Kölner Käthe-Kollwitz-MuseumDas Leben als Luxus – Grafikdesign des Pariser Art Déco

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Modeillustration von Paul Iribe aus dem Jahr 1908

Modeillustration von Paul Iribe aus dem Jahr 1908

  • Warum ist eine druckgrafische Auswahl des Überflüssigen jetzt ausgerechnet im Kölner Käthe-Kollwitz-Museum zu sehen, also in der Heimat einer sozial engagierten Kunst?
  • Die Antwort des Museums ist erstaunlich einfach und geradezu gewitzt.
  • Wir haben die neue Ausstellung vorab besucht.

Köln – Als George Barbier dem modernen Bewohner von Paris im Jahr 1924 die sieben Todsünden vor Augen führte, warb er zwar nicht gerade für die gesammelten Laster des Christentums, aber eine Warnung im klassischen Sinne waren seine eleganten Illustrationen auch nicht unbedingt. Sie stellten vielmehr Anekdoten aus dem Alltagsleben der französischen Metropole dar, vergnügliche Höllenfahrten ins Nachtleben der Stadt oder lehrreiche Impressionen aus dem Theater der mondänen Leidenschaften. Alles irgendwie verzeihlich, dachte sich vermutlich auch der thronende Armor im Park, während er dabei zusah, wie eine zornige junge Frau ihren Begleiter aus welchem Grund auch immer mit dem Sonnenschirm verdrosch.

Leider wissen wir nicht, ob der strenge Architekt Le Corbusier diese Szenen vor Augen hatte, als er 1925 zur Verdammung der seinerzeit in Paris äußerst populären dekorativen Künste ausholte und für sie den als Schmähung gemeinten Begriff Art Déco erfand. Tatsächlich konnte man damals dem verspielten, gleichermaßen klaren wie verschnörkelten „französischen Stil“ kaum entgehen. Er zog sich durch Zeitschriften, Werbung, Möbeldesign, Architektur und Autosilhouetten und bewies in seinen besten Tagen, dass auch das Überflüssige bei richtiger Dosierung eine überaus notwendige Sache ist. So blieb der Begriff Art Déco erhalten, während sein abwertender Unterton in Vergessenheit geriet.

Trotzdem ist die Frage erlaubt, warum eine druckgrafische Auswahl des Überflüssigen jetzt ausgerechnet im Kölner Käthe Kollwitz Museum zu sehen ist, also in der Heimat einer sozial engagierten Kunst, die gewissermaßen die Gegenwelt zum luxuriösen Paris der 1920er Jahre zeigt. Die Antwort des Museums ist erstaunlich einfach und geradezu gewitzt: Kollwitz setzte mit ihren Grafiken handwerkliche und drucktechnische Maßstäbe, die kaum jemand erreichte – außer vielleicht die Pariser Manufakturen, in denen der eigentlich primitive Schablonendruck für Plakate, Deckblätter und Illustrationen des Art Déco unendlich verfeinert wurde.

Die größte deutsche Sammlung dieser Pochoirdrucke besitzt das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, aus deren Depots sich das Kölner Kollwitz Museum bereits zum vierten Mal bedient. Die Strategie dahinter ist ziemlich durchschaubar – mit Toulouse-Lautrec oder Art Déco Besucher für Kollwitz ködern. Aber sie funktioniert, weil die gezogene Verbindung überzeugt und handwerkliche Meisterschaft nicht nur überflüssiges Beiwerk moderner Kunst ist, sondern diese manchmal überhaupt erst möglich macht.

Gleiches gilt für den Pochoirdruck des Art Déco, dessen Gründungsakte 1908 in Gestalt eines Modekatalogs erschien. Paul Iribe schuf für den Schneider Paul Poiret Illustrationen der Winterkollektion und griff dafür auf ein Druckverfahren zurück, bei dem die Farben mit Hilfe von Schablonen aufgetragen wurden. Diese mit viel Handarbeit verbundene Technik war selbst ein Luxus, aber die Ergebnisse sprechen für sich: Oftmals glaubt man, Aquarelle statt Drucke vor sich zu sehen.

Die 119 Hamburger Leihgaben fassen die Blütezeit des französischen Grafikdesigns erstaunlich gut zusammen. Es gibt großformatige Werbung für Pariser Revuestars wie Mistinguett (die erste Frau, die sich ihre Beine versichern ließ) zu sehen, illustrierte Deckblätter von Notenheften (laut Kurator Jürgen Döring Vorläufer der LP-Cover), Paul Colins Hommagen an Josephine Baker und den Jazz (die teilweise rassistischen Darstellungen gehen mit etwas gutem Willen als Ausdruck überschwänglicher Begeisterung durch) oder an den betuchten Sammler gerichtete Serien wie George Barbiers zeitgemäße Todsünden. In den 1920er Jahren war die Verbindung zwischen französischer Lebensart und farbigem Schablonendruck so weit etabliert, dass sogar die Londoner Verkehrsbetriebe beim Pariser Künstler André Édouard Marty Plakatmotive als Lockmittel für Reisen in die englische Sommerfrische bestellten. Allerdings war auf dem Höhepunkt das Ende bereits nah: Der Pochoirdruck ging an der industriellen Fertigung zugrunde und bald auch an einer Zeit, in der selbst Überleben Luxus war.

„Art Déco – Grafikdesign aus Paris“, Käthe Kollwitz Museum, Neumarkt 18–24, Köln, Di.–So. 11–18 Uhr, bis 10. Januar 2021. Der Katalog kostet 22 Euro.

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