Flüchtlinge in NRWIslamisten zündeten sein Klavier an

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Aiham Ahmed wurde wegen seines Klavierspiels von Islamisten in Syrien mit dem Tod bedroht. Jetzt lebt er in Deutschland.

Aiham Ahmed wurde wegen seines Klavierspiels von Islamisten in Syrien mit dem Tod bedroht. Jetzt lebt er in Deutschland.

Köln – Es ist eine von diesen Geschichten, die ganz und gar unglaublich zu sein scheinen inmitten von Krieg und Gewalt, Terror und Tod. Trotzdem passieren sie und berühren deshalb umso mehr. Da stellt im palästinensisch-syrischen Flüchtlingslager Jarmuk, einer eigenen Großstadt am Rand von Damaskus mit ehedem 150 000 Bewohnern, ein Pianist sein Klavier auf einen Rollwagen und schiebt es auf die Straße. Er spielt und spielt und spielt. Beseelt und besessen. Er singt vom Elend im Lager, vom Hunger, von den Fassbomben des Assad-Regimes. Er singt von der Angst um seine Frau und seine beiden Kleinkinder, von der Aussicht auf ein besseres Leben, das so unendlich weit weg ist. Die Bewohner ringsum, vorneweg die Kinder, kommen und hören ihm zu. Der Pianist in den Trümmern bringt mit seinen improvisierten Melodien ein bisschen Freude in die Lagertristesse. Bis islamistische Milizen einrücken und in Jarmuk die Macht übernehmen. Als der Pianist mit seinem Klavier über einen Kontrollpunkt von einem Teil des Lagers in einen anderen rollen will, zünden sie ihm das Instrument an und drohen damit, ihn umzubringen.

„Mein Fehler“, sagt Aiham Ahmed, der junge Klavierspieler, und lacht ein wenig aufgekratzt. „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Vorher haben sie mich in Ruhe gelassen.“ Auch für seinen Musikalienladen mit 1200 selbst gebauten orientalischen Lauten, den Ouds oder Buzuqs, und Zithern (Qanuns) haben die Islamisten sich nicht interessiert. Aber Musik in der Öffentlichkeit, das ist für die „Gotteskrieger“ nach dem Gesetz der Scharia „haram“, Teufelszeug – wie alle kulturellen Darbietungen. Selbst Kindertheater ist verboten. Seine Auftritte als Straßenmusiker hat Ahmed mit dem Handy gefilmt und auf Facebook hochgeladen. Die Internet-Community sollte sein Publikum sein und zugleich Zeuge – auf dass ihm nichts passieren möge, solange andere ihm beim Spielen zusehen.

Ahmed ist nicht einmal 1,70 Meter groß. Seine Statur ist schmächtig, die Jeans schlackern um die Hüfte herum und an seinen Beinen. Die drahtigen, schwarzen Haare trägt er kurz geschnitten. Mit seinem aubergine-farbenen Palästinensertuch um den Hals gewickelt, wirkt er alles andere als wagemutig oder heroisch. Und doch hat er sich dem Terror widersetzt, den Islamisten zu trotzen versucht. Für ihn waren das alles „IS-Männer“. Zwischen den rivalisierenden Milizen, die abwechselnd im Lager das Sagen hatten, machten die Leute in Jarmuk keinen Unterschied. Weil sie ihnen alle gleich brutal vorkamen. Und lebensfeindlich sowieso. Nach dem Zwischenfall mit dem abgebrannten Klavier entschließt Ahmed sich zur Flucht. Am 2. August verlässt er Jarmuk, drei Jahre nach seiner Ankunft im Lager. Es folgt eine jener Odysseen, wie sie in diesen Tagen oft zu lesen sind, vor allem aber zigtausendfach geschehen: auf dem Landweg zur türkischen Küste. Mit dem Schlauchboot auf eine kleine griechische Insel. Weiter über die Balkanroute. Tagelanges Warten an der ungarischen Grenze, Schläge der Grenzpolizei. Endlich ergattert er einen Platz in einem der Trecks über Kroatien und Österreich bis nach Bayern. Jetzt lebt der 27-Jährige erst einmal als registrierter Flüchtling in Kirchheim, wo das Land Hessen eine Erstaufnahmestelle eingerichtet hat. „Deutschland!“, sagt Ahmed. Und noch einmal: Deutschland! „Das Land Beethovens. Das Land Mozarts!“ Letzteres stimmt zwar nicht so ganz. Aber aus syrischer Perspektive ist das verzeihlich.

Bekannt gemacht haben ihn zwei Porträts der Journalistin Sonja Zekri in der „Süddeutschen Zeitung“, die Ahmed über Umwege noch in Jarmuk aufgespürt und seine Geschichte aufgeschrieben hatte. Die Musikerin Martina Overlöper, Flötistin der Bochumer Symphoniker, las davon und beschloss, etwas zu unternehmen. „Wie mutig ein Kollege, »einer von uns«, den Kampf aufgenommen hat , mit Musik, weil er nichts anderes hat – das hat mich umgehauen.“ Gerade in Notzeiten bräuchten die Menschen Kunst und Kultur, sagt Overlöper. Mit Kollegen ihres Orchesters und der katholischen Kirche hat sie einen Auftritt Ahmeds in Bochum am vierten Advent organisiert. Der Schauspieler Dominique Horwitz hat die Schirmherrschaft übernommen, auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), bekanntlich ein Bochumer, unterstützt die Initiative und will versuchen, an dem Benefiz-Konzert teilzunehmen, wie er den „Kölner Stadt-Anzeiger“ wissen ließ. Zwei Tage vorher, am 18. Dezember, erhält Ahmed in Bonn den Beethoven-Menschenrechtspreis. Eigentlich wollten die Initiatoren um den Konzertveranstalter Torsten Schreiber den Preis erst 2016 verleihen. Aber für Ahmed ziehen sie die Auszeichnung vor. Martha Argerich, Ahmeds weltberühmte Kollegin, spielt zu seinen Ehren.

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