Leben aus den Koffern

Lesezeit 3 Minuten
Renate Fuhrmann spielt Irmgard Keun

Renate Fuhrmann spielt Irmgard Keun

Gerade 20 Jahre alt ist sie, die junge Stenotypistin aus Köln Gisela Kron, die alle nur Gilgi nennen, aber sie weiß schon genau, was sie will. Selbstständig möchte sie ihr Leben beschreiten, unabhängig sein von finanzieller Unterstützung durch Familie oder Mann. Reisen will sie und die Welt sehen. Das alles sind Pläne, für die sie hart arbeiten muss, das weiß Gilgi genau, deshalb lernt sie neben der Arbeit Englisch, Französisch und Spanisch und spart zudem für eine Fahrt ins Ausland.

So eine wie Gilgi gab es im Deutschland der zwanziger Jahre noch nicht lange. Weibliche Angestellte, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, berufstätig sein mussten in Folge der Wirtschaftskrise, aber in der neuen Zeit auch ihre Chance auf Emanzipation sahen. Geschaffen hat die Romanfigur, die zum Vorbild einer neuen, modernen Frau werden sollte, die Schriftstellerin Irmgard Keun im Jahre 1931.

Jetzt haben Regisseur Heinz Simon Keller und seine Dramaturgin Ulrike Janssen in „Gilgi/Keun – Eine von uns“ die 1982 verstorbene Autorin auf der Bühne wieder zum Leben erweckt, um noch einmal mit ihr auf das Schicksal ihrer jungen Romanheldin zu blicken. Dass die Bühne dabei wie ein großes Provisorium daherkommt, hat auch mit der Situation des Theater der Keller zu tun, das für eine Übergangszeit nun in den Räumlichkeiten der Tanzfaktur in Köln-Poll Quartier bezogen hat.

So ein Leben aus den Koffern kennt Keun, die sich damals mit ihrer aufregenden, neuen Art des Schreibens, angelehnt an den Rhythmus des Kinos und den Sound der Großstadt, bei den bald herrschenden braunen Machthabern keine Freunde gemacht hat. Ins holländische Exil musste sie fliehen, später gelang es ihr unter abenteuerlichen Umständen und falschem Namen, den Krieg im Keller des Kölner Elternhauses zu überleben.

Nie wieder heimisch geworden

Heimisch geworden ist sie danach nie wieder im Wirtschaftswunder-Deutschland, wo eine Aufarbeitung der Nazi-Gräuel keine Priorität besaß. Mit sarkastischem Zungenschlag und ohne eine Spur von Sentimentalität erzählt eine grandios aufspielende Renate Fuhrmann, der die Rolle der Irmgard Keun wie auf den Leib geschneidert ist, von dieser Schriftsteller-Biographie einer gebrochenen aber nicht besiegten Frau.

Währenddessen entfaltet sich neben ihr das Schicksal Gilgis, die nicht minder aufregend und perfekt besetzt, von der jungen Schauspielerin Amelia Barth gespielt wird. Im hochintensiven Spannungsfeld dieser zwei Schauspielerinnen-Generationen bewegt sich Matthias Lühn mit der nötigen Souveränität und Zurückhaltung, wissend, dass dieser Abend zuallererst den Frauen gehört.

Es ist fast schon gespenstisch, wie viel von ihrem späteren Leben Keun in dieser Figur der Gilgi bereits vorweggenommen hat. Wie Gilgi kämpfte Keun um ihre Unabhängigkeit, auch in den Zeiten der Liebe, wo sich schon mal die schönsten Pläne und das logistischste Denken in Luft auflösen. Gilgi verfällt dem doppelt so alten Boheme Martin, der sie anfangs durch seine Leichtigkeit fasziniert, den sie aber später, trotz Schwangerschaft, verlässt, um zu ihrer Selbstständigkeit zurück zu kehren. Auch Keun wird 1938 im Exil ihre Beziehung zu dem Schriftsteller Josef Roth nach zwei Jahren beenden, weil er „wie wahnsinnig eifersüchtig war“, wie sie schrieb. Später wird sie ihre 1951 geborene Tochter alleine aufziehen und den Namen des Vaters für sich behalten. „Ein Mensch kann sich wohl von sich aus ändern“ sagt Gilgi später, „aber einen anderen ändern wollen heißt, sich und ihm nur das Leben schwer machen.“

Wie Keun und ihre kleine, große Heldin darum kämpfen, sich treu zu bleiben in einer Welt, in der sich die Frauen gegen patriarchalisches Denken behaupten müssen, das ist zeitlos und immer noch aktuell. So lautet die dringliche Empfehlung: ins Stück gehen und Keun lesen, es lohnt sich. Nächste Termine: 19. und 26.10., 20 Uhr, 20. und 27.10., 18 Uhr im Theater der Keller, Tanzfaktur, Siegburgerstr. 233 W (Neuer Spielort!)

KStA abonnieren