PhilosophieNoble Bühne für rechtes Denken

Lesezeit 3 Minuten

Die Freiheit, anders zu denken, war für die Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) eines der höchsten Güter. Vielleicht war das einer der Gründe, dass das in New York ansässige Hannah-Arendt-Zentrum im Oktober einen Philosophen zu einem Vortrag eingeladen hatte, der sich eindeutig als Vertreter des Rechtspopulismus versteht - und insofern ein Vertreter jener Gruppe ist, die Arendt zeitlebens bekämpfte. Die Rede ist von Marc Jongen, einem Schüler des Karlsruher Philosophen Peter Sloterdjik sowie Sprecher der Alternative für Deutschland (AfD) in Baden-Württemberg und nunmehr Mitglied des Bundestages.

Seine Einladung schlägt höhere Wellen, als es das am Bard College ansässige Hannah-Arendt-Zentrum vermutlich vermutet hatte. In einem Offenen Brief üben dutzende renommierte Wissenschaftler, darunter viele Arendt-Kenner, aus den USA und Deutschland wie die Philosophinnen Judith Butler und Seyla Benhabib, aber auch deutsche Kollegen wie die Frankfurter Professoren Rainer Forst und Axel Honneth massive Kritik an der Einladung Jongens. Die Argumentation lautet: Mit der Einladung eines Politikers, der sich offen gegen Flüchtlinge richtet und Migrantengruppen verunglimpft, habe man diesem die Möglichkeit gegeben, seine Thesen mit der Weihe einer jüdischen Philosophin zu legitimieren.

Jongen ist Dozent für Philosophie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Der Titel der Veranstaltung lautete: "Krise der Demokratie. Denken in dunklen Zeiten." Ein Beitrag widmete sich der Beziehung von Demokratie und Populismus. Ist Letzterer zersetzend oder sogar hilfreich? Eine Frage, an der sich die Geister scheiden. Jongens Antwort fiel nicht sehr überraschend aus. Er bekannte sich in New York zum Populismus, antidemokratisch seien alleine die politischen Repräsentanten, wenn diese Alternativlosigkeit propagierten.

Die Professoren schreiben in ihrem Offenen Brief, es handele sich nicht um eine Frage des Rechts auf Meinungsfreiheit, das auch Jongen zustehe, sondern darum, wie rechte Positionen ausgerechnet durch eine Denkerin legitimiert würden, die sich immer gegen Ausgrenzung von Minderheiten eingesetzt hat.

Die jüdische Philosophin Hannah Arendt wurde 1937 vom NS-Regime ausgebürgert und war einige Jahre staatenlos. Erst 1951 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin. Sie hat sich zeitlebens mit der Verfolgung von Juden auseinandergesetzt, ihr Hauptwerk widmet sich dem Komplex der "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft". Arendt schrieb über die Not der Staatenlosen und die besonderen Gefahren rassenbasierter Ideologien. Folglich war sie eine Stimme, die sich gerade für die Migranten eingesetzt hatte.

Nicht um Meinungsfreiheit würde es gehen, sondern um die Frage, ob Jongen "das Privileg und die Macht gegeben werden sollte, das Hannah-Arendt-Zentrum zu nutzen, um seine Agenda vorzubringen", so die Wissenschaftler. Da die Sitzung über Twitter, Facebook und Videos einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sei, habe man Jongen eine enorme kommunikative Macht gegeben.

Die Veranstalter hätten es dem AfD-Politiker ermöglicht, Arendts Vermächtnis für sich zu nutzen, "um die rechtsextreme Ideologie der AfD zu legitimieren und zu normalisieren". Und das würde ausgerechnet von dem Arendt-Zentrum vollzogen, obwohl alle Welt sich extreme Sorgen über den Aufstieg der radikalen Rechten machte. Dem Leiter des Zentrums, Roger Berkowitz, und dem Präsidenten des Bard College, Leon Botstein, wurde verantwortungsloses Handeln vorgeworfen. "Wir fordern das Hannah-Arendt-Zentrum und das Bard College nachdrücklich auf, diese Verantwortung zu erkennen und zu überlegen, wie man Arendts intellektuellem und politischem Erbe am besten gerecht werden kann."

Die Leitung des Hannah-Arendt-Zentrums hat die Kritik zurückgewiesen. Man wolle die Diskussion auch mit rechten Positionen nicht verhindern, sondern gerade führen. Das ist auch die Meinung der Unterzeichner des Offenen Briefes: Es sei notwendig, sich mit einer breiten Palette politischer Ansichten auseinanderzusetzen, einschließlich illiberaler, sogar neofaschistischer Ansichten. Allerdings hätten die Veranstalter ein hohes Maß an Verantwortung zu tragen, wenn man Redner einlade, die gefährdete Gruppen verunglimpften.

KStA abonnieren