahezu allen wichtigen musealen und privaten Sammlungen der Welt. Er ist der Christoph Kolumbus der postmalerischen Malerei.

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Im Grunde konnte sich Guyton den Ort für seine erste große Retrospektive aussuchen; die Werkschau  im New Yorker Whitney vor sieben Jahren nennt er einen Vorgeschmack. Dass es Köln geworden ist, liegt  an alten Verbindungen (Kasper König räumte 2010 für Guyton den Heldensaal frei), an der  Kölner Galerie Capitain, die Guyton seit langem vertritt, und  an der berühmten Sammlung US-amerikanischer Kunst des Ludwig. In gewisser Hinsicht steht Guyton durchaus in der Tradition von Pop Art und Minimalismus, weshalb beide Seiten von der Ausstellung profitieren: Der Künstler reiht sich  in aller Bescheidenheit und doch triumphal in den Kanon der Kunstgeschichte ein und das Museum feiert einen weltweit beachteten Coup.

Monumentale Tafelbilder

Bereits auf den ersten Metern von  „Wade Guyton – Zwei Dekaden“ trifft man auf den wichtigsten Mitarbeiter des New Yorker Künstlers: einen  stattlichen Epson-Drucker, der mitsamt  Arbeitstischen von zwei blauen Teppichbahnen und u-förmigen Edelstahlskulpturen bedeckt wird. Im Grunde sieht man Guytons Produktionsstrecke vor sich, es fehlen lediglich die grundierten Leinwandstoffe, die dem Drucker zugeführt und  zugemutet werden. Im ersten Saal folgen die ersten Produkte oder eben Gemälde, große bis monumentale  Tafelbilder, meist aus mehreren Teilen  zusammengesetzt. Hier fällt der Blick unweigerlich auf eine Reihe  flambierter Us, ein Vorgriff auf das spätere, mit fotorealistischen Motiven spielende Werk. Berühmt wurde Guyton hingegen mit grauen Schleiern, schwarzen Vorhängen, einem X-Ballet auf weißem Grund  oder zweifarbigen Streifenbildern.  Um zu erkennen, dass mit diesen abstrakten Nicht-Bildern selbst nach modernen Maßstäben etwas nicht stimmt, muss man nicht lange hinsehen: die Aussetzer, Schlieren, Raster und Schmierereien fallen sofort als malerisch ins Auge.

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Soll man diese abstrakten Großformate erhaben nennen? Ludwig-Direktor Yilmaz Dziewior verglich Guytons farbige Abstraktionen mit den schwebenden Gemälden Mark Rothkos, wobei sich bei Guyton gerade nicht der menschliche Geist zu erkennen gibt. Sondern der Geist in der Maschine. Er scheint den digitalen Motiven genau jene geheime Zutat hinzuzufügen, die den besten Gemälden der Schau ihre unheimliche Schönheit verleiht. Man könnte auch von Zufall sprechen; aber das wäre angesichts dieses meisterlichen Zusammenspiels von Mensch und Maschine   ungebührlich banal.

Allerdings zeigen sich in Köln auch die Grenzen dieses Konzepts, nämlich dort, wo Guyton  gegenständlich wird und etwa  Alltagsszenen und Stillleben aus seinem Atelier in der Mitte teilt und leicht schief nebeneinander setzt. Ähnlich banal sind seine  bearbeiteten Online-Titelseiten der „New York Times“; ein   Handschlag zwischen Donald Trump und Barack Obama ist in der Mitte zerschnitten, darüber steht die Werbung für eine Virtual-Reality-Brille namens Tagtraum.  Der Geist in der Maschine  entfaltet seinen Zauber offenbar nur als abstrakte Vorstellung – oder gar nicht.

Abgerundet wird die  Retrospektive durch 92 frühe „Zeichnungen“ (bedruckte Buchseiten im kleinen Format), minimalistische Skulpturen, Künstlerbücher und dem als Standardwerk konzipierten Katalog mit einem Verzeichnis sämtlicher Guyton-Ausstellungen.  Die wichtigste fehlt dort allerdings noch. Sie ist gerade in Köln zu sehen.

„Wade Guyton: Zwei Dekaden“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 1. März 2020. Eröffnung: Freitag, 15. November, 19 Uhr. Katalog: 54 Euro

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