Mein ViertelDas Schöne liegt verborgen

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Damian Van Melis schätzt die ruhigen Oasen, die es selbst rund um Barbarossaplatz und St. Pantaleon gibt. (Bild: Worring)

Damian Van Melis schätzt die ruhigen Oasen, die es selbst rund um Barbarossaplatz und St. Pantaleon gibt. (Bild: Worring)

Innenstadt – Eine Verabredung mit Damian van Melis, dem Geschäftsführer des Greven Verlages Köln, verläuft zuerst einmal nicht störungsfrei. Der Weg zu dem am Barbarossaplatz ansässigen Verlag wird begleitet von Lärm, Lärm und nochmals Lärm, der auch im Treppenhaus und durch die großen Fenster seines Büros in der fünften Etage gedämpft hörbar bleibt.

Aber Damian van Melis ist kein Mensch, der zuerst über die Nachteile einer Sache spricht. Der promovierte Historiker und Theologe kann sich erst einmal der Begeisterung für ein Thema verschreiben und beginnt den Spaziergang auf dem Balkon, denn "Die Aussicht ist toll".

Auf drei Seiten umläuft er das Verlagshaus an der Neuen Weyerstraße, und man sieht nicht nur die Hügel des Bergischen Landes und des Siebengebirges, sondern ein Panorama der Stadt: den Fernsehturm im Westen, die Eistüte am Neumarkt, die Türme von St. Aposteln, St. Gereon und der Mauritiuskirche, den Quader der Kölner Bank am Ring, den Dom natürlich, St. Pantaleon und die Hochhäuser in Bayenthal, die Türme der Ulrepforte, der Pauluskirche und das Dachgebilde des Deutschlandfunks im Süden.

Keine Kölschseligkeit

Die hohen Bauten stehen in völlig unbekannter Position zueinander, die Orientierung scheint verloren, und van Melis sagt, dass sich die Ansicht der Stadt durch den Halbkreis verzerre, immer wieder hätten Besucher Schwierigkeiten zu erkennen, wo man gerade stehe.

Van Melis spricht über die Stadt. Das Wort kaputt ist ihm zu eindeutig, fragmentiert trifft es besser. Der Greven Verlag verlegt zwar Heimatliteratur, aber über Kölschseligkeit oder das Gegenteil, Kölnbashing, entstehe keine Identität. Was soll er sagen während eines Spaziergangs, denn ringsherum existiere keine Veedelsstruktur, nur kleinere Einheiten, das Pantaleons-, das Mauritius-, das Griechenviertel.

Der Häuserkomplex gegenüber, die Rückseite der Großen Telegraphenstraße, habe eine "klare Sprache der 50er- und 60er-Jahre-Architektur", die ihm gefalle. Ebenso das Finanzamt nebenan, und so könnte man auch drei Stunden mit ihm auf dem Dach verbringen, aber das ist nun wirklich kein Viertel, und wir ziehen los Richtung Südosten zum Buchbinder in die Steinstraße.

Der Greven's Adreßbuch-Verlag existiert seit 1827. Der Gründer, Anton Greven, veröffentlichte die Namen von Handelsreisenden, die sich in der Stadt aufhielten, was der Nachfolger, die Gelben Seiten, gewissermaßen immer noch tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Sigurd Greven von der britischen Besatzungsmacht eine Genehmigung zum Druck von Sachbüchern. Ein "Lizenzierungsfehler", sagt van Melis, woraus sich aber der heutige Greven Verlag Köln entwickelte.

"Wir bedienen eine doppelte Nische." Alle Bücher müssten einen Bezug zur Region haben und außerdem so gut sein, dass Interessierte aus Hamburg, München oder Berlin diese ebenfalls gut fänden und kauften. Seine Arbeit hat Erfolg. Mehr als die Hälfte der Publikationen werden in überregionalen Zeitungen besprochen, und das sind nicht nur Bücher über Gotik, Romanik und den Dom. Zum Programm gehören der Fotograf Chargesheimer, Kochkunst, Märchen, Anekdoten sowie Wörterbücher "op kölsch".

Stolperstein für Heinrich Müller

Zurzeit entsteht das Buch "Gotik im Rheinland", das für Interessierte auch als Vorzugsausgabe hergestellt wird. Eine in Leinen gebundene Kassette enthält ein Exemplar des Buches sowie eine vom Fotografen signierte Abbildung aus dem Band. Manche Kunden wünschen das Foto gerahmt, darum ist van Melis heute zum Buchbinder Bruno Bösterling unterwegs, der diese Aufträge seit vielen Jahren ausführt.

Der Weg führt Am Weidenbach Nummer 4 vorüber, wo Gunter Demnig einen Stolperstein für Heinrich Müller, der 1941 deportierte wurde, installiert hat. "Ich frage mich jedes Mal", sagt van Melis, "ob ich mit dem Fahrrad darüber fahren oder mit dem Fuß darauf treten darf." Einerseits sei es respektlos, andererseits werde das Material dadurch glänzend. Demnig gefällt ihm auch, weil er nicht nur "genialisch auftritt, wie manche Künstler des Kunstmarktes", sondern auch politische und handwerkliche Aspekte bei ihm eine Rolle spielen.

Die Frage, "wann wird der gute Handwerker zum Künstler", begann van Melis verstärkt zu interessieren, als er vor zwei Jahren mit Anton Legner, dem früheren Direktor des Schnütgen Museums, das Buch "Künstler im Mittelalter und ihre Selbstdarstellung" produzierte. Damals musste er manches Mal in die Kirche St. Pantaleon, direkt gegenüber, gehen, um mit dem Autor und dem Lithografen Farbabgleichungen am Kreuzigungsaltar eines unbekannten Franziskanermalers (1527) vorzunehmen, der in dem Band abgedruckt ist.

Vor elf Jahren, als van Melis von Berlin nach Köln gekommen war, hatte er sich gefreut, in einer Stadt leben zu können, die so viele ruhige, kirchliche Oasen habe. Er dachte, St. Pantaleon in Pausen ab und zu aufsuchen zu können, aber, "das habe ich vielleicht nur fünfmal getan".Wir sind im Garten neben dem romanischen Bauwerk. Das Rufen eines Rabenvogels ist das einzige Geräusch an dem sonst ruhigen Ort. Die Kirche sieht van Melis zweifach. Einmal als gesellschaftspolitisch denkender Christ, der sich kritisch mit dem Opus Dei, der hier seine Deutschlandzentrale hat, auseinandersetze, zum anderen als einen Ort 1000-jähriger Frömmigkeit. "Hier haben Menschen gewirkt, die sich und ihr Leben ernst nahmen, was die Architektur und die Reliquien zeigen." Außerdem freue er sich über den Kindergarten und das Altersheim im angrenzenden Hof.

Gebrochene Straßen

Wenn er durch diese Stadt geht, nimmt van Melis diese Orte so wahr und schätzt es, eine Arbeit zu haben, die damit verbunden ist. An der Kreuzung Trierer Straße, Waisenhausgasse, Vor den Siebenburgen erklärt van Melis, was er mit fragmentiert meint. Auf den ersten Blick wirke die Trierer Straße vielleicht kaputt, aber befreite man das Haus Nummer 3 von der Werbung und die ganze Straße von geparkten Autos, würde der Anblick ein anderer sein. Die Architektur sei nicht hässlich, sie wurde durch die Fassadengestaltung späterer Jahre erst dazu gemacht. Außerdem befänden sich hier so schöne Geschäfte wie das von Frau Bingen, die eine sehr gute Einzelhändlerin für Stifte sei.

An der Ecke gegenüber sind die Metzgerei Müller und im Haus davor die Goldschmiede "Heart of Gold". Ihr Schmuck scheint im ersten Moment für Gruftis gemacht, aber für ihn habe er auch eine "Beziehung zur katholischen Kölner Volksfrömmigkeit". Mit diesem Wissen wirke die ganze Straße nicht mehr trostlos, aber "es sind gebrochene Straßen". Die Gegend östlich des Barbarossaplatzes habe sich verändert. Cafés, Plattenläden, Ateliers seien entstanden, die das Leben verbesserten. "Die Menschen hier sind mir wichtig", sagt er, aber auf einem Foto könne man das nicht transportieren.

Im Hinterhof des Hauses Steinstraße 29 hat Bruno Bösterling seine Firma. "Ich bin schon ein Leben lang hier", sagt der 53-Jährige, der das Geschäft vom Vater übernahm. "Buchbinderei, Einrahmungen, Kaschierungen" steht an der Tür. Für den Greven Verlag fertigt er die Handmuster, das sind Ausgaben vor dem eigentlichen Druck in kleiner Auflage für die Verlagsvertreter, stellt die leinengebundenen Kassetten her oder nimmt Aufträge für Rahmungen an. Gemeinsam wählen van Melis und Bösterling das Passepartout für das von Florian Monheim signierte Foto aus.

Danach, es ist Mittagszeit, geht van Melis in den "Garten Eden". Ein Speiseimbiss auf der anderen Seite der Neuen Weyerstraße, an der Ecke Mauritiuswall, deren Besitzer, Peter Zimmermann, ihn schon oft als Gast bewirtete. Aber heute, mit der Presse im Schlepptau, erfährt der Gastronom endlich, wer der Mann "mit der immer guten Laune" wirklich ist. Damian van Melis zeigt uns noch einen renovierten Hof in der Huhnsgasse 34. Er deutet auf die Häuser gegenüber, die wirklich trostlos aussehen, wie vergessen stehen sie in leichter Wölbung in der engen Straße.

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