„Wir sind dann mal die Angehörigen“Reemtsma-Entführung wird verfilmt

Lesezeit 6 Minuten
  • Hans-Christian Schmid ist bekannt für seine Filme „Nach Fünf im Urwald“ und „23“
  • Sein neuer Film „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ handelt von der Entführung von Jan Philipp Reemtsma
  • Im Gespräch erzählt Schmid vom Schaffensprozess hinter dem Fillm

Kann man den Film als Thriller bezeichnen?

Hans-Christian Schmid: In der grundsätzlichen Ausrichtung eigentlich gar nicht. Es geht zwar um eine Entführung, aber nicht um ihren Ausgang. Die meisten Zuschauer wissen ja, dass Herr Reemtsma zurück nach Hause kommt. Mir ging es um die Interaktionen der Figuren im Haus untereinander und wie sie auf Entwicklungen von außen reagieren müssen. Sicher, an der Oberfläche ist das ein Krimi, aber wir haben versucht, typische Krimielemente möglichst zu vermeiden. Wir zeigen mit Absicht keinerlei polizeiliche Ermittlungsarbeit und auch nicht die Überwältigung des Opfers. Auch der erste Versuch einer Lösegeldübergabe entzieht sich bei uns typischer Spannungsdramaturgie, wir zeigen sie im Blick zurück.

Dem Gedankengang kann ich folgen. Aber Sie müssen den Film doch auch mit einem Etikett unter die Leute bringen.

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Den Film zu verkaufen ist das Geschäft des Verleihs. Ich finde, das ist ein Drama, und im Blick auf die Figur des Reemtsma-Sohnes auch eine Geschichte vom Erwachsenwerden. Das sind bewusste Entscheidungen, die den Film weg von True Crime oder Krimi rücken.

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Filmregisseur Hans-Christian Schmid bei der Premiere von 'Wir sind dann wohl die Angehörigen'.

Was unterscheidet Ihren Film von einem Dokudrama?

Wir stellen keine realen Szenen nach, wie das bei einer True-Crime-Produktion der Fall wäre. Da geht man an die Originalschauplätze und spielt Szenen nach oder lässt Zeitzeugen darüber berichten, was sich dort zugetragen hat. Dagegen habe ich von Anfang an eine klare Linie gezogen.

„Wir sind dann wohl die Angehörigen“ mit Fokus auf mehreren Figuren

Sie legen im Film ein starkes Gewicht auf die Angehörigenbetreuer. Das betont einen polizeidokumentarischen Ansatz im Stil von Yves Boissets Polizeifilmen aus den 80er Jahren.

Ah, die Einschätzung freut mich natürlich. Bei der Recherche merkte ich, dass mich die Arbeit der Betreuer interessiert, und dass diese in Johann Scheerers Buch weitgehend fehlt, weil er sich da auf seine Perspektive als 13-jähriger fokussiert. Wir haben dagegen die Angehörigenbetreuer auf dramaturgischer Ebene mit eingezogen, auch wenn wir dadurch die Perspektive des Jungen verlassen oder schwächen mussten.

Zur Person

Hans Christian Schmid, 1965 in Altötting geboren, studierte Dokumentarfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Nach kleineren Arbeiten gelang ihm 1995 mit „Nach Fünf im Urwald“ ein vielversprechender Einstieg ins Kino, der sich mit dem Thriller „23“ bestätigte. Schmids sorgfältiger, auf dramatische Intensität zielender Regiestil brachte ihm fünf Deutsche Filmpreise in Silber ein. Mit sicherem Auge für Besetzung und die sensible Schauspielerführung schob die Filmkarrieren von Franka Potente, August Diehl, Robert Stadlober und Sandra Hüller an. Schmids neuer Film „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ lief im Programm des Film Festival Cologne und kommt diese Woche in die Kinos.

Sie wollten also mehr zeigen als die persönliche Drucksituation von Mutter und Sohn.

Ja, dafür kristallisierten sich drei Komponenten heraus, die wir im Auge haben mussten. Zum einen, wie wir dem zugrunde liegenden Buch gerecht werden. Ebenso den Menschen, die wir bei der Recherche kennenlernen, also den lebenden Personen. Und schließlich die Frage, wie sich vieles von dem, was wir erfahren haben, wieder beiseite räumen lässt, um das Material zu einem zweistündigen, spannenden Film zu verdichten.

Wenn man sich die Schauplätze Ihrer Filme betrachtet – Altötting, Hannover, Tübingen, Frankfurt/Oder - dann kann man Ihnen doch ein unverkennbares Faible für die Provinz unterstellen?

Naja, ich komme selber aus der Provinz, und es ist doch gut, wenn man eine Ahnung davon hat, worüber man erzählt. Und mir fällt mehr zu Orten ein, die ich noch nicht kenne und mir erst erschließen muss. Ich lebe jetzt seit zwanzig Jahren in Berlin, habe aber noch keinen Berlin-Film gedreht. Vermutlich, weil ich das Gefühl habe, an jeder Ecke stand schon mal eine Kamera.

Titel des Kinofilms leitet sich aus der Buchvorlage ab

Der Filmtitel klingt – nun ja – langwierig.

Das ist eine gemeinsame Entscheidung des Verleihs und uns als Produktionsfirma, dass der Film so heißt wie das Buch, das wir verfilmen. Das hat mit Werktreue zu tun, aber es spielt auch die Überlegung mit, wenn jemand das Buch gelesen hat, möchte er vielleicht auch den Film gucken. Ich gebe zu, der Titel ist lang, aber auch verrätselt genug, dass er sich in einer Startliste mit 14 anderen Filmen behaupten kann.

Ihre Kamera ist stets auf Augenhöhe mit der zentralen Figur einer jeweiligen Szene. Welche Entscheidung steckt dahinter?

Uns war bewusst, dass wir es bei diesem Stoff mit Protagonisten zu tun haben, die oft um einen Tisch sitzen; und hinter ihnen ist entweder ein Fenster oder eine Wand. Das ist erst einmal nicht besonders spannend fürs Kino. Wir fassten dann den Plan, genau daraus eine Stärke zu machen. Das ist ja kein Film für IMAX-Panoramen.

Abschluss des Films zeigt, wie es mit den Beteiligten weiterging

In einer Szene des Films zeigen Sie eine Schublade mit VHS-Kassetten. Dabei fällt ein Film besonders ins Auge, „Pearl Street“. Aber den gibt es gar nicht.

Ja, das stimmt. Dieses Cover hatten wir selber hergestellt. Sowas macht man, um nicht Rechte zahlen zu müssen, wenn eine Kaufkassette im Bild zu sehen ist. Wir wussten, dass die Reemtsma-Videothek aus US-Mainstreamtiteln bestand. Damit die aber im Bild sein dürfen, muss man die betreffenden Firmen kontaktieren und um Erlaubnis fragen. Da kann es vorkommen, dass schwindelnd machende Mondpreise verlangt werden. Auch für den kleinen Ausschnitt mit Kylie Minogue aus der „Harald Schmidt Show“ mussten wir eine Nutzungserlaubnis einholen. Die waren aber sehr freundlich und überließen uns das Material umsonst.

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Die Filmschaffenden beim 30. Filmfest Hamburg.

Im Netz wird geraubt und geklaubt und hier muss man für jedes Kinkerlitzchen nachfragen – verliert man da nicht die Lust?

Das müssen Sie die Leute fragen, die sich darum kümmern müssen. Aber es stimmt schon, es hat sich in den letzten zwanzig Jahren in diesem Bereich viel geändert, und das kostet Zeit und Nerven.

Am Ende des Films gibt es Texttafeln, die erzählen, was danach noch geschah, was aus den Leuten wurde. Ist das wirklich nötig und wichtig?

Oh doch, ich finde es wichtig weiterzuerzählen, wenn man schon einen Film hat, der auf realen Ereignissen beruht. Ich glaube, es ist wichtig für die Zuschauer, die wissen wollen, wie es weiter gegangen ist mit den Leuten.

Hans-Christian Schmid würde noch eine Komödie schreiben

Wäre es nicht wieder einmal Zeit für eine Komödie, so 25 Jahre nach „Nach Fünf im Urwald“?

Ja, das würde ich nicht ausschließen. Aber das hat wesentlich mit dem Entstehen von Filmen zu tun. Ich setze mich nicht hin und denke als erstes, welches Genre es denn wohl diesmal werden könnte. Im Studium traf ich damals auf Leute, die waren nicht nur schon mit Anfang Zwanzig auf Komödie spezialisiert, sondern wussten auch genau, mit welcher Art von Komödie sie sich beschäftigen wollen. Ich probiere auch heute noch lieber aus. Ein ganz anderer Ansatz also.

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Würden Sie noch mal ein Serienprojekt angehen?

Doch, ich fand die Arbeit an „Das Verschwinden“, eine Geschichte in sechs Stunden erzählen zu können, eine richtig gute Erfahrung. Ich würde das wieder machen, wenn mir so ein kraftvoller Stoff in den Sinn käme. Deswegen kann ich nicht sagen, ich wollte nur fürs Kino arbeiten. Ich bin auch an langen Formaten interessiert.

Wofür kennt man Sie? Wie schätzen Sie das ein?

Ein typischer Hans-Christian-Schmid-Film, was das sein soll? Ich denke, das ist ein genauer und sensibler Blick auf die Figuren; das sind Geschichten, in denen auch jüngere Menschen an existenzielle Punkte in ihrem Leben kommen. Ganz generell ist es wenig Effektkino.

Und wofür sollte man Sie kennen?

Genau dafür.

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