Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Zurück in die Zukunft“-JubiläumAls Mutti auf die Calvin-Klein-Unterhose schielte

5 min
Michael J. Fox (als Marty McFly, l) und Christopher Lloyd (als Wissenschaftler Doc Brown) mit der Zeitmaschine, ein umgebauter Sportwagen vom Typ DeLorean DMC-12. In «Zurück in die Zukunft» wird der von Michael J. Fox verkörperte Held Marty McFly aus dem Jahr 1985 ins Jahr 1955 katapultiert.

Vor 40 Jahren kam Robert Zemeckis Film „Zurück in die Zukunft“ in die Kinos

Vor 40 Jahren kam „Zurück in die Zukunft“ in die Kinos – und veränderte unsere Beziehung zur Vergangenheit.

In Ferdinand Georg Waldmüllers Bild „Die Erwartete“ geht eine junge Frau einen Waldweg entlang, auf den Betrachter zu. Unten, am rechten Bildrand, wartet schon ein Verehrer auf sie, eine Blume in der Hand. Die Erwartete sieht den Liebestollen nicht, sie blickt versonnen auf ihr Mobiltelefon, das sie mit beiden Händen vor sich hält, die Daumen frei zum Tippen. Das Gemälde des österreichischen Malers stammt aus dem Jahr 1860, wir sind mitten im smartphonelosen Biedermeier.

Eine Zeitreisende habe Waldmüller hier gemalt, schlossen messerscharf einige selbst ernannte Kunstdetektive, als das Bild vor etwa fünf Jahren seine Runden durchs Netz machte. Wahrscheinlich hatte sie ihren DeLorean gleich hinter den Bäumen geparkt und suchte jetzt nach neuem Treibstoff für ihren Flux-Kompensator.

Zeitreise-Geschichten existieren wahrscheinlich, seit Menschen den Auf- und Untergang der Sonne beobachteten und über die Unwiederbringlichkeit des just vergangenen Tages grübelten. Wie sollen wir jemals herausfinden, wo wir herkommen, wenn schon das Gestern im Nebel der Erinnerung verloren ist?

Michael J. Fox findet mehr über seine Herkunft heraus, als ihm lieb ist

Michael J. Fox' Marty McFly, der jugendliche Held von Robert Zemeckis Film „Zurück in die Zukunft“, findet mehr über seine Herkunft heraus, als ihm lieb ist. Ja, er hat seine liebe Mühe damit, die begehrlichen Blicke seiner Mutter weg von sich, hin zu seinem Vater in spe zu locken. Marty ist cool und smart, sein Vater eine linkische Ansammlung von Komplexen.

Kaum eine moderne Zeitreise-Geschichte verzichtet darauf, ihrem Publikum das Großvater-Paradox zu erklären:   Verursacht eine in die Vergangenheit gereiste Person den Tod eines ihrer Großväter, noch bevor dieser ihren Vater oder ihre Mutter gezeugt hat, zerstört sie damit die kausale Kette ihrer eigenen Existenz. Es hat sie nie gegeben. Aber wie konnte sie dann den Tod des Großvaters verursachen?

Dieses Paradoxon erfährt in „Zurück in die Zukunft“ eine hübsche ödipale Volte. Wenn Martys Mutter – 1955 sind sie und ihr Sohn gleich alt – den geheimnisvollen Fremden anstelle seines Vaters zum Partner wählt, würde sich der Junge aus dem Jahr 1985 eventuell auslöschen, in dem er sich selbst zeugt. Oder zumindest in einer endlosen Nostalgie-Schleife gezwungen sein, die immer gleichen drei Jahrzehnte zwischen 1955 und '85 zu durchleben.

Mary Steenburgen, Christopher Lloyd & Michael J. Fox Characters: Clara Clayton, Dr. Emmett Brown, Marty McFly Film: Back To The Future Part Iii Back To The Future Part 3 USA 1990

Das Plakat zum dritten Teil von „Zurück in die Zukunft“

Ungefähr so fühlt sich die Popkultur der vergangenen 30 Jahre ja auch tatsächlich an, inzestuös und retromanisch: Der Blick nach vorne führt stets zurück. Da muss man es Zemeckis und Bob Gale, den   beiden Schöpfern der „Back to the Future“-Trilogie hoch anrechnen, dass sie einen vierten Film oder ein Remake mit zeitgenössischer Tricktechnologie kategorisch ausschließen. Sie wissen eben ganz genau, welche katastrophalen Effekte willkürliches Herumpfuschen in der Vergangenheit haben kann.

Schon die beiden ersten, deutlich schwächeren Fortsetzungen waren ungeplant und nur das Ergebnis des überwältigenden Erfolgs des ersten Teils. Damit hatte niemand rechnen können, die ersten beiden Filme des Duos floppten fürchterlich, ihr Drehbuch zu „Zurück in die Zukunft“ wurde – Steven Spielbergs Fürsprache zum Trotz –   44 Mal abgelehnt. 43 Mal, weil es den Studios nicht schlüpfrig genug war – im Teeanger-Segment fuhren damals hormonschwangere Sex-Komödien wie „Fast Times at Ridgemont High“ (in Deutschland unter dem unsinnigen Titel „Ich glaub' ich steh' im Wald“ zu sehen)   und „Porky's“ die großen Gewinne ein.

Und ein Mal, von Disney, weil es zu schlüpfrig war: Ein Film, in dem die Mutter ihren Sohn auf die Calvin-Klein-Unterhose starrte – sie hält die aufgedruckte Marke für seinen Namen –, wollte das Haus der Maus nicht produzieren.

44 Mal lehnten Studios das Drehbuch von Robert Zemeckis und Bob Gale ab

Dabei war ihr Ursprung von disneygemäßer Unschuld: Bob Gale hatte in seinem Elternhaus das alte Highschool-Jahrbuch seines Vaters gefunden. Er betrachtete das Jugendbildnis seines Altvorderen und fragte sich, ob er wohl mit ihm befreundet gewesen wären, hätten sie zur selben Zeit die Schule besucht. Um darauf eine Antwort zu erhalten, müsste man schon in die Zeit zurückreisen. Als er Zemeckis von seiner Idee erzählte, fiel dem ein, wie oft sich die Kindheitsgeschichten seiner Mutter widersprachen: Auch dies ein Nebel, der nur mittels einer plutoniumbetriebenen Zeitmaschine zu lösen schien.

Wie mächtig Film als Zeitbewahrungsmedium ist, weiß jeder Schauspieler, der sich vor allem aufs Theaterfach beschränkte. Jetzt ist „Zurück in die Zukunft“ bereits 40 Jahre alt, am 3. Juli 1985 lief der Film in den amerikanischen Kinos an. Das sind zehn Jahre mehr, als Marty McFly von der mythischen Zeit trennte, in der seine Eltern jung waren. Bekanntlich war er erfolgreich in seinem Unterfangen, das Begehren seiner Mutter in die richtigen Bahnen zu lenken.

Trotzdem kann man das Happy End seiner Zeitreise auch als Tragödie lesen. Die Gegenwart, in die er zurückkehrt, ist eine andere. Der Vater ist kein Versager mehr, sondern ein Bestsellerautor (von Zeitreise-Geschichten), die Mutter glücklich und nüchtern, die Geschwister so strebsam, wie es sich für die Reagan-Jahre gehörte. Aber seine Reise zeitigt unerwartete Konsequenzen: Die Familie, mit der er aufgewachsen ist, hat Marty durch seine neugierigen Interventionen ausgelöscht. Er lebt jetzt unter Fremden, er ist aus der Zeit gefallen.

Im Gegensatz, übrigens, zur schönen Spaziergängerin aus dem Waldmüller-Gemälde. Deren vermeintliches Smartphone entpuppt sich bei näherem Hingucken als Gebetbuch.