Japan-TagKlischees und Kultur – Deutsch-Japaner über ihr Leben in Deutschland

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Brauhaus auf Japanisch: Das Takezo-Restaurant in Düsseldorf.

Düsseldorf – Wenn Mai Hanashima an ihre erste Zeit in Düsseldorf denkt, fällt ihr immer die Sache mit dem Supermarkt ein. Sie steht in ihrem Laden, den sich die Illustratorin mit einem Friseur teilt. Kreuzstraße, mitten im japanischen Viertel. Mai kommt ursprünglich aus Takarazuka, Japan, und lebt seit dreieinhalb Jahren mit ihrem Mann Isamu Sato in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.

Mai Hanashima und ihr Mann Isamu Sato.

Mai Hanashima und ihr Mann Isamu Sato.

„Ich stand an der Kasse und stellte meinen ganzen Korb aufs Band. Mit allem drin. So macht man das in Japan.“ Mai reißt die Augen auf, zieht die Schultern hoch und lacht. „In Deutschland macht man das nicht so. Hab ich dann gelernt. Die Supermarktmitarbeiterin hat mich beschimpft. Ich fand das gut.“ Gut? „Weil das so menschlich ist. In Japan ist das verboten. Man kann nie seine Emotionen rauslassen. Das gäbe sofort eine Beschwerde.“ Harsche Worte im Supermarkt nennen Mai und Isamu liebevoll deutsche Direktheit.

Düsseldorf ist Japan-Stadt

In Düsseldorf leben mehr als 6500 Japaner. Das entspricht etwa einem Prozent der Gesamtbevölkerung. Seit 2002 veranstaltet die Stadt jährlich im Frühjahr den Japan-Tag, ein deutsch-japanisches Begegnungsfest. Am Samstag wird die Veranstaltung wieder mehr als eine halbe Million Besucher anziehen.

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Die meisten Japaner in Düsseldorf werden von ihren Arbeitgebern nach Deutschland entsandt und kehren nach einigen Jahren zurück. Die japanische Wirtschaftsaktivität in Düsseldorf begann in den Jahren nach 1945. Die kriegszerstörte Inselnation suchte Lieferanten für Stahl und chemische Erzeugnisse für den Wiederaufbau. Düsseldorf bot, als Mittelpunkt der Schwerindustrie von Rhein und Ruhr, den idealen Standort. In den 60er Jahren eröffneten erste japanische Restaurants, und der Japanische Club wurde gegründet.

Eine Infrastruktur zur Identitätserhaltung und Steigerung der Lebensqualität entstand und verdichtete sich mit der Eröffnung der japanischen Schule 1971. Mittlerweile sind 450 japanische Unternehmen im Großraum Düsseldorf ansässig, die 23000 Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

Klischees und Kultur

Mai Hanashima fühlt sich zwar als Japanerin, möchte aber nur noch als Touristin in ihre Heimat: „Das Leben in Deutschland passt viel mehr zu mir. Meine Kunst passt viel mehr nach Deutschland.“ Mai zeichnet Märchenwelten. „Kawaii“ ist der japanische Ausdruck für süß, kindlich. Mai hat in der Kreuzstraße einen „Kawaii“-Ort geschaffen. Ihre ganz persönliche Verbindung von deutscher und japanischer Kultur. „Ich hab in Japan Musik studiert, und wir haben viel über romantische deutsche Lieder gelernt. Die Märchenwälder, die Melodien und Texte. Ich wollte schon immer Deutschland sehen und hier malen.“

Deutsche Klischees: Handtücher auf Sonnenliegen, Tupperdosen am Buffet, Tennissocken in Sandalen und das Land der Dichter und Denker. Von Letzterem ist die 29-jährige Japanerin begeistert. „In Deutschland läuft die Zeit langsamer. Es gibt mehr Natur. Die Leute interessieren sich für Kunst. In Japan besteht das Leben nur aus Überstunden. Viele Menschen sind sehr unglücklich.“

Tempel wie in der Heimat

Mai vermisst nur wenig aus ihrer Heimat – was hauptsächlich am Standort Düsseldorf liegt: „Wäre ich nicht hier, hätte ich eindeutig mehr Heimweh.“ Das EKŌ-Haus im Stadtteil Niederkassel ist einer ihrer Lieblingsorte. „Der Tempel und der Garten sind wie in meiner Heimat.“ Die Restaurants auf der Kloster- und der Immermannstraße sind für Mai und Isamu wichtig. Denn: Ein Nachteil an Deutschland ist die Küche: „Alles ist zu intensiv: zu viel Sauce, zu viel Salz, zu große Portionen, zu fettig, zu ungesund.“

EKÖ Haus

Das EKO-Haus in Niederkassel.

Der gebürtige Deutsche Isamu hat japanische Eltern und ist in Meerbusch aufgewachsen. Die Frage nach der Identität lässt ihn grübeln. „Ich fühle mich nicht als Deutscher, weil ich nicht so aussehe. Ich fühle mich aber auch nicht als Japaner, weil ich da nie gelebt habe.“ Lange spürte der Ingenieur für Druck- und Medientechnik ein schwarzes Loch in seiner Brust. „Meine Eltern hatten den Wunsch, meine japanische Identität zu fördern, und schickten mich zur japanischen Schule. Aber ich war zu faul und habe nie richtig gelernt, die Sprache zu lesen oder zu schreiben. In Japan bin ich also immer der Deutsche und in Deutschland immer der Japaner.“

Mai sieht das anders: „Er ist ein deutscher Japaner.“ Isamu lächelt. „Er ist zum Beispiel Heimwerker. Er schlägt einen Nagel in die Wand. Das ist in Japan sehr unüblich.“ Aber es ist auch nicht alles deutsch an Isamu. Das bekam er vor allem in der Schule zu spüren. „Die japanische Höflichkeit behinderte meine Integration. Meine Mitschüler sind mir schon ganz schön auf die Pelle gerückt, und ich konnte einfach nicht Nein sagen.“

Japanische Zurückhaltung

Höflichkeit als Integrations-Barriere? Im Deutschen meint Höflichkeit rücksichtsvolles Verhalten, im Japanischen geht es um etwas ganz anderes, nämlich Ehrerbietung, die den Ausschluss eigener Emotionen voraussetzt. Für Europäer ein mittelschweres Unding. Plötzlich machen die Märchenwälder und Feen von Mai viel mehr Sinn. Es sind Geschichten über Hoffnung, über Träume – zwei Dinge die Isamu und Mai nicht mit Japan verbinden, aber mit Deutschland.

Wolfgang Derksen ist gebürtiger Kölner, Sohn einer Japanerin und eines Deutschen, in Düsseldorf aufgewachsen, er lebt dort mit seiner Familie. Er sieht wesentlich mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen: „Die Deutschen sind die Japaner unter den Europäern. Beide Nationen sind risikoscheu, maskulin geprägt. Rücksicht, Pünktlichkeit, Einhaltung von Hierarchien, Regelfreudigkeit – das sind Eigenschaften, die auf Japaner und Deutsche zutreffen.“ Die Identitätsfrage beantwortet er ohne Umschweife: „Ich bin zu zwei Dritteln Deutscher, zu einem Drittel Japaner. Für einen Japaner bin ich zu direkt, und in Deutschland halte ich manchmal eher die Klappe.“ Was sich heute, mit 38 Jahren, so einfach anhört, war für den bekennenden FC-Köln-Fan ein langer Weg.

Wolfgang Derksen, Sohn einer Japanerin, mit seiner Familie.

Wolfgang Derksen, Sohn einer Japanerin, mit seiner Familie.

Wolfgangs Vater verliebte sich bei einem Austauschjahr in die Tochter der Gastfamilie. Die Hochzeit wurde von der Großmutter nur unter der Bedingung genehmigt, dass die Enkel Japanisch lernen. Also ging Wolfgang in den japanischen Kindergarten, zur deutschen Schule und bis zu seinem 18. Lebensjahr jeden Samstag von eins bis halb sechs zur japanischen Schule. Wolfgang hat diese schulische Disziplin verinnerlicht. Er verortet sie im japanischen Teil seiner Person. „In Japan gibt es noch die Rollenverteilung: Der Mann geht arbeiten, und die Frau bleibt zu Hause. Viele Mütter definieren sich über den schulischen Erfolg ihrer Kinder.“

Auch bei der Erziehung seiner eigenen Kinder ist ihm die Vermittlung der japanischen Kultur wichtig: ein japanisches Au-Pair wurde eingestellt, die Kinder gehen in den gleichen japanischen Kindergarten wie einst er. Er spricht mit ihnen japanisch, außer, wenn er schimpft. „Mir fällt die Verbalisierung von Emotionen auf Deutsch leichter.“

Brauhaus auf Japanisch

Als Student wusste er nicht so recht, welcher Kultur er sich zugehörig fühlte. Seine Antwort fand er ausgerechnet in Japan, wo er zwei Jahre lebte: „Da merkte ich sehr schnell, dass ich deutscher bin als erwartet. Ich möchte Urlaub nehmen, wann ich möchte. Ich möchte Zeit mit meiner Familie verbringen.“ Identitätskrise gelöst.

Bakery my Heart

Japanische Spezialitäten in der Bäckerei „Bakery my heart“  in Düsseldorf.

Für Wolfgang Derksen gibt es keinen Grund, Düsseldorf zu verlassen. Das liege an der japanischen Community und der Infrastruktur. Fast nirgendwo außerhalb Japans sei die japanische Küche „so gut wie in Düsseldorf.“ Seine liebsten japanischen Orte sind entsprechend kulinarisch und liegen fast alle in der Immermannstraße: der „Dae-Yang“-Supermarkt, die Bäckerei „Bakery my heart“, der Onigiri-Imbiss „Waraku“ und das „Kushi-Tei of Tokyo“.

Dae-Yang Supermarkt

Asiatische Lebensmittel im Dae-Yang-Supermarkt in Düsseldorf.

In Japan nennt man solche Läden „Izakaya“. I bedeutet „sitzen“ und sakaya „Sake-Geschäft“. Zusammen heißt es so viel wie Sake-Laden zum Sitzen. „Ähnlich wie ein Brauhaus. Dort werden sogar japanische Geschäftsmänner redselig.“

www.japantag-duesseldorf-nrw.de

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