30-jähriger KriegKünstler versuchen verstörende Erfahrungen in Werken zu verarbeiten

Lesezeit 6 Minuten
„Der geharnischte Reiter“– eine Radierung von Hans Ulrich Franck aus dem Jahre 1643

„Der geharnischte Reiter“– eine Radierung von Hans Ulrich Franck aus dem Jahre 1643

Köln – Es gehört zu jenen Bildern, die allemal für Alpträume gut sind: Die Mitte wird von einem geharnischten Reiter beherrscht, dessen Rechte mit todbringender Gewalt ein Schwert schwingt. Der Blick des Reiters geht nach links unten, wo bereits ein menschliches Opfer unter den Hieben oder auch den Huftritten zu Boden gegangen ist. Zwei andere, denen dieses Schicksal bevorzustehen scheint, fliehen vor Mann und Pferd zum linken Bildrand weg, rechts im Hintergrund erblickt man als Kontrapost schemenhaft ein brennendes Dorf.

Es handelt sich hierbei um die Radierung „Der geharnischte Reiter“, die der Augsburger Künstler Hans Ulrich Franck im Jahre 1643 anfertigte, also im 25. Jahr jenes Ereigniskomplexes, der als der „30-jährige Krieg“ in die Geschichte einging – und seinerzeit noch fünf Jahre zu dauern hatte. Und dies, obwohl die Gegner auf dem Schlachtfeld längst einander erschöpft hatten, eine Pattsituation herrschte und in Münster die Verhandlungen begonnen hatten, die schließlich zum Westfälischen Frieden führten.

Traumatische Erfahrung

Vor allem Europa gedenkt im soeben angebrochenen Jahr des Kriegsausbruchs vor 400 Jahren; eines Krieges, der mit der Beförderung dreier kaiserlicher Beamter durch einige böhmische Aufständische aus zwei Fenstern der Prager Burg begann und an dessen Ende vor allem große Teile der deutschsprachigen Länder verwüstet dalagen, ihrer Bevölkerung beraubt, ausgeplündert, abgebrannt, wirtschaftlich und ökologisch zugrunde gerichtet.

Ein lange nachwirkendes Trauma der europäischen, vor allem aber der deutschen Geschichte und Inbegriff jener Vernichtungsfurie, die dann erst wieder in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts entfesselt wurde.

Bereits die Zeitgenossen reagierten mit Grauen und Entsetzen auf den Krieg und seine Gräuel – und die Künstler unter ihnen (um die es in diesem Beitrag geht) versuchten mit ihren Mitteln, die sie verstörende Erfahrung zu verarbeiten – auch noch danach, im Frieden der zweiten Jahrhunderthälfte, soweit sie sie erlebten.

Eine große Ohnmacht

Zu ihnen gehörte der Zeichner Franck, der seine 25 einschlägigen Radierungen vor und nach 1648 schuf. Als Augsburger Bürger lebte er in einer vom Krieg besonders stark heimgesuchten Gegend. Freilich wird er die auf seinem Blatt festgehaltene Situation nicht persönlich erlebt haben, er imaginierte sie wohl anhand von Augenzeugenberichten.

Sie aber, die Situation, ist für das Erfahrungsdesign des 30-jährigen Krieges, genauer: der von ihm gequälten Zivilbevölkerung, signifikant genug: Es handelt sich nicht um eine „ordentliche“ Schlacht, sondern um einen jener dokumentarisch tausendfach belegten Überfälle einer enthemmten, plündernden und mordenden, ihrerseits allerdings ebenfalls verzweifelten und vom Hungertod bedrohten Soldateska auf schutzlos-ohnmächtige Dorfbewohner.

Der berühmteste Roman der Epoche, Grimmelshausens „Simplicissimus Teutsch“, beginnt mit einer ähnlichen Szene: dem Überfall schwedischer Soldaten auf den elterlichen Bauernhof im Spessart. Der setzt eine abenteuerliche, von ungeahnten Umschwüngen geprägte, sie völlig entwurzelnde Odyssee der Titelfigur auf dem wilden Ozean des Krieges frei, in der das Lebensschiff mal auf der Welle liegt, mal von ihr verschlungen zu werden droht. Am Ende steht eine einsame Insel – die Kriegserfahrung wird hier verallgemeinert zur Absage an die betrügerische „Frau Welt“ als solche.

Der Reiter aus der Apokalypse

Zurück zu Francks Radierung: Die destruktive Dynamik des Angriffs, die Übermacht des Reiters gegenüber den ihm Ausgelieferten ist auf dem Blatt beklemmend naturalistisch, wenn auch in der Ausarbeitung der Gesten ekstatisch gesteigert eingefangen – und wird zugleich mythisch überhöht: Der Mann auf dem Pferd transformiert sich zu einem der Reiter aus der Apokalypse des Johannes.

Damit wird die lebensweltliche Erfahrung in den Horizont einer wie auch immer gearteten religiösen Deutung gestellt; der sie macht, begreift sich als Zeuge einer „Endzeit“ im weitesten Verständnis. Irgendeine Hoffnung indes vermittelt die Radierung nicht: Es ist das pure Entsetzen, der Schrecken über die von Menschen produzierte Hölle auf Erden, die dem Künstler die Nadel zu führen scheint.

Hoffnungslos ist auch das vielleicht berühmteste Gedicht des deutschen „Barock“: Andreas Gryphius’ Sonett „Tränen des Vaterlands“, erstmals 1637 im polnischen Lissa, dann im geraumen Abstand nach gründlicher Überarbeitung vor und nach 1648 (zuletzt 1663) erschienen. „Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!“, beginnt in rhetorischer Hochrüstung und mit niederschmetternder Bildmacht die letzte und bekannteste Version, „Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun/ Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun/ Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.“ Und dann kommen sie auch hier, die apokalyptischen Reiter mit „Feuer, Pest und Tod“ und hinterlassen eine Landschaft, in der die „Flüsse von Leichen fast verstopft“ sind.

Bemerkenswert ist übrigens, dass eine militärisch inspirierte Emblematik selbst in Texte hineinschwappt, die den Krieg nicht zum Thema haben. „Die Nacht schwingt ihre Fahn/ und führt die Sternen auf“, heißt es großartig genug in dem Gryphius-Sonett „Abend“. Darin geht es zentral um Eitelkeit und Vergänglichkeit – aber Nacht und Sterne marschieren, was sie ja in diesem Kontext nicht müssten, in der Ordnung eines Infanterieregiments.

Künstler reagierten unterschiedlich

Auch in der Musik der Zeit ist diese dort spürbar, wo es vordergründig nicht um Krieg geht – jedenfalls nicht den konkreten Krieg der 30 Jahre. „Wie liegt die Stadt so wüst“ aus den Klageliedern des Jeremias wird von dem Schütz-Schüler Matthias Weckmann mit einer Dringlichkeit vertont, die ohne die zeitgenössische Erfahrung kaum erklärbar scheint – und das, obwohl, wie Gryphius aus Schlesien ins kriegsferne Danzig und Schütz nach Italien, Weckmann vor dem Krieg nach Dänemark und Hamburg flüchtete.

Freilich war die Reaktion der Künstler auf das, was da geschah, alles andere einheitlich. Es gibt, den Interessen der Auftraggeber entsprechend, auch den „repräsentativen“ Krieg „von oben“: Der Niederländer Pieter Snayers etwa malte pompös-dekorative Schlachtenschinken, die das ganze Entsetzen ausgrenzen, das Sterben und Verstümmelt-Werden. Und an Ölschinken mit Fürsten und Gefechtslenkern hoch zu Ross ist ebenfalls kein Mangel.

Der Krieg bleibt

Velázquez’ 1635 gemaltes Bild „Die Lanzen“, besser bekannt als „Die Übergabe von Breda“ (es bezieht sich auf ein Ereignis des Jahres 1625), verherrlicht Macht und Großmut des spanischen Imperiums. Und selbst die eindringlichen Radierungen des Lothringer Kupferstechers Jacques Callot zu den „Großen Schrecken des Krieges“ von 1633 wenden sich, so argumentiert jedenfalls der Politologe Herfried Münkler, nicht prinzipiell gegen den Krieg – solange der nur diszipliniert geführt wird und die Zivilbevölkerung in Ruhe lässt.

Der Krieg war 1648 vorbei, die künstlerische Befassung mit ihm, wie gesagt, nicht. Zu einschneidend, zu monströs, zu im schlimmsten Sinn epochemachend war das Erlebnis gewesen. Schillers Dramentrilogie „Wallenstein“, Brechts „Mutter Courage“ (die, argumentativ verfehlt, den Krieg marxistisch-monokausal aus der Ökonomie erklärt) und Günter Grass’ Erzählung „Das Treffen in Telgte“ (in der es allerdings de facto nicht um den Krieg, sondern um die Gruppe ’47 geht) – all diese Texte zeigen die fortwährende Bedeutsamkeit und Unabgegoltenheit des Themas an. Mit Daniel Kehlmanns aktuellem Bestseller „Tyll“ kommt die Reihe zu einem vorläufigen Abschluss. In der Kunst ist der 30-jährige Krieg offensichtlich noch nicht zu Ende.

KStA abonnieren