Missbrauch-SkandalBerührungsängste der Kirche

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Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch. (Bild: dpa)

Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch. (Bild: dpa)

FREIBURG - „Mein Gott“, ereiferte sich Heinz Josef Algermissen, „wir sind doch keine Apparatschiks, sondern versuchen am Ende immer, Versöhnung untereinander zu erreichen.“ Der spontane Gefühlsausbruch des Fuldaer Bischofs bezog sich auf das Konfliktthema Bundeswehreinsatz in Afghanistan, beschreibt aber auch treffend die Atmosphäre im Kollegium der 65 anwesenden Bischöfe bei dem Thema, das bei ihrem Frühjahrstreffen in Freiburg alle anderen überlagert: dem Umgang mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch kirchliche Amtsträger. Die Bischofskonferenz ringt um eine Überarbeitung ihrer „Leitlinien“ von 2002, und alle wissen, dass es mit ein paar kosmetischen Retuschen nicht getan ist.

Als Konsequenz aus den Verfehlungen pädophiler US-Geistlicher hatten die deutschen Bischöfe 2002 in ihren „Leitlinien“ die Einsetzung von Missbrauchsbeauftragten beschlossen.

Deren Auswahl ist eines der Konfliktthemen in Freiburg. Viele Katholiken, darunter die Reformgruppe „Wir sind Kirche“, halten die derzeitige Praxis für unzureichend. Nur zehn der 27 Vertrauensleute seien unabhängig, kritisierte die Vereinigung. Die meisten anderen seien Personalchefs oder andere Bistumsangestellte. Mitbegründerin Mechthild Laakmann findet deutliche Worte: Für Opfer sei es unerträglich, sich einem „Angehörigen der Täter-Clique“ anvertrauen zu müssen.

Sie fordert kirchenunabhängige Ombudsleute und eine bundesweite Anlaufstelle. Außerdem werden die Bischöfe aufgefordert, Übergriffe auf Minderjährige nicht länger bloß in ihrem eigenen Rechtssystem regeln zu wollen. „Wir sind Kirche“ verlangt eine „aktive Zusammenarbeit„ mit der Staatsanwaltschaft, und zwar auch in Verdachtsfällen.

Doch liegt ein Verdachtsfall schon vor, wenn ein Pfarrer als Bezieher einschlägiger FKK-Magazine erwischt wird oder erst bei dubiosen Fummelspielen mit Ministranten? Ebenso umstritten ist die Frage, ob eine Strafverfolgung überhaupt im Sinne der Opfer ist. Rückendeckung bekamen sie ausgerechnet von einem der nach Freiburg geladenen, eher kirchenfernen Fachleute:Norbert Leygraf, Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie an der Universität Duisburg-Essen, wusste den Bischöfen sogar von Fällen zu berichten, in denen die Opfer die Einschaltung der Ermittlungsbehörden ausdrücklich ablehnten. „Es gibt keine Anzeigepflicht.“

Seit 2002 begutachtet Leygraf im Auftrag der deutschen Diözesen auffällig gewordene Pfarrer und Kapläne. Bei sieben von 17 untersuchten Geistlichen habe er keine Einwände gegen einen weiteren Einsatz geltend gemacht. In jüngster Zeit, so Leygrafs Fazits, handle die Kirche, offenbar unter öffentlichem Druck, „sorgfältig und schon etwas übervorsichtig“.

Ein anderer heiß diskutierter Aspekt ist die Frage nach Nähe im Umgang mit Kindern. Eine Mehrheit vertritt die Ansicht, nicht jede Berührung dürfe gleiche als verwerflich gelten. „Wenn unsere Jugendarbeit aus Vorsicht nicht mehr unverkrampft ist, wäre das die falsche Konsequenz“, sagt der Triere Bischof Stephan Ackermann, fügt aber hinzu: „Heute würde ich den Teufel tun und wie als junger Kaplan mit Kindern übermütig im Freibad herumzutollen.“

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