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Leserbriefe zur Entlassung von Valery GergievKeine Sippenhaft für alles Russische

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Valery Gergiev erhält eine Auszeichnung von Wladimir Putin. 

Wenn das Maß voll ist – Die westeuropäische Kulturwelt weist dem russischen Dirigenten und Putin-Unterstützer Valery Gergiev die Tür (2.3.)

Politische Gesinnung als Kündigungsgrund?

Valery Gergiev, einer der besten Dirigenten unserer Zeit, ist als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker entlassen worden. Diese Entscheidung ist aus meiner Sicht fragwürdig. Die konkrete, inhaltliche Vertragsgestaltung kenne ich nicht, aber gemeinhin wäre eine derartige Vertragsbeendigung im deutschen Arbeitsrecht unzulässig, da politische Gesinnung per se nie und nimmer ein Kündigungsgrund ist. Es sei denn, bei den Münchner Philharmonikern handelte es sich um einen Tendenzbetrieb?

Ob die Entlassung moralisch betrachtet richtig oder vertretbar ist, ist diskutierbar. Wiewohl mittlerweile generell in unserer Gesellschaft bei bestimmten Themen gerne hohe, unangreifbare Moralpositionen eingenommen werden und nicht-konformes Verhalten angeprangert wird. Nach meinem Dafürhalten ist es jedoch nicht angezeigt, einen hoch angesehenen Künstler und herausragenden Musiker aufgrund eines nicht abgegebenen öffentlichen Bekenntnisses zu entlassen. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, einer pluralistischen, offenen Gesellschaft ist solches Handeln nicht angemessen, da es im Grunde auch in die Berufs- und Kunstfreiheit eingreift.Roland Schweizer Leverkusen

Mit zweierlei Maß gemessen

Man hat den Putin-Unterstützer Valery Gergiev vor die Tür gesetzt. Markus Schwerings Frage am Schluss habe ich mir auch gestellt: Hat man hierzulande eigentlich auch amerikanische Dirigenten nach ihrer Einstellung zur Sache gefragt, als die USA völkerrechtswidrig den zweiten Irakkrieg vom Zaun brachen? Danke für den Mut, diese Frage zu stellen, das ist zur Zeit sicher unerwünscht.

Ich habe noch eine zweite Frage: Hat bei dem Irakkrieg irgendein Politiker Sanktionen gegen die USA verlangt? Trotz etwa einer halben Million Toten? Hat irgendein Journalist Sanktionen gefordert? Freie und unabhängige Presse stelle ich mir anders vor.Es wird mit zweierlei Maß gemessen! Vielleicht hat auch dies Putin mit in den Wahnsinn getrieben. Für Putins Krieg gibt es keine Rechtfertigung, dies möchte ich klarstellen. Trotzdem: Die Weltpolitik hat versagt.Michael Horbach Köln

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Vergleich zwischen Irak- und Ukraine-Krieg unangemessen

„Eine Frage drängt sich freilich angesichts der vereint-solidarischen Gergiev-Prügel dann doch noch auf: Hat man hierzulande eigentlich auch amerikanische Dirigenten nach ihrer Einstellung zur Sache gefragt, als die USA völkerrechtswidrig den zweiten Irakkrieg vom Zaun brachen?“ So schließt Markus Schwering seinen Artikel. Was für ein Vergleich! Während im Irak offensichtlich unterdrückt und gemordet wurde, verfolgt und ohne Recht hingerichtet, ist die Ukraine ein freies Land mit freien Wahlen, ein würdiger Repräsentant der Idee eines freien Europa, überfallen ohne Grund vom mächtigen russischen Nachbarn aus reinem Expansions- und Machtwillen.

Man mag über den Erfolg oder Misserfolg der amerikanischen Mission verschiedener Meinung sein, ja, sie im Nachhinein nicht gut heißen, aber vergleichen lässt sich die Situation in keiner Weise und lassen sich schon gar nicht damalige amerikanische Künstler mit ihrem Protestwillen mit solchen russischen, die sich vom Handeln Putins nicht distanzieren. Die wollen wir nicht im Land haben, wie unsere europäischen Nachbarn auch. Was für ein Vergleich! Marieke von Osterhausen Köln

Sippenhaft gegenüber allem Russischen ist der falsche Weg

Angesichts der Ereignisse in der Ukraine bin ich zutiefst erschrocken über die Spirale von Aggression und Hass, die seither in Gang gesetzt worden ist gegenüber fast allem, was auch nur mit Russland und mit russischer Kultur zu tun hat. Da wird die Verbindung zu unserer Partnerstadt Wolgograd kurzerhand ausgesetzt. Behinderte Sportler werden von den paralympischen „Friedensspielen“ in China ausgeschlossen, nur weil sie russische Staatsbürger sind.

Der Operndiva Anna Netrebko werden geplante Engagements an Europas Opernhäusern aufgekündigt, weil sie sich nicht vehement gegen den von ihrem Land geführten Krieg ausspricht – aber doch auch nicht dafür! Die bislang beim Publikum so beliebte Tänzerin Ekaterina Leonova wird bei „Let’s Dance“ plötzlich angefeindet. Und schon sind in Oberhausen die Scheiben eines Lebensmittelgeschäftes mit russischer „Matroschka“ als Logo eingeworfen worden. Nur ein Zufall?

Ich denke, eine Sippenhaft gegenüber allem Russischen ist da sicher der falsche Weg. Wir sollten unsere Chance nicht versäumen, Werte wie Toleranz und Offenheit in einer pluralistischen Gesellschaft umzusetzen. Gerade in der jetzigen, äußerst zugespitzten Situation wünsche ich uns da mehr Fingerspitzengefühl statt überstürztem Handeln aus dem Affekt heraus! Sonst werden wir die Brücken zu unseren Nachbarn, die wir in der Vergangenheit mühsam aufgebaut haben, auch für zukünftige Generationen zerstören. Schließlich ist unser erklärtes Ziel doch der Frieden – und nicht die Spaltung!Dr. Klaus Ulrich Weber Hürth