Zehn Jahre Akademie der Künste der WeltGrandiose Idee oder nur ein teures Vergnügen?

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Max Jorge Hinderer Cruz

Herr Hinderer Cruz, die Akademie der Künste der Welt feiert ihr zehnjähriges Bestehen. Was sagen sie Kölner Bürgern, an denen diese Akademiejahre mehr oder weniger spurlos vorüber gegangen sind? Was haben die verpasst?

Max Jorge Hinderer Cruz: Die Akademie wurde vor zehn Jahren mit einer sehr fortschrittlichen Idee gegründet. Es sollte eine Institution geschaffen werden, die eine Brücke zwischen Köln und der Welt und der Welt und Köln schlägt. Unser besonderes Alleinstellungsmerkmal liegt in unserer Mitgliederstruktur, derzeit bestehend aus 23 internationalen Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur, und in unserem Resident:innen-Programm. Wir laden jedes Jahr sechs Gäste, Künstler:innen oder auch Aktivisti:innen, ein, für bis zu fünf Monate nach Köln zu kommen. Dieses Programm ermöglicht einen besonderen Ort des Austauschs.

Die Akademie befindet sich noch in ihren Lehrjahren

Mit der Gründung der Akademie verband sich die Hoffnung, dass sie in die Stadtgesellschaft hinein wirkt, dass sie Debatten anregt. Ist ihnen das in ausreichendem Maße gelungen?

Wie jede Institution ist die Akademie der Künste der Welt eine, die wächst und sich entwickelt. Wir befinden uns noch in unseren formativen Jahren, unseren Lehrjahren, aber wir finden zusehends unsere Formate und wir erreichen auch immer mehr Publikum. Diese Findungsphase ist normal, glaube ich, bei einer Institution, die so luftig gedacht wurde wie die Akademie, nämlich als Institution, die mit städtischen, regionalen und internationalen Partnern zusammenarbeitet. Wir haben in Köln zudem unbekannte oder noch nicht gesehene Formen künstlerischen Ausdrucks etabliert, darüber sind wir sehr froh.

Auch ohne Akademie war Köln eine lebendige Kulturstadt. Provokant gefragt: Wozu braucht Köln die Akademie?

Ich zitiere dazu Yilmaz Dziewior, Direktor des Kölner Museums Ludwig. Er sagt über uns, dass wir als besondere Institution bestimmte Diskurse vertiefen können, und zwar flexibler als dies in großen Kulturhäusern, die zugleich mit vielem anderen beschäftigt sind, möglich ist. Ich glaube, wir werden als Institution wahrgenommen, in der sehr frei gedacht werden kann, was uns natürlich freut.

Zur Person und zum Jubiläum

Die Kölner Akademie der Künste der Welt geht auf Anregung Kölner Kulturschaffender um Navid Kermani zurück und wird von der Stadt Köln getragen. Sie besteht aus einem Kollektiv internationaler Künstler, Autoren und Wissenschaftler und soll Perspektiven aus aller Welt nach Köln bringen. Seit diesem Jahr leitet der bolivianisch-deutsche Kurator Max Jorge Hinderer Cruz die Akademie. 

Das Jubiläumsfest zum zehnjährigen Bestehen der Akademie findet am Samstag, 22. Oktober, ab 17 Uhr im Alten Pfandhaus (Kartäuserwall 20, Köln) statt, auf dem Programm stehen unter anderem Konzerte und Performances von Cheap und Xiu Xiu. Der Eintritt ist frei. 

Ein frühes Thema der Akademie war die Dekolonisierung, die mittlerweile auch für die Arbeit einiger städtischer Museen, etwa dem Rautenstrauch-Joest-Museum, eine größere, wenn nicht zentrale Rolle spielt. Ist die Debatte auf dem Stand, auf dem sie sein müsste?

Ich stamme aus dem spanischsprachigen Bolivien, da ist es stets besonders lustig, wenn ich sage, ich komme aus Köln, also Colonia, der Kolonie. In Köln gibt es ein großes Interesse an den Themen der Dekolonisierung, unsere Veranstaltungen dazu sind immer gut besucht. Wir merken aber auch, dass man das Thema Dekolonisierung nicht vom Leben der Migrant:innen oder der LGBTQ-Gemeinde trennen kann. Dekolonisierung ist ein Regenschirm-Begriff, unter den vieles passt: die Lebensrealität von Migrant:innen, Alltagsrassismen, Diskriminierungen, strukturelle Gewalt, der Klimawandel. Dekolonisierung spricht vieles an, was wir aus unseren aktuellen Lebensumständen und aus dem öffentlichen Raum kennen.

Erreichen Sie in ihren Veranstaltungen ein breites Publikum oder predigen Sie den Gläubigen?

Es gibt gerade in der bürgerlichen Gesellschaft die Vorstellung, dass Kultur eine Art von Superpower ist, weil sie in der Lage ist, eine Gemeinschaft zu stiften. Zu den Gläubigen predigen, hieße in diesem Zusammenhang erst einmal, Leute zusammenzuführen, die gewisse Erfahrungen gemacht haben und diese vielleicht noch nicht richtig zuordnen können. Und natürlich geht es auch um einen Erfahrungsaustausch mit Leuten, die von diesen Erfahrungen selbst nicht betroffen sind. Es ist ganz wichtig, dass diese Leute verstehen lernen, wie Ausgrenzung, Sexismus oder Rassismus funktioniert. Das steckt ja nicht nur in einzelnen Personen, sondern auch in den Strukturen. Das Publikum dahin zu führen, überhaupt über bestimmte Themen zu reden, ist eine Herausforderung für uns, die wir gerne wahrnehmen.

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In ihrem Text zum zehnjährigen Jubiläum haben Sie die Bedeutung des offenen Dialogs betont und dabei auch auf die umstrittene Documenta angespielt. Was ist Ihrer Meinung nach in der Documenta-Debatte schiefgelaufen?

Schiefgelaufen ist genau das richtige Wort. In dem Sinne, dass der Dialog eben nicht stattfinden konnte. Das ging so weit, dass es zum Schluss zu einer völligen Abwesenheit von Dialogbereitschaft gekommen ist. Für eine gelungene Vermittlung von Differenzen muss es erst einmal eine beidseitige Dialogbereitschaft geben.

Woran lag es, dass sich die Fronten derart verhärten konnten?

Ich komme aus dem bolivianischen Kontext. Dieser ist stark von kolonialen Erfahrungen geprägt, das ist eine ganz andere Sicht auf die Geschichte als die deutsche. Es gibt einen spezifisch deutschen Blickwinkel, auf den Personen, die aus anderen Kontexten hierher kommen, unter Umständen nicht genügend vorbereitet sind. Ebenso gibt es Deutsche, die sich mit anderen Blickwinkeln schwertun. Wir sitzen hier am selben Tisch, blicken aber aus unterschiedlichen, jeweils optisch verzerrten Perspektiven darauf. Genauso verhält es sich auch mit politischen Konstellationen. Wenn jemand aus dem Norden darauf schaut, sieht er diese anders als jemand, der aus dem Süden darauf schaut. Wir sollten die Superkraft der Kultur nutzen, um einen Raum des Dialogs zu schaffen, in dem diese Blickwinkel zusammengeführt werden können.

Man kann aus dem globalen Süden sein und Antisemitismus aufs allerschärfste kritisieren

Das kritisierte Transparent von Taring Padi war aus jeder Perspektive antisemitisch.

Alle Beteiligten haben sich öffentlich dafür entschuldigt, deswegen wurde es auch verhängt und abgebaut.

Die Antisemitismus-Debatte ging trotzdem weiter. Sehen Sie darin einen Versuch, Vertreter des globalen Südens zu diskreditieren? Nach dem Motto: Mit denen brauchen wir nicht zu reden, das sind Antisemiten.

Ich glaube, es gibt da einen grundlegenden Denkfehler, nämlich zu denken, der globale Süden wäre nicht in der Lage, Antisemitismus zu erkennen und sich vehement dagegen auszusprechen. Dabei gibt es dort zahlreiche Organisationen, die genau dies tun. Es gab ja auch eine jüdische Diaspora in Metropolen des Südens, in São Paulo etwa oder in Buenos Aires. In der öffentlichen Debatte wurde sehr stark polarisiert und es wurden Gegensätze aufgemacht, die, wenn man genauer hinsieht, nicht notwendigerweise existieren. Natürlich kann man aus dem globalen Süden sein und Antisemitismus aufs allerschärfste kritisieren. Gerade bei der Dekolonisierung geht es allerdings auch darum, die politische Geschichte des globalen Nordens weitgehender zu erforschen. 

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