Libyen-PresseschauDeutschland drückt sich um Verantwortung

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Reutlinger General-Anzeiger: "Deutschland im westlichen Lager isoliert"

"Der UN-Beschluss wird weltweit begrüßt, die libyschenAufständischen feiern ihn. Er könnte ihnen nochmals Auftrieb geben.Deutschlands Verhalten allerdings stößt auf wenig Verständnis.Außenminister Guido Westerwelle agiert schwach, farblos, ängstlichund verkalkuliert sich am Ende. Deutschland kneift und steht imwestlichen Lager isoliert da. Dafür erntet Westerwelle Lob vonDiktator Gaddafi. Das hat er sich offenbar verdient."

Braunschweiger Zeitung: "Deutschlands Last der Geschichte"

"Deutschland hat viele Gründe, warum man sich hierzulande mit derVerstrickung in Kriege oder bewaffnete Konflikte schwer tun muss.Dahinter steht die Last der Geschichte, und es wäre eine Schande,würde man sie opportunistisch negieren - auch in dieser Stunde desTriumphs der UN geht das nicht. Die Bundesregierung gewönne imÜbrigen zusätzlich an Glaubwürdigkeit, wenn sie dafür Sorge trüge,dass deutsche Firmen beim Rüstungsexport nicht ganz vorn mitmischenwürden."

Berliner Morgenpost: "Geweigert, weltpolitische Verantwortung zu übernehmen"

"Dass mit der Flugverbotszone allein Schläge aus der Luft und nichtetwa Kampfeinsätze am Boden erlaubt sind, hätte es auch derBundesregierung möglich machen müssen, zusammen mit den Verbündetender Resolution zuzustimmen statt sich zu enthalten. Dabei hat niemandvon Deutschland erwartet, selbst Kampfjets aufsteigen zu lassen. Dochaus Furcht vor weiteren Attacken der heimischen Opposition hat sichdie Bundesregierung geweigert, weltpolitische Verantwortung zuübernehmen. Das überrascht insbesondere bei einem Außenminister einerliberalen Partei, die ansonsten gar nicht laut genug nach Stärkungvon Freiheit, Demokratie und Menschenwürde rufen kann. Und darum gehtes in Libyen genauso wie zuvor in Ägypten und Tunesien. Länder, dieWesterwelle gar nicht schnell genug besuchen und preisen konnte, kaumdass die Diktatoren verscheucht waren."

Aachener Zeitung: "Seit' an Seit' mit Russland und China"

"Seit Jahren fordert Deutschland nun schon einen dauerhaften Sitzim UN-Sicherheitsrat. Und dann leistet es sich unter WesterwellesRegie eine derart erbärmliche Vorstellung: Bei der Frage, ob es eineFlugverbotszone über Libyen geben soll, gab es sowohl für ein Ja, alsauch für ein Nein gute Gründe. Doch die Deutschen flohen aus derVerantwortung und enthielten sich ihrer Stimme. Nun steht DeutschlandSeit' an Seit' mit Russland und China. Da wollte es bestimmt nichthin."

Heilbronner Zeitung: "Moralisches Dilemma"

"Der Westen ist in einem moralischen Dilemma, denn die Soldateskades Wirrkopfs in Tripolis geht gnadenlos vor. Aber macht das zurzeitnicht auch ein US-Verbündeter, das Königshaus in Bahrain, sogar mitHilfe der Saudis - und wo bleibt da der Aufschrei von EU und den USA?Die Reaktion ist offenbar davon abhängig, welchem Lager die Halunkenangehören. Die neue Kriegsallianz hat außerdem übersehen, dassGaddafi auch Befürworter im eigenen Land hat, nicht nur Gegner. DerVersuch, die Kämpfe von außen zu beenden, könnte den Bürgerkrieg erstrecht anheizen."

Kieler Nachrichten: "Vielleicht reicht auch die Geschlossenheit"

"Der UN-Sicherheitsrat konnte nicht anders entscheiden. EineWeltgemeinschaft, die um Hilfe flehende Menschen ignoriert, hättesich selbst aufgegeben, hätte nie wieder den Menschenrechten das Wortreden dürfen. Es gab in dieser Sache keine richtige oder falscheEntscheidung, sondern nur eine weniger falsche. Die wurde hoffentlichgetroffen. Und vielleicht reicht ja auch die demonstrativeGeschlossenheit, um das Blutvergießen in Libyen zu verhindern."

Der Tagesspiegel (Berlin): "Gaddafis Waffenüberlegenheit ausgleichen"

"Wer sich auf Krieg einlässt, gibt die Entscheidungsfreiheit zumTeil aus der Hand und unterwirft sich einer Eigendynamik derEskalation, die sich nur begrenzt kontrollieren lässt. All dieseRisiken bedeuten nicht, dass man tatenlos zusehen muss, wie Gaddafiseine Macht blutig verteidigt. Aber der Westen kann sie reduzieren,indem er sich auf das Notwendigste beschränkt, um GaddafisWaffenüberlegenheit auszugleichen. Und Libyens reformbereite NachbarnÄgypten und Tunesien in die Lage versetzt, den Aufständischen mitWaffen und Logistik zu helfen, damit die aus eigener Kraft das Regimebeseitigen."

Schwäbische Zeitung (Leutkirch): "Falsch entschieden"

"Deutschland hatte die Wahl: in der Konsequenz tatenloszuzuschauen, wie der Diktator mit Luftschlägen und Bodentruppen den"Krieg gegen das eigene Volk" gewinnt - oder mit einem militärischdurchgesetzten Flugverbot die Grundlagen für das Abschlachten derAufständischen durch Gaddafis Luftwaffe zu unterbinden. Deutschlandhat sich falsch entschieden."

Münchner Merkur: "Hohn und Spott"

"Die Weltgemeinschaft hat im allerletzten Augenblick bewiesen, dasssie handlungsfähig ist, dass Demokratiebewegungen auf Unterstützunghoffen und Diktatoren nicht auf Gleichgültigkeit bauen dürfen. Einwenig überzeugendes Bild boten dabei die lange Zeit zerstrittenenEuropäer. Die Deutschen, die sich im Sicherheitsrat der Stimmeenthielten, brauchen sich jetzt über Hohn und Spott aus Washington,London und Paris nicht zu wundern. Obwohl Außenminister Westerwellegrundsätzlich recht hat, wenn er die verunsicherte und überforderteBundeswehr aus dem Konflikt heraushalten will - zumal er ausinnenpolitischen Gründen gar nicht anders konnte. Der späteTatendrang der Weltgemeinschaft wird Gaddafi allerdings nicht ohneweiteres aus Libyen vertreiben können; seine Armee hat längst Faktengeschaffen, die wohl nur durch Bodentruppen zu ändern wären." (alle via dpa)

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