Star-Autor Steven PinkerWarum ist die Stimmung so mies, obwohl die Lage bestens ist?

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Professor Steven Pinker ist Bestseller-Autor. Das Time Magazin zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Menschen der heutigen Welt.

  • Der Welt ging es noch nie so gut wie heute! Sagt der US-Psychologe und Bestseller-Autor Steven Pinker.
  • Aber was ist mit Donald Trump? Was ist mit der zunehmend wachsenden Schere zwischen Arm und Reich?
  • Ein Interview mit einem Mann, den das „Time Magazine” zu den 100 einflussreichsten Menschen der heutigen Welt zählt.

Professor Pinker, alle Welt beklagt, dass alles schlechter wird und Sie schreiben ein Buch, dass eigentlich alles besser geworden ist. Anders gesagt: Der Menschheit geht es faktisch so gut wie nie, obwohl die Stimmung richtig mies ist?

Genauso ist es ja auch. Man muss nur den Verlauf der Geschichte in den Blick nehmen, um genau das zu erkennen. Viele Krankheiten konnten besiegt werden, die Menschen leben länger, die Gewalt nimmt ab, die Bildung zu.

Dennoch ist das Krisengefühl zurzeit dominant. Warum?

Der Mensch hat eine natürliche Neigung zum Negativen. Wir leiden nun einmal stärker an Verlusten, als wir uns über Gewinne freuen. Es gibt einen Hunger nach Gewalt und nach shakespeareschen Tragödien. Zudem spielen auch die Schlagzeilen eine Rolle, die sich stark auf negative Ereignisse konzentrieren. Wenn wir jedoch mehr auf Trends statt auf Events wie Erdbeben, Terroranschläge oder Mordfälle blicken, erkennen wir den Fortschritt. Wir müssen einfach Statistiken und Daten in den Blick nehmen, um zu erkennen, dass es der Welt noch nie so gut gegangen ist wie heute.

Dennoch: Viele Menschen haben derzeit das Gefühl, dass die Welt zugrunde geht.

Es ist eben ein Unterschied, ob ich einen Menschen frage, ob es ihm persönlich gut geht, was die meisten bejahen, und wie es dem Land geht: da heißt es dann, dem Land gehe es schlecht. Die Menschen beurteilen die Situation der Gesellschaft ganz anders als ihre eigene. Und das liegt auch daran, dass die negativen Ereignisse stärker im Fokus der Öffentlichkeit stehen.

Sie stehen nicht nur im Fokus, es gibt sie ja auch, wie die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten.

Aber gibt es einen besseren Moment, um die Leute darauf hinzuweisen, dass es entgegen ihrem Glauben in nahezu allen Feldern einen Fortschritt gibt? Das gilt für Bildung, Gesundheit, Frieden, Lebenserwartung, Wohlstand, Demokratie oder Sicherheit. Aber keiner spricht darüber, obwohl sich alles seit langer Zeit zum Besseren entwickelt. Ich habe in meinem Buch die Daten gesammelt, die das belegen.

Und das Ergebnis?

Im Jahr 2000 verständigten sich die Mitglieder der UN auf acht Milleniumsentwicklungsziele für das Jahr 2015. Auch wenn man wenig davon hört, ist das Ergebnis ein Knaller: In jedem Bereich, der das menschliche Wohlergehen betrifft, wurden spektakuläre Fortschritte erzielt. Heute ist die Welt hundertmal wohlhabender als vor 200 Jahren. Der Anteil der Menschheit, der in extremer Armut lebt, ist von rund 90 Prozent auf zehn Prozent gesunken. Er könnte sogar auf null gehen. Die Lebenserwartung ist seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von 30 auf 71 Jahre gestiegen. Und die Welt gibt dem Frieden eine Chance. Verglichen mit den 1980er Jahren beträgt der Anteil der Menschen, die in Kriegen sterben, weniger als ein Viertel. Zudem ist das Leben in jeder Hinsicht sicherer geworden. Die Menschen werden gesünder, sicherer und freier und sie lernen zunehmend lesen und schreiben, ihre Bildung steigt, das beste Mittel übrigens, um sich gegen die Gefahren des Populismus zu immunisieren.

Und wie ist es mit der wachsenden Ungleichheit?

Wir sollten uns weniger auf Ungleichheit, stattdessen mehr auf Armut konzentrieren. Die Gesellschaft, in der alle gleich sind, aber jeder verarmt ist, in der viele Kinder nicht überleben, wo Mütter im Kindbett sterben oder Menschen durch Hunger umkommen, ist keine wünschenswerte Gesellschaft – auch dann nicht, wenn alle gleich wären. Es geht darum, wie gut Menschen leben können. Besonders jene, die am unteren Ende der Skala leben. Der Unterschied zwischen den Reichen und Armen ist deutlich weniger wichtig.

Zur Person

Steven Pinker ist Psychologe, Kognitionswissenschaftler und Linguist an der amerikanischen Harvard University. Für seine Arbeiten zur Entstehung der Sprache wurde er weltweit beachtet. Auch in der Zwillingsforschung hat er Maßstäbe gesetzt. Pinker setzt auf die Prinzipien der Naturwissenschaft. Doch vor allem durch seine Leistung als Intellektueller wurde er einem breiten Lesepublikum bekannt. Er schreibt regelmäßig für die „New York Times“ und den „Guardian“, und das „Time Magazine“ zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Menschen der heutigen Welt.

Sein Buch „Aufklärung jetzt. Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung“ ist im Verlag S. Fischer (736 Seiten, 26 Euro) erschienen.  

Gut, aber man muss sich nur die Entwicklung der demokratischen Standards in einigen Ländern anschauen, um seine Skepsis zu behalten.

Ich sage ja nicht, dass alles besser geworden wäre. Einige Dinge sind in der Tat auch schlechter geworden. Es gibt Kräfte, die wichtige Werte wie Vernunft oder wissenschaftliche Ergebnisse bekämpfen. Ich meine damit den wachsenden Populismus, Nationalismus, reaktionäre Ideologie, aber auch Religionen, die allesamt vergangene Zeiten wieder herbeisehnen, weil dies aus ihrer Sicht goldene Zeiten gewesen sind.

Und das erklärt beispielsweise den Aufstieg von Donald Trump zum US-Präsidenten?

Ja, weil viele fälschlicherweise glauben, dass wir uns in einer Epoche befinden, in der die Armut zunimmt, die Gewalt immer stärker wird und wir in einem Zeitalter des allgemeinen Niedergangs befinden. Wer solche Krisengefühle mit sich herumträgt, neigt eher dazu, sich für radikale Lösungen zu öffnen.

Und Trump ist zweifellos eine.

Leider hält diese Entwicklung in den USA niemand auf. Die führenden Köpfe der Republikaner standen für freien Handel und militärische Zurückhaltung. Ausgerechnet sie unterstützen nun jemanden, der all das untergräbt. Und eine Politik betreibt, welche die Institutionen der modernen Demokratie attackiert.

Sie haben ein Buch geschrieben, in dem Sie auf die Werte der Aufklärung zurückkommen. Was hat das alles mit der Aufklärung zu tun, die im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt hatte?

Weil wir der Aufklärung alles verdanken. All unseren Fortschritt der letzten 200 Jahre. Meine Botschaft an die Menschen ist: Aufklärung funktioniert! Sie hat dafür gesorgt, dass Dogmen und Autoritäten durch Vernunft und die Suche nach Wahrheit ersetzt wurden. In ihrem Zentrum steht ein Humanismus, der das Wohl des Menschen zu seinem Hauptanliegen gemacht hat. Der Geist der Wissenschaft verdrängte den Aberglauben, das magische Denken wich dem Geist der Wissenschaft. Werte, die mit Rasse, Stamm, Religion oder Nation verbunden waren, wurden relativiert. Nur eine Gesellschaft, die diesen Idealen nacheifert, erlebt Fortschritt. Ich wollte die Leute daran erinnern, dass der Fortschritt das unmittelbare Resultat der Aufklärung ist. Auch der demokratische Staat ist eine Erfindung der Aufklärung. Er dient dazu, die menschlichen Defizite auszugleichen, seine Vorurteile und falschen Bilder von der Wirklichkeit zu bekämpfen. Die Institutionen der Aufklärung helfen uns, unser Leben zu verbessern und unsere menschlichen Schwächen in den Griff zu bekommen.

Das klingt optimistisch. Jedoch: Die Werte der Aufklärung werden ja gerade massiv angegriffen.

Leider ja. Es gibt verschiedene populistische Bewegungen, die ihrem Wesen nach antiaufklärerisch sind. Sie verachten die Wissenschaft, vertrauen auf autoritäre Anführer und sehnen sich nach irgendeiner idealisierten Vergangenheit, statt eine bessere Zukunft anzustreben. Dennoch breiten sich die Werte der Aufklärung weiter aus, sie werden weiter wachsen gemeinsam mit dem zunehmenden Wohlstand weltweit, sei es in Südkorea oder Taiwan. Die Welt bewegt sich eher in die Richtung der Werte der Aufklärung als umgekehrt. Die Europäische Union ist dafür ein genauso gutes Beispiel wie die Vereinten Nationen. Es werden mehr Länder demokratisch als autokratisch, nur der Boom wie in den 90er Jahren ist nicht mehr so stark zu sehen, als aus vielen Diktaturen Demokratien wurden. Der Westen war ja nicht gerade ein Musterschüler.

Das stimmt. In diesem besagten Westen folgte sogleich auf die Aufklärung eine Gegenbewegungen, die Romantik, die speziell heute bei nationalistischen Populisten oder auch den Gerechtigkeitskriegern der äußersten Linken wiederauferstanden zu sein scheint. Ich meine damit vor allem das Ideal der Authentizität. Zudem sind Faschismus, Kommunismus und Autoritarismus allesamt im Westen entstanden.

Ist der Glaube an den Fortschritt nicht selbst irrational, also anti-aufklärerisch?

Sagen wir es so: Die Annahme, dass alles immer besser wird, ist nicht weniger irrational als der Glaube, dass alles zugrunde geht. Ich halte den langfristigen Erfolg trotz kurzfristiger Rückschläge für möglich. Der Fortschritt ist keine Kraft, die sich nicht auch aufhalten ließe. Auch der Fortschritt hat Feinde. Aber ich bin ein Anhänger der Lehre, dass er möglich ist. In den nächsten drei, vier Jahrzehnten wird uns der Klimawandel beschäftigen. Aber der Wohlstand wird wachsen. Die Frauenrechte und Kinderrechte werden zunehmen, die Gewalt weiter abnehmen. Aber es kann auch Schocks und Überraschungen geben. Vor allem die Folgen des Klimawandels werden ungewiss sein. Ein Blick in die Zukunft: Werden sich die Ideale der Aufklärung am Ende durchsetzen?

Natürlich ist die Tatsache, dass die meisten Trends in die richtige Richtung zeigen, keine Garantie dafür, dass es auch so weitergehen wird. Aber es gibt uns doch eine ganz andere Basis zur Vorhersage der Zukunft als im umgekehrten Fall. Wissenschaft, Demokratie, Meinungsfreiheit machen unser Leben besser und schützen uns vor jenen, die glauben, dass nur die Identität von homogenen Gruppen zählt. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahrzehnten stark mit den Folgen des Klimawandels beschäftigt sein werden und wir dieses Problem vielleicht auch nicht lösen werden, dass aber die Zunahme an Bildung den Menschen die Werte der Aufklärung in allen Teilen der Welt näherbringen wird. Deshalb bin ich optimistisch.

Werden die Menschen dabei glücklicher werden?

Absolut. Sie sind es schon geworden. Der Glücksindex ist in den letzten 40 Jahren gestiegen. Sie sind besser ausgebildet, leben länger, sind wohlhabender. Sie sind freier und auch glücklicher. Die Menschen sind es, auch wenn es immer Frustration im Leben geben wird. 

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