Letzte Ruhe unter einer Buche

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Einfach riesig: Auch am Fuße dieser Buche in Hümmel gibt es eine letzte Ruhestätte.

Einfach riesig: Auch am Fuße dieser Buche in Hümmel gibt es eine letzte Ruhestätte.

Hümmel - So müssen einmal vor einigen hundert Jahren die Wälder in der Eifel im November ausgesehen haben: Glatte und hohe Buchenstämme, ausladende Kronen, verdorrende Äste auf einem dicken Teppich von braun-goldenem Laub und wild wuchernder Farn. Ein Hauch von Urwald, in den aber ein bequemer Weg führt. Denn das Biotop ist auch ein Friedhof und muss deshalb auch für Rollstuhlfahrer zugänglich sein. „Unter allen Wipfeln ist Ruh' ...“ wirbt der Ruheforst mit seinen etwa 180 Jahre alten Baumriesen. Wer unter einer Buchen seine letzte Ruhe sucht, sichert dem Baum mindest 99 weitere Lebensjahre zu.

Letzte Ausfahrt Hümmel. Eine kleine Gemeinde in Rheinland-Pfalz mit gerade mal 590 Einwohnern, aber mit einem großen Bewusstsein für Natur und Umwelt. Dass Ideen auch in die Tat umgesetzt werden, verdankt das Dorf knapp hinter der NRW-Landesgrenze auch seinem Förster. „Wir wollen wieder ein Stück richtigen Urwald haben“, sagt Peter Wohlleben, seit 14 Jahren Forstwirt in Hümmel: „und dafür brauchen wir ein langfristiges und nicht revidierbares Schutzprogramm.“ Das Konzept der Urnenbestattung in freier Natur - 1999 in der Schweiz patentiert und in Deutschland von zwei Unternehmen, der Ruheforst GmbH und der Friedwald GmbH übernommen -, sieht vor, dass der Verstorbene mit seiner Grabstelle eine Art Grundbucheintrag wie im Erbbaurecht erwirbt.

Durch den befristeten Kauf bleibt ihm 99 Jahre lang der Ruheplatz an der Wurzel eines Baumes erhalten. Das heißt: 99 Jahre lang darf der Baum nicht gefällt werden. Oder 99 Jahre lang darf ein Baumstumpf nicht gerodet werden, wenn er als letzte Ruhestätte gewählt wurde. Förster Wohlleben zeigt auf das etwa 400 Jahre alte Rudiment einer Buche und erklärt, warum Stumpf und Wurzeln nicht absterben können. Der Grund: Sie werden vom Wurzelwerk der Nachbarbäume mit versorgt. Alle 14 Tage führt der Kenner des Waldes Interessierte durch den Forst, erklärt die Prinzipien der Waldbestattung (inklusive der rechtlichen Grundlagen) und die der ökologischen Waldwirtschaft.

An einem Stamm offenbart eine Metallplakette von der Größe einer Visitenkarte den Namen und die Lebensdaten einer Verstorbenen. Vor einigen Wochen ist ihre Asche in einer kompostierbaren Urne aus Maisstärke an den Wurzeln dieser Buche beigesetzt worden. Keine Spuren im Erdreich, nur feuchtes Laub und Stille. Seit zwei Jahren werden im Ruheforst Hümmel Urnen beigesetzt. Bereits 350 Menschen haben hier ihre letzte Ruhe gefunden, unter anderem ein Amerikaner und ein Brasilianer. Mehr als 350 haben sich schon einen Platz unter den mächtigen Buchen sichern lassen. Die meisten Interessenten kommen aus dem Köln-Bonner Raum, aber auch ein nach Kanada ausgewanderter Deutscher hat sich vorsorglich einen Baum gegen postmortales Heimweh reserviert. Hier will er einmal mit seinen Freunden begraben sein.

Feste Riten für die Trauerfeier gibt es nicht, aber etwa ein Drittel werden im Beisein von einem Geistlichen zur letzten Ruhe gebettet. Auch Priester finden sich am Grab im Wald ein, selbst wenn diese Art der Bestattung von der katholischen Kirche nicht zugelassen ist.

Grabbaum statt Grabstein: Dieses Konzept hat für Unmut unter den Steinmetzen der Gegend gesorgt. Aber Förster Wohlleben betont, dass er den Ruheforst, rechtlich ein kommunaler Friedhof, nicht als Konkurrenz zu den herkömmlichen Grabstätten sieht. Er beschreibt es als Angebot für naturverbundene Menschen, die sich hier selbst die Ruhestätte wählen oder deren Angehörige und Freunde wissen, dass sie unter den Bäumen begraben sein möchten. Als der Forstwirt vor mehr als drei Jahren von den Möglichkeiten der Waldbestattungen erfuhr, war er gleich von der Idee angetan: „Ich dachte, das gibt uns ein Jahrhundert Zeit für unseren Wald.“

Vor elf Jahren haben Förster Wohlleben und die Gemeinde Hümmel sich auf ökologische Waldwirtschaft umgestellt. Keine Kahlschläge mehr, kein Einsatz von Chemikalien, Pferde ersetzen die Zugkraft der Erntemaschinen, das tote Holz bleibt im Wald. Das Wild wird nicht mehr gefüttert, seit Hümmel sich vor drei Jahren entschloss, eine „echte Bürgerjagd“ zuzulassen. Das bedeutet das Ende der Sonntagsjägerei, der Trophäenjagd. Stattdessen darf mehr gejagt werden, um den Wildbestand in einem der Natur zuträglichen Rahmen zu halten. Der freundliche Förster kann ganz schön zornig werden, wenn er von dem „gemästeten Überbestand“ in benachbarten Revieren erzählt.

Zwar tragen die Pachten aus dem Ruheforst inzwischen zur Rettung des Waldes bei. Aber allein um des Profits willen lohnt sich nach Erfahrungen von Förster Wohlleben für Gemeinden kein Bestattungswald. Hümmel hat für seinen 14 Hektar großen Ruheforst (aus dem mehr als sieben Quadratkilometer großen Kommunalwald) eine Menge in Gutachten investieren müssen; und die aufwändigen Forstarbeiten zum Lichten der Baumkronen (aus Sicherheitsgründen) verschlingen viel Geld. Damit der Ruheforst tatsächlich ein Oase der Ruhe bleibt, und nicht von Radlern, Walkern und Ausflüglern zwecks Picknick heimgesucht wird, braucht man Ideen und Kontrollmechanismen.

Der Hümmeler Wald, inzwischen vom „Forest Stewardship Council“ mit dem weltweit wichtigsten Gütesiegel für ökologisch nachhaltige Waldwirtschaft zertifiziert, ist aber kein Mausoleum. Bei schönem Wetter kommen ganze Familienclans, um die Grabstätten der Angehörigen zu besuchen - mit den Enkeln und Urenkeln im Bollerwagen: Das ist eine neue Chance, Stadtkindern die Natur nahe zu bringen.

Auch Förster Wohlleben, 41, weiß, wo er und seine Familie einmal die letzte Ruhe finden werden. Er erzählt, wie er davon überrascht wurde, dass seine Eltern bei ihm einen Familienbaum reservierten. Er lacht: „Da bleibt auch genug Platz für uns.“

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