Debatte um Kölner Ethnologie-Museum„Die Rückgabe von Objekten ist notwendig“

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Die „Benin-Bronzen“ bei der "I miss you"-Ausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum, 2022.

  • Das Rautenstrauch-Joest Museum arbeitete durch Ausstellungen wie "Resist!" und "I MISS YOU" auch das eigene koloniale Erbe auf
  • Klaus Schneider, der ehemalige Direktor des Museums, warf seiner Nachfolgerin Nanette Snoep vor, durch „aktivistische Tendenzen“ die wissenschaftliche Arbeit auszubremsen
  • Im Interview erörtern Martin Zillinger und Michi Knecht, Dozierende für Ethnologie in der Uni Köln, die Debatte und den Umgang solcher Museen mit der eigenen Vergangenheit

Frau Knecht, Herr Zillinger, der ehemalige Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums, Klaus Schneider, hat seiner Nachfolgerin Nanette Snoep vorgeworfen, sie würde durch aktivistische Ausstellungen die wissenschaftliche Arbeit ausbremsen. Wie schätzen Sie dies ein?

Martin Zillinger: Gerade hat der Internationale Museumsrat eine Neudefinition von Museumsarbeit verabschiedet, zum ersten Mal seit 50 Jahren. Darin wird betont, dass Museen unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen einbinden und Diversität fördern sollen. Genau dies ist in der Kölner „Resist“-Ausstellung geschehen, migrantische Gruppen konnten sich auf bisher nicht da gewesene Weise in die Museumsarbeit einbringen.

Ich sehe das auch als Zeichen eines veränderten Selbstverständnisses der Ethnologie. Kooperation ist ein wesentliches Element, um diese wissenschaftliche Disziplin neu aufzustellen. Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit geht deswegen an der Sache vorbei. Die Vorstellung, Wissenschaftler wüssten besser als ihre Forschungspartner, worum es wirklich geht, ist ein Modell der Vergangenheit.

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Zu den Personen

Michi Knecht ist Lehrstuhlinhaberin für Ethnologie und Kulturwissenschaften an der Universität Bremen.

Martin Zillinger ist Lehrstuhlinhaber für allgemeine Ethnologie an der Universität zu Köln.

Seit 2017 sind sie Co-Herausgeber des Boasblogs DCNtR, der Diskussionen zu ethnologischen Museen bündelt. Gerade ist die Ausgabe „The Post/Colonial Museum“ der Zeitschrift für Kulturwissenschaften erschienen, die aus einer Kooperation mit dem Rautenstrauch-Joest Museum hervorgegangen ist. 

Michi Knecht: Die Ethnologie hat sich immer als empirisch forschende, globale Wissenschaft verstanden, die ihre Erkenntnisse im Dialog mit ihren Forschungssubjekten gewinnt. Diese Idee des Dialoges wird gerade ausgeweitet. Wir sprechen nicht mehr von teilnehmender Beobachtung wie im letzten Jahrhundert, sondern von kollaborativer Wissensproduktion. Insofern finde ich es problematisch, so rigide zwischen Aktivismus und Wissenschaft zu unterscheiden.

Die aktuelle Debatte um die Ethnologie wird auch an anderen Museumsstandorten geführt, meist als Teil der Restitutionsdebatte. Zeigt sich hier ein Generationskonflikt innerhalb der Ethnologie?

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Michi Knecht ist Lehrstuhlinhaberin für Ethnologie und Kulturwissenschaften an der Universität Bremen. 

Knecht: So einfach ist es nicht. Die Restitutionsdebatte ist eine massive Chance für die ethnologischen Museen, sie wird dort stellvertretend für die Gesamtgesellschaft geführt, die ihren Kolonialismus nie aufgearbeitet hat. Im Grunde sind die Museen jetzt in der privilegierten Situation, eine überfällige Debatte zu beginnen. Darüber hinaus ist das vornehmste Ziel der Ethnologie als Wissenschaft, eigene Gewissheiten in Zeiten von Krisen infrage zu stellen und andere Zugänge zur Welt zu finden. Das ist auch bitter nötig, weil wir die Welt mit unseren Praktiken nahe an den Abgrund gebracht haben. Im Übrigen ist die Restitutionsdebatte nicht neu. Afrika kämpft seit 100 Jahren um seine verlorenen Objekte, und ein Ethnologe wie Herbert Ganslmayr, der in den 1970ern und 1980ern vehement Rückgaben befürwortete, wurde von seinen Kollegen damals nahezu mundtot gemacht.

Zillinger: Ich kann die Angst vor Restitutionen innerhalb der Museen durchaus verstehen. Der Ethnologe Fritz Kramer hat das einmal schön auf den Punkt gebracht: Ethnologische Museen belegen und bewahren eine Vielfalt menschlicher Lebensformen, die sich niemand ausdenken könnte. Wenn nun die gesamte in den letzten 120 Jahren geleistete Arbeit derart radikal hinterfragt wird, glauben viele, sie müssten etwas verteidigen. Dabei müssten sie diese Kritik eigentlich umarmen als Vertreter einer Disziplin, die an die Grenzen des eigenen Wissens geht.

Afrikanischen Kunsthochschulen fehlen Objekte zur Ausbildung

In den Debatten fällt oft das Stichwort „Dekolonialisierung“ der Museen. Was kann das überhaupt bedeuten, wenn in den Museen stellvertretend für die Gesellschaft diskutiert wird?

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Martin Zillinger ist Lehrstuhlinhaber für allgemeine Ethnologie an der Universität zu Köln. 

Zillinger: Die ethnologischen Museen haben offenbar eine Entlastungsfunktion für die Gesellschaft, indem man hier die Kolonialismusproblematik räumlich in die Museen und zeitlich in die Vergangenheit projizieren kann. Tatsächlich lässt sich kaum vorstellen, wie „Dekolonialisierung“ in einer Welt erreicht werden kann, die bis heute so stark von kolonialen Strukturen durchzogen ist.

Knecht: Für mich heißt „Dekolonialisierung“, dass alle Museen, nicht nur die ethnologischen, die Geisteswissenschaften und wir alle fit werden für eine globalisierte, vielstimmige Moderne. Wir haben unsere europäischen Konzepte von Wissen und Gemeinschaft in universelle Gesetze gegossen und müssen diese jetzt an der Vielfalt einer globalen Welt einem Praxistest unterziehen. Stimmt das so, was wir denken, oder müssen wir das erweitern oder zurückweisen? Wir leben nicht in einer nachkolonialen Zeit, sondern wir sind an einem Moment angekommen, in dem wir die anhaltenden kolonialen Verflechtungen neu durcharbeiten können, um andere Zukünfte zu eröffnen. Die Museen sollten diese Chance nutzen, sie haben gerade die gesamte öffentliche Aufmerksamkeit.

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Die Kölner Museumsdirektorin Nanette Snoep setzt sich seit vielen Jahren für die Rückgabe der Bronzen ein. 

Wie wichtig sind Restitutionen in diesem Zusammenhang?

Knecht: Die Rückgabe von Objekten ist aus vielen Gründen notwendig, weil sonst beispielsweise afrikanische Kunsthochschulen und Universitäten ihre Studierenden nicht an konkreten historischen Objekten ausbilden können. In unseren ethnologischen Museen liegen so viele Dinge, die anderswo dringender gebraucht werden für die kulturelle Selbstbestimmung.

Zillinger: Gerade in der Kölner „I Miss You“-Ausstellung steht die emotionale Dimension der Restitutionen im Vordergrund. Auch ich musste lernen, wie belastend es etwa für Kolleginnen und Kollegen aus dem südlichen Afrika ist, durch deutsche Museen zu gehen und dort Objekte zu sehen, die ihren Heimatländern entzogen wurden. Erst wenn wir das verstanden haben, können wir über neue Formen wissenschaftlicher Kooperationen, über ein gemeinsames Lernen nachdenken.

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Knecht: Auf dem Kongress „Museum Collections in Motion“, der 2019 im Rautenstrauch-Joest-Museum abgehalten wurde, gab es schmerzhafte Diskussionen mit Wissenschaftlern aus dem globalen Süden. Mir war bis dahin nicht klar gewesen, wie sehr die ethnologischen Museen als Orte kolonialer Gewalt wahrgenommen werden. Restitutionen sind umfänglich nötig, und nicht nur, wenn man im Einzelfall feststellt, diese Objekte wurden im Rahmen eines mörderischen Raubzuges außer Landes geschafft. Wir haben mittlerweile auch gelernt, wie afrikanische Kuratorinnen und Kuratoren ihre Museen, die noch im kolonialen Geist entstanden sind, zu Orten der Versöhnung und Wahrheitsfindung umbauen. Daran sollten wir anschließen.

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