Interview mit James Bridle„Trump will zeigen, wie schrecklich diese Welt ist”

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James Bridle

  • Sein Buch„New Dark Age“ hat James Bridle zum Popstar der Digitalisierungskritik gemacht.
  • Im Interview erklärt er, wie Brexit-Befürworter und Donald Trump das Internet für ihre Zwecke nutzen und warum uns ein neues dunkles Zeitalter sogar gefallen könnte.

Herr Bridle, der Schriftsteller H.P. Lovecraft sagte einmal, der Mensch könne in zu viel Information ertrinken. Im Internet-Zeitalter hat man den Eindruck, man weiß immer mehr. Halten wir den Kopf trotzdem noch über Wasser?

Wir glauben immer, je mehr Informationen wir haben, desto besser werden wir auch unsere Entscheidungen treffen. Die Fakten sprechen jedoch dagegen. Eines der klaren Ergebnisse unseres seit einem halben Jahrhundert andauernden Experiments mit der Informationstechnik zeigt, dass Information allein nicht genügt, um unsere Ziele eines vernünftigen Handelns zu erreichen. Dass wir angeblich mit einem Knopfdruck über alle Informationen verfügen, die wir brauchen, zerstreut uns in Wirklichkeit und sorgt für Konfusion. Einer der Gründe, warum ich mein Buch „New Dark Age“ geschrieben habe, ist die Erkenntnis, dass das Internet als ein globales System enormer Macht und Energie, uns dazu ermächtigen soll, bessere Entscheidungen zu treffen, offensichtlich eine Art Angst und Wut hervorbringt und die Leute spaltet. Und dass wir immer weniger verstehen von der Welt und immer mehr in Extreme abgleiten.

„New Dark Age“ ist ein ziemlich düsterer Titel.

Der Titel entspringt der Einsicht, dass wir weniger über die Welt wissen als zuvor, und als wir vielleicht annehmen mögen. Zudem wird die Macht – die politische wie die finanzielle – in den Händen von immer weniger Menschen konzentriert. Was mich immer beunruhigt, ist die Frage, wer das Sagen hat und welche Absichten dahinterstecken – oder ob sie sich ihrer Absichten überhaupt bewusst sind.

Wir verstehen die Technik nicht?

Die Technologie des Internets ist nur sehr wenigen Menschen zugänglich. Es ist unmöglich, hier einen Zugang zu finden. Es ist zwar möglich, einen Computer zu benutzten, aber das meiste, was ein Computersystem macht, ist für uns völlig unsichtbar. Wir übersehen nur einen kleinen reduzierten Satz an Möglichkeiten, was diese Maschinen tatsächlich in der Lage sind zu tun.

Deshalb verstehen wir also auch die Welt nicht mehr?

Wir haben im letzten Jahrhundert diverse Modelle entwickelt, um die Welt um uns herum besser verstehen zu können. Als ein Resultat haben wir versucht, das Wetter vorhersagen zu können, was absolut nützlich ist für Reisen, für die Landwirtschaft etc.

Das ist doch positiv.

Ja, es war eine der bedeutendsten Formen von Wissen, die wir je entwickelt haben. Das haben wir geschafft, indem wir immer mehr Daten gesammelt und immer bessere Computermodelle entwickelt haben, um die Zukunft vorherzusagen. Aber in der Folge des Klimawandels sind diese Modelle immer weniger genau, und unsere Fähigkeit, die Zukunft zu verstehen, ist zunehmend geringer geworden.

Warum ist das eingetreten?

Weil der Klimawandel eine Folge unseres mechanistischen Denkens ist: des Glaubens, wir könnten die Welt durch Technik allein verstehen und beherrschen. Nicht allein die Polkappen schmelzen durch den Klimawandel, sondern auch unser lange Zeit für sicher gehaltenes Wissen, was es noch schwieriger für uns macht, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich bezeichne das als „Computerdenken“, ein Ausdruck, den ich für diese sehr enge Denkweise verwende, die die unendliche Vielfalt der Welt auf Daten reduziert. Eine Denkweise, die annimmt, alles sei berechenbar und vorhersagbar.

Zur Person

James Bridle (geb. 1980) ist bildender Künstler und Autor aus London. Er hat Computer Science und Cognitive Science am University College in London studiert und über künstliche Intelligenz promoviert. Seine künstlerischen Arbeiten und Installationen wurden in Galerien und Museen weltweit ausgestellt. 2015 wurde er vom Magazin „Wired“ zu den hundert einflussreichsten Menschen in Europa gezählt. Sein im vergangenen Jahr auf Englisch erschienenes Buch „New Dark Age“, das nun im Verlag C. H. Beck in einer deutschen Übersetzung vorliegt, hat ihn zum Popstar der Digitalisierungskritik gemacht.

Ist es wie in dem Film Matrix, dass wir Realität und Fiktion nicht mehr trennen können?

Die Netzwerke beeinflussen unser Verhalten. Die meisten Menschen, und das ist das Problem, wissen das nicht, und ihnen ist nicht klar, wie diese Netzwerke, wie etwa eine Cloud, funktionieren. „Die Wolke“ scheint ein magischer Ort in der Ferne zu sein, tatsächlich ist sie aber sehr real und konkret: Sie besteht aus riesigen Gebäuden voller Computer und gehört Firmen, die die Software von Menschen mit bestimmten Absichten schreiben lassen. Das macht sich kaum jemand bewusst. Für die meisten ist die Technologie heute doch genau so alltäglich wie die Tapete an ihren Wänden. Und dabei verstehen wir gar nicht, wie ernst und konkret uns das in unserem Leben beeinflusst. Der Bezug zur Matrix sollte also dahingehend gezogen werden, dass wir die Kräfte verstehen müssen, die unser Leben bestimmen, damit wir wieder die Kontrolle zurückgewinnen.

Sie sind ein Romantiker? Ist Ihre Kritik am Fortschritt nicht einfach eine Romantisierung der Vergangenheit?

Ich hege gewiss keinerlei Absicht, zur Vergangenheit zurückzukehren. Ich will eine bessere Gegenwart und eine bessere Zukunft durch meine Kritik erreichen. Und der einzige Weg, dies zu tun, ist, für eine bessere Bildung und ein besseres Verstehen der Technologien einzutreten, die diese Entwicklungen für die Zukunft steuern.

Aber hat das Internet seinem Anspruch nach nicht eine ehrenhafte Absicht: uns über die Welt aufzuklären? Eric Schmid von Google trieben doch auch positive Motive an.

Eric Schmid ist ein wirklich gutes Beispiel. Er glaubte an eine Art neue Sichtbarkeit im Sinne der Aufklärung. Es ist der Glaube, dass durch Computer und Smartphones alles erkennbarer sein würde, wie durch die Kamerafunktion des Smartphones die Welt bildlich eingefangen wird. Wo Information erreichbar ist und wir die jeweils bessere Information nutzen können, verbessern wir auch unser Handeln. Wachsende Sichtbarkeit ist sozusagen alles. Genau diese Situation ist jedoch nicht eingetreten. Im Gegenteil. Wissen allein reicht nicht. Die wachsende Informationsmenge hat eher zu einer Spaltung der Menschheit geführt.

Sie meinen Trump und der Brexit als Negativbeispiele der Macht der Digitalisierung.

Es ist sehr offensichtlich, dass sie diese technologischen Möglichkeiten für ihre Ziele genutzt haben. Es geht ihnen aber gar nicht so sehr darum, Menschen zu überzeugen. Sie wollen vielmehr zeigen, wie schrecklich diese Welt ist, so dass niemand mehr Lust hat, an ihr teilzunehmen. Das gilt für die russischen Cyber-Attacken wie auch für Trumps Sender oder die Brexit-Kampagne, die alle dieselbe Motivation haben: zu zeigen, was für ein Horror auf der Welt herrscht. Es sind aber nicht die Technologien an sich, denn die Techniken können von beiden Seiten genutzt werden, wie man in der Kampagne von Barack Obama – „Yes, we can“ – vor einigen Jahren gesehen hat.

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Sie fordern eine bessere Ausbildung. Wie sieht die aus?

Das ist ganz einfach. Es liegt ein Vorsatz darin, dass die Welt so funktioniert, wie wir sie jetzt vorfinden. Die Computer sollen die Welt ja vermeintlich einfacher machen, das stimmt ja auch in vielen Bereichen. Sie nehmen uns aber auch viele Gelegenheiten, Dinge selbst zu gestalten. Also müssen wir verstehen, wie die Technologien funktionieren. Und unser Zukunftsdenken sollte das Computerdenken erweitern – über den menschlichen Bereich hinaus in alle Richtungen. Bildung bedeutet umfassendes Verstehen und nicht einfach Wissenserwerb. Wie wäre es, wenn man KI nicht für Ausbeutung und Überwachung nutzen würde, sondern als Hilfe, das Denken von Vögeln und Bäumen zu verstehen?

Die Menschen vertrauen der Technik bislang zu sehr?

Eines meiner besten Beispiele ist immer, dass Kuriere in London von einer App kontrolliert werden, sie gehen genau dahin und liefern dort aus, wo die App sie hinschickt. Sie bekommen nicht nur zu wenig Geld, sie müssen sich zusammentun und ihre Arbeitsbedingungen verbessern, aber sie können nicht einmal dafür eintreten. Die Technologie sorgt also dafür, wenn man sie nicht versteht, dass man das Opfer der Technologien wird. Andere nutzen GPS und fahren sogar ins Meer hinein, weil sie sich auf die Technologie verlassen.

Wie sollte man also mit der Technik umgehen?

Es kommt darauf an, wie man die Systeme nutzen kann, darüber habe ich sehr viel gelernt, ich habe mit meinen Freunden gesprochen, die nutzen immer mehr verschlüsselte Chat-Räume, sie wollen nicht, dass andere ihnen zuhören. Dadurch verstehen sie auch immer mehr von der Struktur des Internets, wie es komponiert ist und funktioniert.

Es kann also auch ganz einfach sein?

Klar, man lässt sein Smartphone zu Hause und zahlt in bar. Und schon bewegt man sich mehr oder weniger unsichtbar für elektronische Überwachung. Als lebe man im 17. Jahrhundert.

Was droht uns in der Zukunft?

Wir werden eine Welt vorfinden, in der wir viel weniger Zugang zu Wissen haben als jetzt. Und auch weniger Zugang zu computergesteuerten Entwicklungen. Wir können nicht mehr länger durch dasselbe Licht sehen. Alles ist hell erleuchtet, aber man sieht nichts.

Was ist dann das „Dark Age“?

Das neue dunkle Zeitalter muss nicht unbedingt ein schlechter Ort sein. Das Grundproblem liegt in der Annahme, dass mehr Wissen automatisch zu besseren Entscheidungen führt. Unwissenheit kann aber auch Stärke sein. Das dunkle Zeitalter kann also ein Ort sein, an dem wir klarer denken können, weil wir durch das Licht nicht länger geblendet werden. Für mich ist das Dunkel, das der Missbrauch der Technik erzeugt, vielleicht auch fruchtbar, indem es uns nachdenken und anders denken lässt, was wir eigentlich wollen. Oder um es mit den Worten des großen schwedischen Schriftstellers Sven Lindqvist zu sagen: „Wir wissen bereits genug. Daran fehlt es uns nicht. Was uns fehlt, ist der Mut zu verstehen, was wir wissen, und daraus Konsequenzen zu ziehen.“

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