Mäusefreund auf Wohnungssuche

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Aus großen Augen schaut die junge Schleiereule ihren Besucher an.

Aus großen Augen schaut die junge Schleiereule ihren Besucher an.

Marialinden - Mehrere Leitern muss Peter Merten überwinden, bis er das Dachgebälk der Marialindener Kirche erreicht hat. Es ist staubig und dunkel hier, obwohl draußen die Sonne scheint. Außerdem riecht es muffig. Dennoch steigt der 82-Jährige mindestens einmal pro Woche der Kirche auf's Dach. Seine Schützlinge haben Nachwuchs bekommen, da will er nach dem Rechten sehen.

Liebevoll hegt und pflegt Merten eine Horde Schleiereulen, die sich in den Höhen der Kirche häuslich eingerichtet hat. Vor 14 Jahren hat ein Schleiereulenpärchen den Nistkasten unter dem Dach für sich entdeckt. Bis heute hat es zig Junge großgezogen. Dass es den Vögeln in Marialinden so gut gefällt, ist auch Merten zu verdanken: Er hat nicht nur für die Eulen-„Wohnung“ gesorgt, er hält sie auch sauber.

Vorsichtig hebt der Rentner den Deckel der Kiste. Merten spricht gedämpft, denn die Tiere sind sensibel und schreckhaft. Neun Eier hat Merten kürzlich gezählt, aber nur aus sechs Eiern sind Tiere geschlüpft. Davon wiederum haben nur drei Jung-Eulen die ersten Wochen überlebt - die Sterblichkeit unter Schleiereulen liegt bei über 70 Prozent. Merten hat Glück: Ein Junges ist gerade zu Hause. Es hat sich in eine Ecke verkrochen und guckt verängstigt aus seinem herzförmigen weißen Schleier. Mit einem Fauchen versucht der Eulen-Teenager, die Störenfriede zu verscheuchen. Verständlich, wer will schon so unhöflichen Besuch im Wohnzimmer haben? Noch dazu zur Schlafenszeit: Schleiereulen sind nachtaktiv. Vorsichtig schließt Merten wieder den Nistkasten.

Es war ein belgischer Schüler aus Bensberg, dem die Marialindener die Rückkehr der ebenso seltenen wie seltsamen Tierart mit dem lateinischen Namen „Tyto alba“ zu verdanken haben. Vor 17 Jahren stand der etwa 16-jährige Junge plötzlich vor Peter Mertens Tür. „Er fragte mich, ob er in der Kirche einen Eulennistkasten aufhängen dürfe“, erzählt Merten, damals Mitglied im Kirchenvorstand. Warum er sich gerade die Kirche in Marialinden aussuchte, weiß niemand mehr. Auch der Name des jungen Vogelfreundes fällt Merten nicht mehr ein. Fest steht, dass der Pfarrer zustimmte und kurze Zeit später der Schüler einen schweren Nistkasten auf dem Fahrrad nach Marialinden transportierte. Peter Merten half dabei, das hölzerne Vogelzuhause im Dachgebälk über dem Hauptkirchenschiff zu installieren. Auch ein Einflugloch wurde in einen Dachgiebel gesägt. Fortan interessierte sich Merten immer mehr für das Leben der Vögel mit dem kauzigen Gesicht.

Doch es dauerte drei Jahre, bis die ersten Schleiereulen den Nistkasten annahmen. Bis heute ist das Pärchen dem Kirchendach treu geblieben. Ganz zur Freude von Peter Merten. Er strahlt: „Die Schleiereule ist die schönste Eule, die wir haben.“ Und zudem eine der seltensten. Weil es kaum noch geeignete Nistmöglichkeiten gibt und die Nahrungsbasis durch landwirtschaftliche Monokultur schmal geworden ist, steht die Schleiereule auf der roten Liste der bedrohten Tierarten. In den Rheinisch-Bergischen Kreis kehren die Schleiereulen aber allmählich zurück: „Die Meldungen nehmen eher zu als ab“, freut sich Wilfried Knickmeier, Artenschutzbeauftragter des Kreises: „Es werden immer mehr Nistkästen aufgehängt.“ Nicht nur in Overather Ortsteilen, auch in Rösrath, Leichlingen, Burscheid oder Wermelskirchen seien Schleiereulen gesichtet worden.

In Marialinden war lange vor Mertens Nistkasten-Aktion keine Schleiereule mehr gesehen worden. Nun können die Dorfbewohner die Tiere regelmäßig beim Abflug von ihrer „Kirchenwohnung“ beobachten. „Nachts geht es da zu wie im Taubenschlag“, sagt Merten lachend. Es ist halt viel Arbeit, den Nachwuchs zu versorgen. Ihr Futter - in der Regel Mäuse - spüren die Schleiereulen übrigens mit Hilfe ihres ausgeprägten Gehörs auf. Sehen können sie dafür nicht so gut. Zu fressen gibt es auf den Feldern und Wiesen rund um Marialinden offenbar genug: „Neulich habe ich 17 Mäuse im Kasten gesehen“, berichtet Merten.

Problematisch ist für Schleiereulen die Wohnungssuche noch immer. „Es gibt kaum noch natürliche Nistplätze“, sagt Bauer Karl-Arnold Spitz. Auf dem ehemaligen Heuboden seines Bauernhofes in der lauschigen Ortschaft Falkemich fühlen sich seit 30 Jahren mehrere Schleiereulen pudelwohl. Eigentlich braucht es zum Wohlbefinden der seltenen Vögel nicht viel: Ruhe, einen sicheren Nistplatz, möglichst hoch gelegen, und eine Umgebung mit ausreichend Nahrung. Solche Bedingungen sind allerdings selten geworden.

Der größte natürliche Feind der Schleiereulen ist der Marder. Nicht selten bereiten ihnen auch Stromleitungen ein vorzeitiges Ende. Erst kürzlich fand Merten auf einer Wiese unterhalb von Marialinden zwei Eulen, denen die Elektrizität zum Verhängnis wurde. Trotz allem, Merten freut sich noch immer über die Rückkehr der Schleiereule nach Marialinden: „Es ist schön, dass ein Stück Natur erhalten bleibt.“

Tipps zum Bau von Nistkästen für Schleiereulen gibt Wilfried Knickmeier, 02202 / 13 67 98.

Weitere Tiergeschichten im Internet:

 www.ksta.de/rbo-tierisch

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