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Aberglaube und GewaltIn 43 Ländern werden Frauen noch immer brutal als Hexen verfolgt

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Büffelschädel an Baum imago

Der Vorwurf der Hexerei speist sich aus dem Glauben an Zauberei und Okkultismus. Zehntausende Frauen wurden als Hexen verfolgt.

Hexenwahn. Der Begriff ruft Bilder von Scheiterhaufen wach, von gequälten Frauen und brutalen Folterknechten. Bilder aus längst vergangener Zeit, dem „finsteren Mittelalter“. Leider ist nur das Letztere falsch. Das frauenfeindliche Wüten hatte seinen Höhepunkt in Europa erst in der Vormoderne seit dem 17. Jahrhundert, ist aber kein vergangenes Phänomen. In 43 Ländern der Erde werden auch heute Frauen als Hexen stigmatisiert, gefoltert und umgebracht.

Eine „Weltkarte Hexenwahn“ zeigt rot eingefärbte Regionen in weiten Teilen Afrikas, des Mittleren Ostens und Südostasiens. Aber auch Mexiko, Guatemala, Haiti und Bolivien stehen im Atlas des Schreckens. Seit dem vorigen Jahr sind Sierra Leone und Simbabwe hinzugekommen.

Botswana, Mosambik, Ecuador und Peru stünden unter Beobachtung, sagt Jörg Nowak vom katholischen Hilfswerk „missio“. Seit 2017 dokumentiert es in Zusammenarbeit mit Projektpartnern, anderen NGOs und den Vereinten Nationen Fälle von Hexenverfolgung. Wenn fünf davon in einem Land zweifelsfrei dokumentiert sind, färbt „missio“ es rot ein.

Schätzungen gehen von 100.000 toten Frauen durch Hexenwahn aus

Weltweit sind dem Hexenwahn laut „missio“ seit den 1950er Jahren mehr Frauen zum Opfer gefallen als in der europäischen Verfolgung früherer Jahrhunderte. Geht man hier von 40000 bis 60000 Toten aus, belaufen sich Schätzungen für die vergangenen Jahrzehnte auf mehr auf 100.000. Der globale Norden ist zwar noch eine riesige weiße Fläche. Aber einzelne Vorkommnisse in Großbritannien lassen befürchten, dass der gewalttätige Aberglaube als Folge der weltweiten Migration in Regionen zurückkehrt, wo man ihn ein für alle Mal überwunden wähnte.

Zu dem von „missio“ im Jahr 2020 ausgerufenen „Internationalen Tag gegen Hexenwahn“ an diesem Mittwoch berichtet die Schweizer Franziskanerin Lorena Jenal von ihrem gefährlichen Einsatz für verfolgte Frauen auf Papua-Neuguinea. In der Hochlandregion rund um die Provinzhauptstadt Mendi sind der Ordensfrau in ihrer Arbeit 210 Fälle von Hexenverfolgung untergekommen. 195 Frauen konnte sie in ihr „Haus der Hoffnung“ retten, 15 Verfolgte verloren ihr Leben.

An den Foltermethoden hat sich im Lauf der Jahrhunderte nur wenig geändert. Die in Europa zum Sinnbild gewordenen Scheiterhaufen brennen weiter. Schwester Lorena erzählt auch von einer Frau, die am ganzen Körper mit glühenden Eisen malträtiert wurde, bis ihre Peiniger von ihr abließen.

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Der Vorwurf der Hexerei speist sich aus archaischen Vorstellungen über Magie, übersinnliche Mächte, Zauberei und Okkultismus. Aber auch der christliche Fundamentalismus spiele eine Rolle, sagt Schwester Lorena – mit einer „schlechten Theologie“, die etwa das Bild vom strafenden Gott und von der Frau als Verführerin zur Sünde propagiert.

Der Aachener Friedens- und Konfliktforscher Norbert Frieters-Reermann sieht in gesellschaftlichen Umbrüchen einen „Trigger“ für den Hexenwahn. Menschen, die aus traditionellen Weltbildern und Bindungen herausgerissen und mit Wucht in Modernisierungsprozesse geschleudert würden, reagierten in „irrationalen Dynamiken“.

Neid auf beruflichen Erfolg als Motiv

In Papua-Neuguinea hätten die Gewaltausbrüche gerade jüngst unter dem Eindruck bevorstehender Wahlen zugenommen, sagt Schwester Lorena. Politische Unruhe und soziale Unsicherheit fänden in frauenfeindlichen Attacken ein Ventil. Es sei bezeichnend für die patriarchalische Gesellschaft Papua-Neuguineas und ihre Vorstellung von Geschlechterrollen, dass ausschließlich starke, selbstbewusste Frauen Opfer von Hexenverfolgung würden.

Neid auf Landbesitz, auf Vieh oder auf beruflichen Erfolg, die Suche nach einem Sündenbock für Krankheiten oder persönliche Schicksalsschläge und nicht zuletzt männliche, sexualisierte Gewaltfantasien täten ein Übriges.

Begegnen will Schwester Lorena dem Hexenwahn neben der konkreten Hilfe für die bedrohten Frauen vor allem mit dem Einsatz für Menschenrechte, Gleichberechtigung und mit beharrlicher Bildungsarbeit, damit Hexen, wie Jörg Nowak von „missio“ sagt, irgendwann nur mehr Märchengestalten aus uralten Zeiten sind.

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