Doku über Eduard ZimmermannWie „Aktenzeichen XY ... ungelöst“ Angst in deutschen Wohnzimmern verbreitete

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Eduard Zimmermann vor beigem Hintergrund, mit einer Waffe in der Hand im Studio von „Aktenzeichen XY ... ungelöst“.

Eduard Zimmermann im Studio von „Aktenzeichen XY ... ungelöst“.

Eine Kölner Regisseurin hat eine kritische Dokumentation über die ersten drei Jahrzehnte „Aktenzeichen XY... ungelöst“ gedreht.

„True Crime“ ist keine neue Erfindung der Podcast-Industrie – schon seit 1967 versetzt die Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ die Republik in Angst und Schrecken. In ihrer Dokumentation „Diese Sendung ist kein Spiel – die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ spürt Regina Schilling nun dem  Zeitgeist nach, der sich in den ersten Jahrzehnten der Sendung offenbart. Die kritische Dokumentation läuft auf Zimmermanns Heimatsender ZDF, das damit also selbst die umstrittene Geschichte der Sendung zum Thema macht.

30 Jahre lang prägte Zimmermann als Moderator und Produzent eine Ära – betont nüchtern, mit stets unbewegter Miene und äußerlich bis auf ein paar Falten und graue Haare beinahe unverändert. Ein Mahner und Warner, stets unterwegs im Kampf gegen das Böse, das die scheinbar heile deutsche Nachkriegswelt bedrohte. Dabei war seine eigene, sehr bewegte Biographie gar nicht so bürgerlich-konservativ, wie er sich gab. So schlug er sich beispielsweise in der Nachkriegszeit unter anderem als Dieb und Schwarzmarkthändler durch und landete deswegen sogar kurz in der Hamburger JVA Fuhlsbüttel.

„Aktenzeichen XY“ war genauso beliebt wie umstritten

Seine Idee, mit Hilfe der Fernsehzuschauer Kriminalfälle zu lösen, war in den 60ern genauso revolutionär wie der geniale Einfall, die Szenen von Schauspielern nachstellen zu lassen. So flimmerte mit jeder Sendung auch ein Kurzkrimi über die Schwarz-Weiß-Bildschirme, unterlegt mit unheilvoller Musik. Dass die Fälle tatsächlich passiert waren, perfektionierte den TV-Grusel.

Die Täter haben keine Geschichte. Sie stehen immer außen. Sie sind böse. Und das Böse lauert immer und überall.
Aus der Doku „Diese Sendung ist kein Spiel - die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“

Wer meinte, einen Hinweis auf die Täter zu haben, konnte danach anrufen. Das führte gleich nach der ersten Folge zur Ergreifung eines Betrügers – Kritiker warfen dem Format deswegen jedoch „Menschenjagd“ vor. Jeder an der Supermarktkasse konnte schließlich theoretisch ein Krimineller sein. Oder zumindest ein „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ – das war der Untertitel von Eduard Zimmermanns anderer Sendung „Vorsicht Falle!“.

„Aktenzeichen XY“, so Regina Schillings These, säte Misstrauen und Angst. Und das, so arbeitet sie in ihrer Doku heraus, sorgte nicht nur für beste Einschaltquoten. Sondern hatte auch eine politische Funktion. „Die Welt, die Eduard Zimmermann inszeniert, ist einfach“, heißt es im Film. Die Opfer seien immer die Guten, die Täter hätten es auf Leib, Leben und Geld abgesehen. „Sie haben keine Geschichte. Sie stehen immer außen. Sie sind böse. Und das Böse lauert immer und überall.“

Ein Schwarz-Weiß-Bild von Eduard Zimmermann aus den frühen Jahren seiner Sendung.

Eduard Zimmermann erfand 1967 mit der Sendereihe „Aktenzeichen XY... ungelöst“ das weltweit erste True-Crime Format.

Es habe sie im Laufe ihrer Recherche überrascht, wie vehement der Moderator seine Sendung auch benutzte, „um dem Aufbruch und der Emanzipation der Regierungsjahre unter Willy Brandt und Helmut Schmidt entgegenzuwirken“, sagt die Filmemacherin. Per Anhalter fahren? Oder gar spät von der Disco nach Hause gehen? Eine Gaststätte besuchen? Bei „Aktenzeichen XY“ das sichere Ticket ins Verderben. Vor allem für Frauen.

Per Anhalter fahren galt Zimmermann als sicheres Ticket ins Verderben

Um das zu belegen, zitiert Eduard Zimmermann in einer Sendung auch aus „der Kriminalstatistik“. Regina Schilling hat das am Beispiel des Trampens nachgeprüft. Und weder die zitierte Stelle gefunden noch Zahlen, die so eine Behauptung rechtfertigen. „Hat er uns 30 Jahre lang ein Märchen erzählt, damit wir Frauen brav zu Hause bleiben? Vor dem Fernseher? Um uns dort die immer gleichen Bilder anzuschauen?“ ist ihr Kommentar dazu in der Dokumentation. Dazu werden effekvoll Szenen aus „XY“-Folgen zusammen geschnitten, in denen Frauen mit vor Schreck geweiteten Augen mit Messern malträtiert, gewürgt, leblos über den Boden geschleift oder gewaltsam in ein Gebüsch gezogen werden.

„Ich sage Ihnen sicher nichts Neues, meine Damen und Herren. Frauen, die so wie Heidi Bergner ihr Leben in Kneipen und mit vielen mehr oder weniger zufälligen Männerbekanntschaften verbringen, leben gefährlich“, kommentiert Zimmermann einen seiner Fälle. Subtext: Wäre sie mal lieber zu Hause geblieben, dann läge sie jetzt nicht tot im Wald. Dass Gewalt und Missbrauch oft eben dort geschehen – zu Hause – ignorierte Zimmermann dabei.

Ein Spiegel der patriarchalen Strukturen der Zeit

Obwohl die Sendung zwangsläufig die patriarchalen Strukturen der damaligen Zeit spiegelt, sei sie erstaunt gewesen, wie frauenfeindlich sie war, sagt Regina Schilling: „Das hatte ich so stark nicht in Erinnerung.“

Die treu sorgende Hausfrau, der hart arbeitende Ehemann und dazu eine bunte Kinderschar – die Doku zeigt, wie die nachgestellten Szenen klischeehaft spießige Werte in die bundesdeutschen Wohnzimmer trugen. Und diese offensichtlich rechtschaffenen Bürger mit einem diffus zwielichtigen Milieu kontrastierten, das sich in Kneipen herumtreibt, Sex jenseits der Ehe hat – oder gar jenseits von Heterosexualität.

Wer sich nicht in bürgerlichen Bahnen bewegt, lebt gefährlich. Das ist die stärkste Message der Zimmermann-Jahre von „XY“
Regina Schilling

„Ob Homosexuelle oder alleinstehende Frauen … Wer sich nicht in bürgerlichen Bahnen bewegt, lebt gefährlich. Das ist die stärkste Message der Zimmermann-Jahre von ‚XY‘“, sagt Regina Schilling, die  wie so viele ihrer Generation schon als Kind – mehr oder weniger – heimlich zuschaute. „Wie viele der Ängste, die die Sendung damals ausgelöst hat, beschäftigen uns noch heute – insbesondere Frauen?“

1997 übergab Eduard Zimmermann die Moderation schließlich mit 68 Jahren an seine Tochter. Bei der Gelegenheit wurde auch gleich das ikonische Studio in den Beige-Tönen der Nachkriegszeit renoviert und Innovationen wie der „Phantombildcomputer“ präsentiert. Sogar E-Mails konnten die Zuschauer und Zuschauerinnen jetzt ins Studio schicken. „E-Mails, meine Damen und Herren - das wusste ich bis heute auch noch nicht - das sind Briefe, die man über das Internet bekommt“, erklärte Zimmermann. Seine Zeit war vorbei.


Zur Person

Regina Schilling, geboren 1962, lebt und arbeitet in Köln und Berlin. Sie ist Dokumentarfilmerin und ist seit der Gründung 2001 mit für das Programm des Literaturfestivals lit.Cologne verantwortlich. Mit ihren Filmen gewann sie unter anderem den Deutschen Fernsehpreis und  zwei Grimme-Preise.

„Diese Sendung ist kein Spiel - Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann“ ist nach "Kulenkampffs Schuhe" (2018) die zweite Doku zur deutschen Fernsehgeschichte von Regina Schilling. Sie ist am 10. August um 23.00 Uhr im ZDF und in der Mediathek (ab 10.8. morgens)  zu sehen.

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