Das Märchen vom guten Nazi

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Der Auftritt war inszeniert wie ein Staatsbesuch. Zahllose Reporter und Kamerateams, mehr als tausend Schaulustige, Volksfeststimmung. Dann fuhr der Hauptdarsteller im schicken Mercedes durch das Tor des Gefängnisses von Spandau, chauffiert von einem Fahrer. Doch auf der Rückbank der Limousine saß kein Staatsgast, sondern ein Kriegsverbrecher. Als Albert Speer im Oktober 1966 um Punkt Mitternacht das Gefängnis nach einer 20-jährigen Haftstrafe verließ, stand er am Beginn seiner zweiten erfolgreichen Karriere – als scheinbar geläuterter Nazi. Und die Deutschen kauften ihm seine Lügen nur zu gerne ab, wie die Ausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik – Vom Umgang mit der deutschen Vergangenheit“, die nun im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist, eindrucksvoll belegt. „Er hat die Erinnerungskultur so verdreht, dass man von einer Unkultur sprechen muss“, sagt Werner Jung, Direktor des NS-Dok.

Die Schau, die das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte konzipiert hat, zeigt auf, wie es Speer gelang, durch gezielte Lügen und Manipulationen die deutsche Öffentlichkeit für sich einzunehmen. Ja, mehr noch, er erschuf eine Marke, die so stark war, dass sie ihn reich machte, wie der Historiker Alexander Schmidt vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände erläutert. Bis 1976 wurden in Deutschland jeweils etwa 300 000 Exemplare der „Erinnerungen“ und „Spandauer Tagebücher“ verkauft.

Die Ausstellung belegt, wie der Verleger Wolf Jobst Siedler und der Publizist Joachim Fest intensiv inhaltlich und stilistisch an den Manuskripten mitwirkten. Sie halfen mit, das Lügengebäude zu errichten. So wies Fest Speer in Briefen darauf hin, dass er bereits in früheren Passagen der Erinnerungen erste Zweifel am NS-Regime erwähnen müsse, um seine angebliche spätere Läuterung glaubhaft zu machen. Genau das tat Speer dann.

Der Stararchitekt Hitlers und Rüstungsminister verfolgte dabei seit Beginn der Nürnberger Prozesse eine gezielte Strategie. „Er gibt ganz allgemein zu, Schuld auf sich geladen zu haben, spielt den Zerknirschten. Er war der Musterangeklagte in den Prozessen. Es war die perfekte Fassade“, so Schmidt. Sobald es aber konkret wurde, behauptete Speer dann stets, nichts gewusst zu haben. Auschwitz etwa sei ihm nicht bekannt gewesen. Eine Lüge, wie schon früh zugängliche Dokumente belegen.

Speer genehmigte persönlich am 15. September 1942 das Ausbauprogramm für Auschwitz mit Kosten von 13,7 Millionen Reichsmark. Er war über die Konzentrationslager bestens informiert. Die Ausstellung zeigt auf, dass eine kritische Auseinandersetzung mit Speer erst nach seinem Tod im Jahre 1981 einsetzte, denn auch viele Historiker hatten sich blenden lassen, zogen es vor, Speers Schilderungen zu glauben, anstatt sich mit den Quellen auseinanderzusetzen.

An der Figur Albert Speers wird deutlich, wie sehr sich die Deutschen nach Entlastungs- und Rechtfertigungsstrategien sehnten. Sie brauchten die Legende vom guten Nazi, um sich selbst frei zu sprechen. Wenn er es schon nicht gewusst hatte, wie hätten sie dann etwas von den Verbrechen der Nazis erfahren können? Speer hat diese Sehnsucht sehr klug und analytisch für seine Zwecke genutzt. Er sei ein Egoist gewesen, sagt Schmidt, nur auf seinen Vorteil bedacht. Er werde häufig mit der Frage konfrontiert, ob Speer am Ende vielleicht selbst an seine erfundene Biografie glaubte. Für den Historiker kann es darauf nur eine Antwort geben: „Er wusste ganz genau, dass er lügt.“

AUFRUF DER AUSSTELLUNGSMACHER

Die Ausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik – Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ ist im NS-Dok bis zum 8. August zu sehen.

Historiker Alexander Schmidt ruft die Leser auf, Speers „Spandauer Tagebücher“ oder seine „Erinnerungen“ für die Ausstellung zu stiften. Die Macher integrieren sie in die Schau, um zu zeigen, wie sich Speer als Marke inszenierte. Exemplare können im NS-Dok zu den Öffnungszeiten abgegeben werden.

Historiker Alexander Schmidt

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