Erster Auftritt im TV nach der HaftBoris Becker – Die Vermarktung des Elends beginnt

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Der ehemalige Tennisspieler Boris Becker kommt am Southwark Crown Court in London an.

Boris Becker ist raus aus dem Gefängnis und zurück in Deutschland. Aus seiner Haftzeit will er nun Kapital schlagen.

Boris Becker ist wenige Tage in Freiheit – da folgt auch schon das erste TV-Event. Bei Sat.1 soll der frühere Tennisstar seine Sicht der Dinge schildern. Es dürfte nicht der einzige lukrative Mediendeal sein.

Gerade einmal fünf Tage ist es her, da wurde der frühere Tennis-Star Boris Becker in Großbritannien aus der Haft entlassen – nun steht auch schon das erste große TV-Event an.

Moderator Steven Gätjen wird Becker zum Interview empfangen. Am Dienstagabend, zur Primetime, in Sat.1. Und dann wird geplaudert. Ganz locker. Oder auch nicht. Das Interview soll laut Mitteilung des Senders nämlich nicht nur auf deutsch, sondern auch auf Englisch geführt werden. Zweimal? Hintereinander? Mit den gleichen Fragen und Antworten? Niemand weiß das so genau – der Sender lässt eine entsprechende RND-Anfrage dazu offen.

Lukratives Geschäft

Klar scheint aber: Das Interview soll sich lohnen, und zwar für beide Seiten. Die Zweisprachigkeit lässt darauf schließen, dass der TV-Sender das Gespräch groß vermarkten will, auch international. Dafür hat Sat.1 mit den Red Arrow Studios sogar einen weltweiten Vertrieb engagiert. Ausländische Sender, die das Gespräch ausstrahlen wollen, sollen sich dort melden, wirbt Sat.1 in einer Pressemitteilung.

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Becker ist nicht nur in Deutschland bekannt, sondern auch überall sonst in der Welt – und die Verhaftung des einstigen Sportstars brachte ihn weltweit in die Schlagzeilen. Das Gespräch dürfte also international auf großes Interesse stoßen, das sich zu Geld machen lässt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich Sat.1 einen Exklusiv-Vertrag mit Becker gesichert hat.

Interview, Akte Spezial, Der Spieler: Sat.1 setzt auf voll Becker

Das Interview sei das vorerst einzige überhaupt, weltweit, kündigt der Sender an. Man wolle „nicht über ihn sprechen – sondern mit ihm“, wird Chefredakteurin Juliane Eßling in einer Mitteilung zitiert. „Ich freue mich, dass Boris Becker uns sein Vertrauen für das erste und weltweit einzige Interview nach der vielleicht schwersten Zeit in seinem Leben schenkt. Dafür ändern wir gerne unsere Primetime am Dienstag.“

Im Anschluss an das Interview sollen dann auch noch zwei Dokus die Einschaltquoten oben halten. Da läuft zunächst „Akte Spezial: Boris Becker – Vom Helden zum Häftling“ und anschließend „Boris Becker – Der Spieler“ aus dem Jahr 2017.

Beckers Gage bleibt geheim

Auch für Becker ist das Prime-Time-Gespräch offenbar lukrativ. Nicht nur, weil er mit dem Deal ein internationales Millionenpublikum erreichen wird und damit die Chance bekommt, sein Vergehen zu erklären. Glaubt man einem Bericht der „Bild“-Zeitung, so soll die Tennis-Legende auch eine mittlere sechsstellige Gage für das Gespräch bekommen.

Ob das wirklich stimmt, ist unklar – bei Exklusiv-Verträgen ist das aber durchaus üblich. Sat.1 will die Meldung auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) nicht bestätigen. „Vertrauen ist ein hohes Gut in der Zusammenarbeit: Dazu gehört, dass SAT.1 nicht aus Verträgen zitiert“, so ein Sprecher.

Völlig unklar ist derweil, wie authentisch das Gespräch wohl werden wird, das Fernsehzuschauerinnen und -Zuschauer am Dienstagabend zu sehen bekommen. Der Medienexperte Ferris Bühler geht davon aus, dass sämtliche Fragen bereits im Vorfeld detailliert abgesprochen wurden, wie er dem Online-Portal „Watson“ sagte. Das ist im Journalismus eigentlich ein No-Go – ebenso unüblich ist es, seine Interviewpartner für Gespräche zu bezahlen. Wie aufschlussreich und kritisch das Interview werden wird, bleibt demnach abzuwarten.

Doku bei Apple TV+ geplant

Das Boris-Becker-Interview in Sat.1 ist aber nicht der einzige große Promo-Move, der Becker kurz nach seiner Rückkehr in die Freiheit erwartet. Am Freitag, und damit zufälligerweise am selben Tag, an dem Becker das Gefängnis in England verließ, veröffentlichte der Streamingdienst Apple TV+ den Trailer einer Boris-Becker Doku, die zu einem noch unbekannten Zeitpunkt erscheinen soll.

Darin zu sehen ist der frühere Tennisstar wie man ihn wohl zuvor noch nie gesehen hat: Vor schwarzer Kulisse und mit roten Augen sitzt Becker weinend vor der Kamera und erklärt: „Ich habe meinen Tiefpunkt erreicht. Ich werde mich dem Urteil stellen, wie auch immer es aussehen mag.“ Aufgezeichnet wurde die Szene drei Tage vor dem Gerichtsurteil gegen Becker, das ihn ins britische Gefängnis brachte.

Bereits am Mittwoch vergangener Woche hatte Apple die Produktion über Becker in einer Mitteilung angekündigt. Das Format basiert demnach „auf drei Jahren exklusivem Zugang zu Becker vor seiner Verurteilung im April 2022″ und beinhalte sehr persönliche Interviews mit dem Tennisstar, das letzte kurz vor seiner Inhaftierung.

Beleuchtet werde einerseits die erfolgreiche Karriere des dreifachen Wimbletonsiegers, aber auch Beckers „manchmal turbulentes Privatleben“. Auch Gespräche mit engen Angehörigen und Kollegen sollen gezeigt werden, darunter etwa John McEnroe, Björn Borg, Novak Djokovic und Michael Stich. Ob und was für eine Gage Becker für diesen exklusiven Einblick in sein Leben bekommt, ist nicht bekannt.

Harry und Meghan machen’s vor

Der Schritt ist nur konsequent. Das Format der Dokumentation hatte sich in den vergangenen Monaten als beliebtes Stilmittel zahlreicher Prominenter entwickelt, um die eigenen kleinen Skandälchen und Reibereien großflächig in der Öffentlichkeit geradezurücken. Toller Nebeneffekt: Mit einem exklusiven Streamingdeal erreichen die Protagonistinnen und Protagonisten nicht nur Millionen Menschen – sie lassen sie sich zudem ausgezeichnet vergüten.

Ein Beispiel dafür ist die Netflix-Produktion über Prinz Harry, seine Frau Meghan und die schlagzeilenträchtige Trennung vom britischen Königshaus. Bereits im Herbst 2020 hatte „Forbes“ berichtet, das Paar habe einen 100-Millionen-Dollar-Deal mit dem Streamingdienst abgeschlossen. Dieser beinhaltet – neben der Doku – offenbar auch eine Reihe von Spielfilmen, Drehbuchshows und Kinderprogrammen.

In der ARD darf derweil Schlagersternchen Vanessa Mai im Rahmen einer dreiteiligen Doku erzählen, wie sie sich aus den Fängen der Schlagerbranche befreite. Mit Journalismus hat all das wenig zu tun – vielmehr ist das Format ein lukrativer PR-Stunt: Die Mai-Doku wurde zum Teil von Freunden der Sängerin gedreht und dann der ARD zur Verfügung gestellt, wie das Medienportal „Übermedien“ herausgefunden hat.

Im Falle Boris Becker dürften das Exklusivinterview und der Doku-Deal nicht die einzigen Einnahmequellen nach seiner Entlassung aus der Haft bleiben. Boulevardmedien berichten, es gebe bereits Pläne für einen Buchdeal, der Becker ebenfalls Millionen einbringen könnte. Selbst hat sich der frühere Tennisstar nicht dazu geäußert.

Insolvent und vorbestraft

Gut gebrauchen kann Becker die Einnahmen allemal. Im Juni 2017 war der frühere Tennisstar für zahlungsunfähig erklärt worden, später wurde Becker wegen Insolvenzverschleppung angeklagt. Er hatte Vermögen im Wert von mehr als einer Million Euro in seinem Insolvenzverfahren nicht offengelegt.

Im Frühjahr verurteilte ein Londoner Gericht Becker zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft. Unter anderem sah die Jury es als erwiesen an, dass der 54-Jährige eine Immobilie in seinem Heimatort Leimen verschleiert und unerlaubterweise hohe Summen auf andere Konten überwiesen hatte. Die Richterin kritisierte zudem, Becker habe während des Prozesses keine Reue gezeigt.

Unmittelbar nach Verkündung des Strafmaßes am 29. April war Becker in Gewahrsam genommen worden – vergangene Woche wurde er schließlich nach Deutschland abgeschoben, der Rest seiner Haft verfällt. Nach Großbritannien zurückkehren darf der frühere Tennisstar frühestens, wenn seine eigentliche Strafe abgelaufen ist.

Die Hälfte behält der Insolvenzverwalter

Immerhin: Mit seiner Entlassung dürfte Becker finanziell wieder einigermaßen auf die Beine kommen.

Im Januar 2021 hatte der frühere Tennisstar in einem Podcast-Interview mit Johannes B. Kerner gesagt, er habe „einen Deal gemacht, bei dem ich die Hälfte meines Einkommens (...) abgeben muss, aber die andere Hälfte kann ich behalten.“ Fallen die Exklusiv-Deals mit Verlagen und TV-Produktionen tatsächlich so hoch aus wie berichtet, dürfte für Becker genügend übrig bleiben.

Bei der Verwaltung der Einnahmen soll laut einem „Bild“-Bericht derweil Beckers Partnerin Lilian de Carvalho Monteiro helfen. Die Risikoanalystin ist demnach Geschäftsführerin der BFB GmbH, die im Sommer 2021 in England gegründet wurde. Becker selbst darf wegen seines Insolvenzverfahrens keine eigenen Firmen gründen.

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