Campus-BahnPolitiker nach Volksentscheid geschockt

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Die Campusbahn bleibt eine Computersimulation – was die Alternativen kosten, weiß zurzeit aber noch niemand.

Die Campusbahn bleibt eine Computersimulation – was die Alternativen kosten, weiß zurzeit aber noch niemand.

Aachen – Die Bürger der Stadt Aachen haben mit ihrer Entscheidung gegen den Bau der Campus-Straßenbahn ihren Stadträten eine schallende Ohrfeige verpasst.

Der Rat hatte das 240-Millionen-Euro-Projekt im Dezember 2012 mit einer 90-Prozent-Mehrheit beschlossen – und damit Ausgaben von 130 Millionen für die Stadt. Doch in nur einem von 82 Stimmbezirken gab es nun eine Mehrheit für die Campusbahn.

Wahlbeteiligung: 43 Prozent

55 000 Aachener (66 Prozent) schoben die Bahn beim Ratsbürgerbescheid aufs Abstellgleis. Politik und Stadtwerke stehen vor einem Scherbenhaufen.

Sie wollten sich mit dem freiwillig veranstalteten Ratsbürgerentscheid (dem anders als beim Bürgerentscheid kein Bürgerbegehren vorausging) den Rücken stärken lassen. Das Gegenteil geschah. Ein Busnetz-Gutachten, das die Stadt in Auftrag gegeben hatte, wurde früh gestoppt, weil man einseitig auf die Campusbahn setzte.

Das Bürger-Nein liegt im Trend. Seit 2007 sind acht von neun Bürgerentscheiden in NRW ähnlich ausgegangen. Die Wähler lehnen die Projekte ab, häufig aus Kostengründen. Auch die Campusbahn hätte den Haushalt der hoch verschuldeten Stadt Aachen jährlich mit vier bis 6,5 Millionen Euro belastet. Die Aachener Ratspolitiker schmollen. Maximilian Slawinski, Gründer der Initiative „Campusbahn = Größenwahn“ nennt sie „schlechte Verlierer“. Die Entscheidung habe nichts mit einem generellen Misstrauen gegenüber Großprojekten zu tun.

Die Ratspolitiker müssten sich fragen lassen, ob sie die Interessen der Aachener vertreten, „wenn sie mit einer 90-Prozent-Mehrheit etwas beschließen, das später von 66 Prozent der Bürger abgelehnt wird“.

Die Finanzierung: Die Campusbahn wird in der ersten Ausbaustufe zwischen der Aachener Uniklinik und dem Stadtteil Brand zwischen 224 und 237,5 Millionen Euro kosten. Davon entfallen 130 Millionen Euro auf den 12,2-Kilometer-Fahrweg, der von Bund und Land mit 80 bis 90 Prozent bezuschusst wird.

Die 25 Züge sollen zwischen 54 und 63 Millionen Euro kosten, der Betriebshof 24 Millionen – das zahlt die Stadt alleine. Der Rest sind Planungs- und Baunebenkosten. Die Stadt rechnet mit den laufenden Kosten für den Betrieb mit 4 bis 6,5 Millionen Euro/Jahr.

Der Zeitplan: Die Aachener entscheiden in einem Bürgerentscheid am Sonntag, 10. März, über die Campusbahn. Rund 193 000 Bürger – alle zur Kommunalwahl Berechtigten – können abstimmen.

Der Bürgerentscheid ist an ein Quorum gekoppelt. In einer Großstadt muss die Mehrheit der Stimmen mindestens zehn Prozent der Stimmberechtigten betragen. Also müssten sich mindestens 19 300 Aachener für oder gegen die Bahn entscheiden. Dann entscheidet die einfache Mehrheit.

Wird das Quorum nicht erreicht, entscheidet der Stadtrat über die Campusbahn. Dort gibt es eine breite Mehrheit (65 zu 8) für den Bau. CDU, SPD, Grüne, Linke und ein Unabhängiger stimmten im Dezember 2012 mit Ja, die FDP und der Vertreter der Piraten mit Nein. Mit dem Bau könnte 2016 begonnen werden. (pb)

Der Rat müsse nachdenken, „ob das Thema Infrastruktur das wichtigste“ ist. Oder ob die Bürger eher interessiere, dass Aachen den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nicht erfüllen könne.

Große Ratlosigkeit

Die Ratlosigkeit bei den Stadträten war auch am Dienstag noch deutlich spürbar. Es sei „offensichtlich schwierig, für große Projekte eine breite Zustimmung zu finden“, sagt CDU-Fraktionschef Harald Baal. Das Projekt sei auch „daran gescheitert, dass wir es nicht geschafft haben, alle Fakten glaubhaft zu vermitteln“, vermutet SPD-Verkehrsexperte Michael Servos.

Und Ulla Griepentrog, Sprecherin der Grünen im Rat, zeigt sich irritiert darüber, dass die Aachener danach entschieden hätten, „ob sie selbst von der Bahn profitieren oder nicht“.

Die Wahlbeteiligung und die Nein-Quote waren dort besonders hoch, wo die Bürger Nachteile befürchteten – in Stadtteilen, in denen es durch die Campusbahn keine direkten Verbindungen mit dem Bus mehr gegeben hätte.

Bundesweit fällt die Bilanz der Bürgerentscheide in 60 Prozent zugunsten der Stadträte aus. Für Thorsten Sterk, Sprecher von „Mehr Demokratie“ liegt der Fehler in NRW darin, dass die Kommunalpolitik sich zu spät einschaltet. Bei großen Vorhaben sei eine frühe Einbeziehung wichtig: „In Reutlingen sind die Bürger vor dem Bau einer Kongresshalle gefragt worden, ob die Stadt überhaupt mit der Planung beginnen soll.“

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