ARD-DokuWettmafia nutzt den schönen Schein

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Über die ganze Welt verteilt gibt es Wettbüros.

Über die ganze Welt verteilt gibt es Wettbüros.

Köln – Die Wasserflasche ist das Zeichen. In der 72. Minute legt der albanische Torhüter sie in der Mitte vom Tor ab – und plötzlich gleiten ihm die lockersten Schlenzer durch die Finger, seine Abwehrspieler stellen die Arbeit ganz ein. In wenigen Minuten schießt das zuvor klar unterlegene Team von Rapid Wien vier Tore. „Einige davon wirklich grotesk“, sagt Rudolf Stinner, ehemaliger Chefermittler der Uefa. Ein Beispiel für Spielmanipulation in der Europa League, bei dem sich ausnahmsweise etwas beweisen lässt.

Dass Manipulationen im Fußball ansonsten aber ebenso allgegenwärtig wie unkontrollierbar sind, machte die Dokumentation „Im Griff der Zockermafia“ deutlich – von der ARD leider erst um 23.30 Uhr ausgestrahlt. Benjamin Best, Uwe Schwering und Hervé Martin Delpierre haben sich auf eine desillusionierende Reise durch die Unterwelt des Sports begeben, die sich in nichts von anderen Zweigen des organisierten Verbrechens unterscheidet. Prostitution, Drogenhandel – diese Parallelen ziehen die befragten Ermittler, Anwälte wie Wettbetrüger. Doch was den Fußball anders macht: Ihm haftet nach wie vor der schöne Schein an, der Saubermann-Geruch. Die perfekte Tarnung zur Geldwäsche. Und so pilgern Tausende Fußball-Fans weiter an Wochenenden zu Spielen, deren Ausgang schon lange nicht mehr von den Akteuren auf dem Platz, sondern von Geldgebern aus aller Welt bestimmt wird.

Zentrum in Singapur

Das Zentrum der Geldmaschinerie: Singapur. Ihr bevorzugtes Angriffsziel: lokale Vereine in Deutschland. Dabei gilt das Prinzip: Je niedriger die Klasse, desto wahrscheinlicher der Betrug. Denn warum viel Geld auf einen hochrangigen Bundesliga-Spieler verschwenden, wenn bei den Amateuren und der Jugend maximale Profite zu minimalem Risiko zu haben ist? Und man auf ihre Spiele online ebenso leicht Riesenbeträge setzen kann? Von Interesse seien nicht die „Cristiano Ronaldos und David Beckhams“, so drückt es ein Wettagent in Singapur aus, sondern die Kleinen, Schlechtbezahlten, die Anfälligen.

Gewettet werden kann von überall auf beinahe jedes Spiel – Webseiten wie Tipico machen es möglich. Die internationale Vernetzung wiederum verhindert die Kontrolle: Die Doku zeigt, dass die von DFB, DFL und Fifa eingeführten Frühwarnsysteme für auffällige Wetten den Bereich der Livewetten nicht abdecken. Gerade hier aber findet ein Großteil der Manipulationen statt. Außerdem bleibt weiterhin ein gigantischer Markt von Wettanbietern, der sich aus guten Gründen gar nicht erst zur Datenübermittlung an „Early-Warning-Systemen“ beteiligt.  

Spielabläufe werden vorgegaukelt

Der virtuelle Wett-Wahnsinn geht so weit, dass manchmal gar nicht mehr auf Ereignisse gesetzt wird, die tatsächlich stattfinden. Das Spiel der U 21 aus Turkmenistan gegen die Mannschaft der Malediven in Kuala Lumpur im Januar 2012, online für Wetten ausgeschrieben, mit einem Endstand von 3:2 verbucht – nie passiert. „Gewisse Spielabläufe werden wie nach einem Drehbuch live vorgegaukelt“, erklärt Ex-Uefa-Ermittler Rudolf Stinner das Prinzip des „Geisterspiels“. Gewettet wird auf Fiktives, zahlen müssen die Anbieter am Ende dennoch. „Denn sie haben ja dagegen gewettet.“ Vielleicht das drastischste Beispiel für die Bedeutungslosigkeit des Sports im Wettgeschäft.

Nicht alles was Best, Schwering und Delpierre in ihrer Doku zeigen, ist neu, manches wird unnötig explizit vermittelt. Doch „Im Griff der Zockermafia“ geht den Weg vom Fan über den Fußballer bis hin zum Spieler am Computer-Bildschirm. Besonders bei der Spurensuche in Asien und im Gespräch mit den Ermittlern gelingt es, die Reichweite des Betrugs und die Hilflosigkeit der Verbände fassbar zu machen. Und klarzustellen: Diese Lawine ist nicht mehr aufzuhalten. Weißrussland, Zagreb, Moskau – Rudolf Stinner zählt neue Hochburgen des Glücksspiels auf. Und befindet lapidar: „Es geht schon munter weiter.“

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