Neugieriger Blick in die Firmenakten

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Die Werksfeuerwehr der rheinischen Linoleumwerke.

Die Werksfeuerwehr der rheinischen Linoleumwerke.

Bedburg - „Ja, ja, ja, dafür waren die Holtkotts bekannt“, kommentiert Edgar Ackermann von der Verwaltung eine Eintragung aus dem Jahre 1938. „Strafsache wegen verspäteter Steuerabgabe“ lautet die Überschrift der Akte, die im Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv Köln lagert. „Die haben die Steuern immer erst Ende des Jahres und dann auf den allerletzten Drücker bezahlt“, weiß Ackermann aus Erzählungen von mittlerweile pensionierten Kollegen. Dafür sei das Unternehmen bei der Stadtverwaltung bekannt gewesen.

45 Meter Regalboden füllen die Akten über die Firmengeschichte der Rheinischen Linoleumwerke Bedburg im Wirtschaftsarchiv Köln. Dessen Direktor, Dr. Ulrich Soénius, überreichte der Stadt jetzt ein so genanntes Findbuch, in dem zu den Nummern der Akten eine kurze Zusammenfassung des Inhalts verzeichnet ist. „Das ermöglicht Interessierten, gezielt eine Akte in den Lesesaal des Archivs zu bestellen und einzusehen“, erklärt Soénius den Zweck des 460 Seiten starken Werks. In mühevoller Arbeit hat die Historikerin Julia Caun das Findbuch erstellt. Einträge zu den Familien, die das Unternehmen fast 100 Jahre führten, zur Produktion, zu Grundstücken, dem Ein- und Verkauf und eben auch Strafverfahren finden sich in den Unterlagen, zu denen das Findbuch eine Übersicht bietet.

900 Beschäftigte

Wohl keine andere Firma hatte einen solch großen Einfluss auf die Entwicklung der Stadt Bedburg wie die Linoleumwerke. „Vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Werk 900 Beschäftigte - eine solche Firma könnten wir heute wieder gut gebrauchen“, bemerkte Bürgermeister Gunnar Koerdt mit einem Blick auf die Unternehmensgeschichte. 1897 gründete Adolf Silverberg die Rheinischen Linoleumwerke Bedburg, kurz RLB. Neben der ebenfalls durch die Initiative Silverbergs entstandenen Bedburger Wolle entwickelte sich die Linoleumproduktion schnell zu einem wichtigen Wirtschaftszweig in der Region, der die Stadt zur Blüte brachte und zahlreiche Neubürger anzog. „In der Zeit von 1861 bis 1910 steigen die Einwohnerzahlen von Bedburg, Lipp, Blerichen und Broich durch die industrielle Entwicklung von unter 1500 auf 3912“, weiß Stadtarchivar Uwe Depcik.

Geprägt wurden die RLB durch die Familie Holtkott. 1899 übernahm Richard Holtkott die Leitung der Firma. Die Söhne Alfred und Walter folgten in den 20er Jahren in die Geschäftsführung. Neben Linoleum produzierten die RLB Linkrusta, ein abwaschbares Tapetenmaterial, sowie einen Fußbodenbelag aus Wollfilz. Vor dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten 1000 Menschen in dem Bedburger Werk. Es gab Zweigniederlassungen in Berlin und Wien.

Größter Hersteller

Durch Kriegsschäden und die starke Einschränkung der Produktion fiel die Zahl der Beschäftigten bis 1945 auf 50 Mitarbeiter. Aber schon in den 50er Jahren gehörte das Bedburger Unternehmen wieder zu den größten Linoleumherstellern Deutschlands. In den 60ern griffen die Holtkott-Söhne einen neuen Trend auf: Sie ließen hochwertiges PVC produzieren.

Dennoch war der Niedergang unaufhaltsam. Anfang der 70er Jahre wurde die Produktion des mittlerweile unpopulären Linoleums eingestellt. Die allgemeine Auftragslage verschlechterte sich. Kurz vor Eröffnung des Konkursverfahren 1978 hatten die RLB noch 250 Mitarbeiter. Das Werksgelände wurde 1979 abgerissen. Zunächst als Stellplatz für eine Autofirma, später von einer Firma für Boden- und Wandbeläge genutzt, kaufte die Stadt das Grundstück 1991 auf. Heute befindet sich das Gewerbegebiet Adolf Silverberg auf dem Gelände.

Das Findbuch kann im Stadtarchiv, das im Rathaus Kaster untergebracht ist, eingesehen werden.

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