Kommentar zur „Trauzeugen-Affäre“Fall Patrick Graichen offenbart Grüne Überheblichkeit

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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, muss sich wegen der Affäre um Patrick Graichen, Kritik gefallen lassen. (Archivbild)

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, muss sich wegen der Affäre um Patrick Graichen, Kritik gefallen lassen. (Archivbild)

Die Affäre um Patrick Graichen, den Staatssekretär von Robert Habeck, hat mit Denkmustern der Grünen zu tun, die im Selbstverständnis der Partei und vieler ihrer Anhänger gründen.

Die größte Gefahr politischen Scheiterns entsteht auf der Grenze zwischen gut gemacht und gut gemeint. Wer hier fehl tritt, stürzt ab. Gut zu besichtigen ist das gerade bei den Grünen und ihrem Vorzeigeminister Robert Habeck, der vor wenigen Monaten noch als kanzlertauglich galt.

Mit dem vielleicht gut gemeinten, aber miserabel umgesetzten Heizungsgesetz haben sich Habeck und seine Partei sowohl in der Ampel-Koalition als auch in weiten Teilen der Bevölkerung in die Defensive manövriert. Mit der „Trauzeugen-Affäre“ um Habecks Staatssekretär Patrick Graichen, den geistigen Vater der Heizungspläne, stecken sie nun in allergrößten Erklärungsnöten fest.

Wer die Weltverbesserung im Programm hat, muss es dann mit der Selbstoptimierung nicht immer so genau nehmen.

Ganz offensichtlich hat das Heizungs-Desaster auch mit Denkmustern der Grünen zu tun. Im Selbstverständnis der Partei und ihrer Anhänger überwiegt die Vorstellung, mit der Anwaltschaft für die Umwelt und damit für die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen aus Prinzip auf der richtigen Seite zu stehen.

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Grüner Habitus moralischer Überlegenheit

Wer die Weltverbesserung im Programm hat, der muss es dann mit der Selbstoptimierung nicht immer so genau nehmen. Der grüne Habitus moralischer Überlegenheit mit höchsten Ansprüchen an andere korrespondiert – nur auf den ersten Blick erstaunlich – mit großer Nonchalance beim eigenen Tun und Lassen: Was wollt ihr denn? Wir sind doch die Guten!

Die „Trauzeugen-Affäre“ ist dafür der mustergültige Beleg. Welchen Sturm der Entrüstung hätten die Grünen wohl entfacht, wenn unter einem CSU- oder FDP-Minister derart instinkt- und hemmungslos ein hoch dotierter Posten einem persönlichen Freund zugeschanzt worden wäre? Vermutlich hätten genau jene am lautesten über eine neue „Amigo-Affäre“ gezetert, die jetzt eine „Kampagne“ gegen ihren Parteifreund Habeck beklagen.

Gewiss, die Attacken der Opposition sind schrill, manche Vorwürfe überzogen oder erkennbar überkonstruiert. Aber die Angriffe fallen auch deshalb so scharf aus, weil das Sensorium der Grünen bei Selbstkritik und dem Eingeständnis schwerer handwerklicher Fehler offenkundig unempfindlich geworden ist.

Selbstherrliche, besserwisserische Attitüde der Grünen auch in Köln

Das schlägt von der Bundespolitik bis auf die kommunale Ebene durch. Anders ist es kaum zu begreifen, mit welch selbstherrlicher, besserwisserischer Attitüde die Verkehrsversuche auf der Venloer Straße und nun auch in der Domumgebung umgesetzt wurden und wie sie von manchen Kölner Grünen achselzuckend kommentiert werden. Die Bedenken wichtiger Beteiligter und Betroffener der autofreien Zone am Dom – wie die Philharmonie, das Excelsior-Hotel oder die Gastronomie – werden zur Seite gewischt. Auch hier: Kommt uns ja nicht mit Kritik! Wir wissen schon selbst am besten, was für euch gut ist!

In Berlin konnte Habeck in den Großkrisen des ersten Regierungsjahrs rund um Krieg und Energieknappheit als „Erklärbär“ der Grünen in der Bevölkerung damit punkten, dass er die Zwänge politischer Entscheidungen offensiv formulierte. Jetzt versucht er, mit einem neuen Auswahlverfahren für den Chef-Posten der Deutschen-Energie-Agentur, seinen vielleicht wichtigsten Mann im Amt zu halten.

Dessen fachliche Kompetenz mag noch so groß sein – der unerklärliche Mangel an Softskills wie dem Gespür für gute Sitten oder der „bürgerlichen“ Tugend des Anstands wirft Fragen auf zum Geist in einem grün geführten Ministerium. Gut gemeinte Politik – das ist definitiv zu wenig. Mehr noch: Es ist schlechte Politik.

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