Mythos„Petermann, geh' du voran“

Lesezeit 4 Minuten
So kannten und liebten ihn die Kölner: Entertainer „Petermann“ - brav und vorzeigbar mit einem Sektglas in den Händen. (Archivbild)

So kannten und liebten ihn die Kölner: Entertainer „Petermann“ - brav und vorzeigbar mit einem Sektglas in den Händen. (Archivbild)

Köln – Seine Erschießung ist die Geburt eines Mythos': Er soll die linke Faust in den Abendhimmel gereckt haben, als ihn die tödlichen Kugeln trafen - ein letzter Gruß an die Entrechteten der Welt, zu denen er selbst Jahrzehnte lang gehört hat, bevor ihm die Flucht aus einem gekachelten Gefängnis gelang.

Die Kölner Stadtgeschichte, erst recht die der neusten Zeit, ist arm an echten Helden und so wundert es nicht, dass aus einem 36 Jahre alt gewordenen Affen der einzig echte „Anarchist“ der Stadt und ein linker Rebell wurde, dessen Name man an Mauern schrieb: „Petermann, geh' du voran!“, „Petermann lebt!“, war da zu lesen.

Eine Fußballmannschaft der „Bunten Liga“ wurde mit und in seinem Namen Deutscher Alternativ-Meister, wahrscheinlich nur um die darauf folgende mediale Aufmerksamkeit dazu zu nutzen, den Mythos Petermann weiter zu pflegen: „Sie hätten mit Betäubungspatronen auf ihn schießen können.“ Stattdessen sei er „hinterrücks“ erschossen worden, dabei wollte er „nichts anderes als die Freiheit“.

Petermann war gelernter Entertainer, Karnevalist und Werbeträger, Spielkamerad und Fernsehstar - und in den 1950er Jahren Deutschlands berühmtester Schimpanse. Mit Frack, Zylinder und Sektglas in der Hand hatte er der wachsenden Fernsehnation via Bildschirm eine frohes neues Jahr 1953 gewünscht.

Clownerien, kleine affige Späßen - das konnte jeder Affe. Aber diszipliniert und ernsthaft Fernsehen machen - das konnte nur Petermann. Der Autor Walter Filz charakterisiert Petermann in einem neuen Buch zum 25. Jahrestag seines Todes als typisches Kind der biederen Adenauer-Ära: brav, dressiert, niedlich und angepasst.

Irgendwann habe er eben nicht mehr mitspielen wollen beim Schwachsinn, den sich andere ausgedacht hatten. Sein letzter Auftritt musste als „schlimmste Zumutung“ empfunden werden. Petermann sollte im Jahre 1959 Reklame für die Post machen. Mit seinem Postsparbuch, auf dem immerhin 30 000 Marl lagen, wurde für ein neues Affenhaus gespart. „Der Affe als Bausparer - das ist die vollendete Domestizierung“, so Filz. „Der Affe wird zum Affen gemacht.“

Das stimmt nicht ganz, denn Petermann galt erst nach dem Erreichen der Geschlechtsreife als schwierige, unberechenbare Kreatur, die mit Menschen nicht mehr zurecht kam. Auch mit den eigenen Artgenossen hatte er Probleme. Als das neue Affenhaus eröffnet wurde, durfte er nicht mit einziehen. Der Kinopartner von Lilo Pulver und René Deltgen saß in einer gekachelten Zelle hinter Glas, das die Gitterstäbe ersetzte, nachdem der Ex-Artist Menschen mit seinen Exkrementen beworfen hatte. Das fand keiner mehr lustig. An Susi, einer ihm zugesellten Schimpansin, zeigte er keinerlei Interesse.

Auch die Umstände seiner Flucht - zusammen mit Susi, an der er keinerlei - am 10. Oktober 2010 sind alles andere als komisch. Erst wird sein Pfleger im Zoo niedergeschlagen, als dieser für einen Moment unachtsam ist. Dann fallen Petermann und Susi über den damaligen Zoo-Direktor Gunther Nogge her. Sie beißen ihn in Kopf und Gesicht. Der Express schreibt am nächsten Tag, Nogge sei „zerfleischt“ worden.

Es habe keine Chance bestanden, die Tiere nach der Attacke wieder einzufangen, berichteten Zoo-Mitarbeiter. Man habe angesichts der Gefahr für weitere Menschen auch keine Zeit gehabt, ein Betäubungsmittel vorzubereiten, auf das Affen ohnehin nur verzögert reagieren. Also habe man schießen müssen. Petermann starb auf dem Zoogelände, Susi schaffte noch die Flucht über den Zaun, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 11. Oktober 1985 berichtete.

Er hätte sterben können, sagte Nogge später, als er schwer verletzt im Krankenhaus das erste Interview gab. Der Affe hatte in Nogge denjenigen gesehen, den er als Ranghöchsten - sozusagen als Verantwortlichen für seine Lage - niedermachen musste. Petermann ignorierte, dass es nicht Nogge, sondern dessen Vorgänger waren, die ihn dressiert und dann als Psychopathen weggesperrt hatten. Für Nogge war der Schimpanse ein Beispiel für die Tierhaltung vergangener Zeiten, die es zu überwinden galt. Auch das ging in den Jahren kölscher Mystifizierungen eines Affenlebens ein wenig unter. Ein echter Held muss unschuldig sterben, damit er weiter leben kann.

KStA abonnieren