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Wahlscham statt FlugschamWas die Wahlplakate in Köln wirklich sagen

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Seit Freitag ist die Wahlwerbung im öffentlichen Straßenraum erlaubt. Zahlreiche Wahlplakate zur Wahl sind seitdem im Stadtbild zu sehen.

Zahlreiche Wahlplakate zur Wahl sind derzeit im Kölner Stadtbild zu sehen.

Wahlplakate sind eine Zumutung, die immerhin dadurch erträglich wird, dass man ihre versteckten Botschaften entschlüsselt. Eine Glosse zur Kölner Kommunalwahl.

„Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld“, lautet ein viel zitierter Satz des Unternehmers Henry Ford: „Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“ Auf die Kölner Kommunalwahl übertragen bedeutet diese Marketing-Weisheit: Knapp die Hälfte der Parteien wird nach dem 14. September wissen, dass sie ihr gesamtes Werbebudget für ein Dasein in der Opposition hinausgeworfen hat. Die Regierungsparteien haben hingegen alles richtig gemacht – oder unverschämtes Glück gehabt.

Ein Verlierer steht allerdings schon vor der Wahlnacht fest – der Bürger. Er muss sich die Verschandelung der Stadt durch Wahlplakate als Ausdruck gelebter Demokratie schönreden und es als heilige Pflicht erdulden, wenn ihm ein ansonsten aussichtsloser Kandidat ins Schlafzimmerfenster starrt. Die oft gescholtene, angeblich doch so regelwütige Bürokratie ist keine Hilfe. Sie schreitet allenfalls ein, wenn der politische Wildwuchs den Straßenverkehr zu überwuchern droht – wir leben schließlich in einer Parteiendemokratie. Allerdings wirkt die Zumutung der plakatierten Wahlwerbung gleich viel erträglicher, wenn man ihre versteckten Botschaften zu entschlüsseln weiß.

Recht haben und bekommen

Die FDP beendet jeden ihrer Werbesätze mit „Ihr gutes Recht“. Eine intakte KVB, versichert sie uns kämpferisch, sei unser gutes Recht als Kölner Bürger, ebenso wie das digitale Rathaus oder eine saubere Stadt. Aber recht haben und Recht bekommen sind, wie jeder weiß, nun einmal zweierlei. Auf hoher See und vor dem Bürgeramt ist man in Gottes Hand – daran wird selbst die FDP nichts ändern. Ihre Kampagne ist eine Übung in Vergeblichkeit. Sie spricht all denen aus der Seele, die glauben, sie hätten Besseres verdient, um sich dann ins Unvermeidliche zu fügen. Wer in Köln FDP wählt, lebt in Hahnwald oder der inneren Emigration.

Aus alt mach neu

Wer ist Markus Greitemann? Auf diese Frage wussten erstaunlich viele Kölner in einer Umfrage dieser Zeitung keine Antwort. Jetzt erfahren sie: Greitemann ist ihr neuer Oberbürgermeister. So steht es auf den Wahlplakaten der CDU, die mit dem unerschütterlichen Selbstbewusstsein einer Volkspartei die Wahl für entschieden, wenn nicht für überflüssig erklärt. Mit ihrem Kandidaten macht uns die CDU ein Angebot, das wir offenbar nicht ablehnen können. Denn Bürgermeister, heißt es, sei „kein Amt für Anfänger“. Das ist der Kölner Baudezernent tatsächlich nicht. Allerdings hat Greitemann in seinem aktuellen Amt vor allem Erfahrung darin, Hiobsbotschaften an- und abzumoderieren. Ganz nebenbei verspricht er auch eine „neue Politik“ und läuft damit als lebender Selbstwiderspruch durch Köln: Das Alte soll das Neue sein.

Herzlos und gemein

Die Grünen versuchen es derweil mit demütiger Selbstverleugnung. Auf den Plakaten ihrer Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin, Berivan Aymaz, fehlt jeder Hinweis auf ihre Partei. Für angestammte Grünen-Wähler wird der Gang in die Wahlkabine dadurch zur Gewissensfrage: Darf ich mich überhaupt noch zu meinen Überzeugungen bekennen? Wahlscham statt Flugscham, das scheint das neue Credo der Umweltpartei zu sein. Auf ihren Plakaten verspricht Aymaz Tatkraft, Haltung und ähnliches jeweils „für die Stadt mit Herz“. Das schmeichelt dem Kölner Wahlvolk, grenzt aber auch an kindliche Erpressung: Wer nicht die grüne Kandidatin wählt, der ist herzlos und gemein.

Machen ohne Macher

Aufs Herz zielt auch die SPD. Sie bewirbt ihren Kandidaten knallig mit „Burmester“, liefert dessen Vornamen Torsten als Online-Adresse nach und sendet die Botschaft: „Köln. Machen mit Herz.“ Früher hätte die SPD möglicherweise auf den Verstand gesetzt, aber vielleicht will sie Köln nicht überfordern. Und vielleicht hätte sie einen anderen Kandidaten schlicht als „Macher“ tituliert. Stattdessen passiert das Machen bei Burmester wie von selbst. Sollte es mit ihm nichts werden, könnte es die SPD beim nächsten Mal mit einem kaltherzigen Technokraten probieren, der den Karneval abschafft und den Dom nach Übersee verschifft.

Wer kann, der kann

Soweit die altgedienten Parteien, unter denen die jüngste, die Grünen, die Frischzellenkur eines Wahlsiegs am dringendsten nötig zu haben scheint. Unter den neuen Kräften versucht es Volt mit Sprachwitz auf lila Hintergrund. Mit „Keine Zeit für Faxen“ wirbt sie für die Abschaffung der Zettelwirtschaft in den Ämtern, die herrenabendliche Drohung einer „Frau am Steuer“ wird bei ihr zur Verheißung umgedeutet. Ein Schelm, wer darin eine Anbiederung an die grüne Spitzenkandidatin sieht. 

Die Linke ist, als schlechtes, abgespaltenes Gewissen der SPD, eigentlich uralt, verkündet aber tapfer: „Wir können anders“. Den Beweis tritt sie mit Themen wie bezahlbares Wohnen, Bildung und Fahrradstreifen an, die weder anders noch ein Alleinstellungsmerkmal sind. Sollte es mit der SPD zu einer koalitionären Wiedervereinigung kommen, wird Heiner Kockerbeck, Spitzenkandidat der Linken, bei den Verhandlungen hoffentlich so grimmig-entschlossen schauen wie Torsten Burmester, wenn er den Kölnern Sicherheit und Sauberkeit verspricht. Aber vermutlich muss sich die Linke in der Schlange möglicher Mehrheitsbeschaffer wieder weit hinten einreihen. Ihr Slogan sollte daher besser lauten: Wir würden ja können wollen, wenn man uns nur ließe.

Heimat der Vertriebenen

Wahlplakate der AfD muss man derzeit noch suchen, jedenfalls im Kölner Süden. Zwischen Bayenthal und Marienburg gibt sie sich gutbürgerlich, trägt die „Heimat im Herzen“ und fordert „Versprechen halten“. Allerdings wird nicht ganz klar, ob die Kölner Heimat gemeint sein soll; gezeichnet ist die Kampagne von der AfD NRW. 

Ab dem 15. September werden die Wahlplakate hoffentlich fallen wie im Herbst die Blätter. Bis dahin bleibt der tröstliche Gedanke, dass Wahlwerbung zwar offenbar sein muss, aber mit der realen Politik wenig Gemeinsamkeiten hat. So plakativ wie derzeit auf den Straßen geht es im verdienstvollen Kölner Stadtrat glücklicherweise niemals zu.