Heinrich BöllDer Nobelpreisträger und seine Hassliebe zu Köln

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Köln – Der Blick der Stadt Köln auf ihren bekanntesten Schriftsteller ist im Jahre 2017 von Respekt geprägt: „Heinrich Böll ist ein herausragender Autor und durch seine Werke unsterblich geworden.“ So sagte es Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf einer Gedenkveranstaltung Ende November im VHS-Forum. „Im Geiste Heinrich Bölls“ sollte bei dieser Gelegenheit demonstrativ und offiziell an den Dichter und Zeitkritiker erinnert werden.

Aus gutem Grund. Denn vor 100 Jahren, am 21. Dezember 1917, wurde Heinrich Böll in Köln geboren – der Literatur-Nobelpreisträger der Stadt. Dass die Beziehung zwischen ihr und ihm allerdings nicht nur auf Liebe gebaut war, wurde bei der Erinnerungsfeier nicht verschwiegen – doch dazu später mehr.

Köln war Bölls Stadt ein Leben lang

Köln war Bölls Stadt ein Leben lang. Hier wurde er 1917 in der Teutoburger Straße 26 geboren und wuchs in Raderberg in der Nähe des Vorgebirgsparks auf. Er genoss die „Straßenschule“ der Kindheit und Jugend. Was er dort gelernt hat, beschreibt Jochen Schubert in seiner kürzlich erschienenen Biografie: „Raderberg war für den jungen Heinrich Böll die Welt, in der sich seine Sinne für gesellschaftliche Schichten und Ansichten, Sozialformen und –normen entwickelten.“

In Köln auch erlebte er das Losbrechen des Nationalsozialismus. Adolf Hitler sah er bei dessen Besuch im Jahre 1933 und schrieb in seine Schulbuchausgabe von Xenophons „Anabasis“: „Faschisten-Kanone Hitler sabbert; ein abgerutschter Sozialist, genannt Hitler (N.S.D.A.P.) macht sich unliebsam laut – Tod den Braunen.“

Und als Hermann Göring 1934 die Ehrenbürgerwürde verliehen wurde, vertraute er dem Schulbuch an: „Leck mich am Arsch Faschisten-Häuptling Göring.“ Als dann der Krieg ausbrach, sehnte Böll sich an der Front nach Freundin Annemarie, die er 1942 heiratet, und er sehnt sich nach Köln. Beide Sehnsüchte vermitteln sehr lebendig seine Kriegstagebücher, die erst in diesem Jahr veröffentlicht worden sind.

In seiner Heimatstadt fand er Stoff und Schauplatz für viele Werke. Ralf Schnell schreibt in seiner ebenfalls vor kurzem veröffentlichten Biografie: „Zentrales Thema, Fluchtpunkt und Leitmotiv des Erzählens: All dies ist die Metropole am Rhein zeit seines Lebens für Heinrich Böll zweifellos gewesen.“ Die Stadt sei dem Autor als „eine Art Weltmodell“ vorgekommen, ein Ort, der als Exempel zu verstehen sei, an dem sich große historische und soziale Prozesse „en miniature“ nachvollziehen ließen.

Gewiss ergibt sich aus den Fiktionen kein Porträt der Stadt. Doch wer sich einmal darauf einlässt, in der Werkausgabe die Anmerkungen zu Bölls herausragendem Roman „Gruppenbild mit Dame“ zu lesen, wird an den vielen offenen oder versteckten Bezügen zu kölnischen Stätten und Personen seinen Spaß haben.

Ambivalentes Verhältnis zur Geburtsstadt

Die 27 Bände umfassende „Kölner Ausgabe“ erscheint bei Kiepenheuer & Witsch. Im Jahre 1952 war Böll von Middelhauve in Opladen zum Kölner Verlag gewechselt. Dieter Wellershoff war dort einige Jahre lang sein Lektor. Für den Verlag war und ist dieser Autor ein Glücksfall.

Böll allerdings pflegte zu dem damals noch in Marienburg residierenden Haus ein ambivalentes Verhältnis. So verbindlich er in der beruflichen Zusammenarbeit war, so distanziert blieb er bei öffentlichen Auftritten, etwa bei seiner Rede zum 25-jährigen Bestehen des Verlags im September 1974. Reinhold Neven Du Mont, der 16 Jahre lang Bölls Verleger war, sagte einmal im Kölner Literaturhaus: „Als Institution war ihm der Verlag »verdächtig«, gehörte zur »Großindustrie«, also ins feindliche Lager. Aber wenn er seinem Verleger, ebenso seinem Lektor oder anderen Mitarbeitern des Verlages persönlich begegnete, war er anteilnehmend, einfühlsam, auch verständnisvoll.“

Köln lag ihm in seiner Kindheit am Herzen

Ambivalenz – das ist eine Vokabel, die nicht so selten ist, wenn es um Heinrich Böll gilt. Das gilt zumal für seine Sicht auf die Stadtlandschaft. Der Literatur-Nobelpreisträger von 1972 kannte ja das alte Köln, das zertrümmerte Köln und das wiederaufgebaut Köln. Keine Frage, dass ihm die Stadt seiner Kindheit vor allem am Herzen lag. Und keine Frage auch, wie fremd ihm die wiederaufgebaute Stadt erschien. Wo mancher Aufbruch sah, sah er vor allem Profit; wo andere von Modernität sprachen, sprach er von Zerstörung. All der Beton, der verbaut worden ist, und all die Straßenschneisen, die für den Autoverkehr geschlagen wurden, sah er als Übel an. Sein Langgedicht „Köln III“ fängt so an: „die Stadt/ in freudloser Sonne/ verödet“.

Ja, die Beziehung war nicht nur auf Liebe gebaut. Oberbürgermeisterin Reker hat es bei der Jubiläums-Feier festgestellt. Bölls Verhältnis zu Köln sei – Achtung! – „ambivalent“ gewesen. Sie fügte hinzu: „Und das galt auch umgekehrt.“ Die Kölner seien nicht immer einverstanden gewesen mit der Kritik, die der Schriftsteller an der Stadt geübt habe. Nicht nur das Stadtbild kritisierte er. Nicht nur Selbstgenügsamkeit und eine „fast römische“ Arroganz.

Der Katholik konnte sich auch aufreiben an der Amtskirche, die in Köln zu seiner Zeit eine noch festere Burg war als heute. Und wo ihm die real praktizierte Politik missfiel, ließ er es die Öffentlichkeit wissen. Dies nicht allein zu Zeiten Konrad Adenauers, der just in dem Jahr Kölner Oberbürgermeister wurde, in dem Böll zur Welt kam. Als sich der Autor beispielsweise in den 70ern in die Terrorismus-Debatte einmischte, war er für viele Konservative auf einmal ein rotes Tuch – auch in Köln.

Streit um Verleihung des „Ehrenbürgerrecht“

Heinrich Böll PK 1970

Heinrich Böll auf einer Pressekonferenz in Castrop-Rauxel aus dem Jahr 1970.

Beeinflusst von Bölls Einschätzungen der politischen Lage war der Streit vor der Verleihung des „Ehrenbürgerrecht“ im Jahre 1982 – anlässlich seines 65. Geburtstags. Die CDU im Stadtrat war zunächst nur bereit, Böll als den „meisterhaften Erzähler und Schriftsteller von internationalem Rang“ zu ehren, nicht aber – wie im Entwurf vorgesehen – „den „kritischen und engagierten Beobachter gesellschaftlicher Fehlentwicklung“.

Oberbürgermeister Norbert Burger (SPD) gelang es, Böll von einem Verzicht auf die Ehrung abzubringen und den politischen Graben zu schließen. Die Kompromissformel sah dann vor, neben der literarischen Leistung auch die „Spannweite“ des „gesellschaftlichen Engagements“ zu würdigen. Diese Wortwahl erhielt eine breite Zustimmung im Rat. Die Feier fand dann Ende April 1983 statt.

Hassliebe zu Köln?

War es eine Hassliebe, die Böll mit Köln verband? Auf keinen Fall. Der Autor bewahrte sich lediglich den kritischen Blick. Geschunkelte Tümeleien waren nicht seine Sache. Und über den Tellerrand schaute er gewiss. Dass es sich hier um die schönste Stadt Deutschlands (Europas? der Welt? des Orbits?) handele, wäre ihm nie ernsthaft über die Lippen gekommen.

Dennoch fand er so manches gut. Vor allem den Rhein, auf dessen Uferpromenade er gerne spazieren ging. Er schätzte die romanischen Kirchen sehr – mehr als alles Gotische. Zudem die Madonnen-Bildnisse und Madonnen-Statuen. Und die Straßenbahnschaffner. Überhaupt die Kölner! Geradezu eine Liebeserklärung ist der frühe, 1953 veröffentlichte Text

„Köln eine Stadt – nebenbei eine Großstadt“ von 1953, worin es heißt, die Kölner seien „die am wenigsten fanatische Rasse, die ich kenne.“ Und in dem späten, 1981 gedruckten Text „Was soll aus dem Jungen bloß werden?“ nennt er als Charakteristikum, dass der Kölner weltliche und kirchliche Autoritäten „nie so recht ernst, schon gar nicht wichtig“ genommen habe. Er mochte sie schon, diese Stadt und ihre Menschen.

In Straßen wie diesen

Auf jeden Fall kannte er die Stadt so gut wie nicht viele andere. Allein die Zahl der Adressen mögen dafür ein Beleg sein. In Straßen wie diesen war er zuhause: in der Teutoburger Straße, der Kreuznacher Straße, am Ubierring, in der Maternusstraße, am Karolingerring, in der Kleingedankstraße, der Neuenhöfer Allee, der Schillerstraße, in der Belvederestraße und zuletzt in der Hülchrather Straße.

Im Jahre 1982 zieht die Familie dann aus der Stadt hinaus nach Bornheim-Merten. Die Treppen hoch in den zweiten Stock der Hülchrather Straße waren für Heinrich Böll beschwerlich geworden, zudem wohnte schon Sohn René in dem Ort im Vorgebirge. Dort befindet sich auch das Grab des Schriftstellers. In einer Broschüre, die die Gemeinde soeben veröffentlicht hat, wird der ehemalige Stadtarchivar Christian Lonnemann zitiert: „Vom alten Mertener Friedhof kann man je nach Wetterlage sehr weit schauen. Zu Lebzeiten hatte Böll von hier immer sein Köln im Blick.“ 

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