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Clan-Schießerei in NRW„Glaub nicht, ich habe dich vergessen, du Hund“

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Bei den Schüssen auf offener Straße sind vier Menschen verletzt worden.

Duisburg – Der nächtliche Einsatz im Duisburger Stadtteil Hochheide währte nur eine Stunde. Gegen 3.20 Uhr am 5. Mai sprengte ein Spezialeinsatzkommando der Polizei die Tür zur Wohnung einer Zielperson. Die Behörden fahndeten nach Emra D. (Name geändert). Der 38-jährige Türke soll einer der Schützen bei der spektakulären Schießerei auf dem Hamborner Altmarkt am Abend zuvor gewesen sein.

Vor einer Dönerbude war der kurdisch-libanesische Saado-Clan auf meist türkischstämmige Rocker des örtlichen Hells-Angels-Charters losgegangen. Mindestens 19 Schüsse fielen, nahezu 100 Männer prügelten aufeinander ein. Vier Protagonisten kamen mit teils schweren Schussverletzungen in Krankenhäuser. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ sollen zwei mutmaßliche Täter einen angeschossenen Kumpel zu einer alten, kranken Frau in einen Rettungswagen geschoben haben.

Emra D. aber, der zum Saado-Clan zählt, konnte ungehindert abtauchen. Und zwar gemeinsam mit zwei weiteren Tatverdächtigen aus dem Familiensyndikat. Die eigens eingerichtete Mordkommission „Markt“ stellte Recherchen dieser Zeitung zufolge später durch Abfragen fest, dass die Beschuldigten sich längst von Brüssel aus nach Dubai abgesetzt hatten.

Alles zum Thema Herbert Reul

Bislang gibt es noch keine Festnahmen

Die Staatsanwaltschaft Duisburg wollte sich auf Anfrage zu diesem Vorgang nicht äußern. Behördensprecherin Isabel Booz ließ lediglich verlauten, inzwischen seien „drei Schützen identifiziert“. Zu Namen äußerte sich die Staatsanwältin nicht. Bisher gab es auch noch keine Festnahmen.

Auch der flüchtige Emra D. soll zu den Tatverdächtigen gehören. Drei Tage nach den Kämpfen am Altmarkt meldete sich ein Zeuge bei der Polizei. Der Mann wies einen Streifschuss am Rücken auf. Als es losging, habe er D. und seine Familie gesehen. Daraufhin sei er weggelaufen. Am Verteilerkreis will der Zeuge gestürzt sein. Am Boden liegend habe D. auf ihn geschossen.

Insgesamt führen die Strafverfolger nach eigener Aussage inzwischen 51 Beschuldigte in dem Komplex. Wie das NRW-Innenministerium auf Anfrage ergänzte, stammt der Großteil aus der Clan- und Rockerszene. Die Tatverdächtigen wurden auf Grund von DNA-Treffern überführt.

Der Fall genießt in Duisburg höchste Priorität: So wurde der Tatort aus der Luft mit einer Drohne mit Laserscanner vermessen, um etwaige Beweismittel zu erfassen. Zugleich ergründet die Soko Markt nach wie vor die Ursache der Zusammenstöße. Dies sei noch Gegenstand der Ermittlungen, berichtete Staatsanwältin Booz.

Laut Herbert Reul sind die Clans nicht verschwunden

Wie so oft gestalten sich die Nachforschungen im Clan- und Rockermilieu schwierig. Nachdem NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) den Kampf gegen die Clans zur Chefsache gemacht hat, erhöhte sich der Druck gegen die Familiensyndikate an Rhein und Ruhr massiv.

Die Zeit der Straßenschlachten um die Familienehre und Einflussgebiete schien passé. In den vergangenen Wochen ernüchterten gewaltsame Tumulte in Duisburg und Essen mit hunderten Schlägern und zahlreichen Verletzten die Sicherheitsbehörden. „In den vergangenen Jahren sind wir den Clan-Kriminellen immer stärker auf die Pelle gerückt und haben das Problem zunehmend besser in den Griff bekommen“, erklärte Reul dieser Zeitung, „aber zur Wahrheit gehört auch: Die Clans sind nicht verschwunden. Manchmal reicht ein kleiner Funke und eine Situation explodiert.“

Besonders kompliziert stelle sich die Causa für die Ermittler dar, erläuterte der Minister, „wenn es innerhalb der abgeschotteten Familien zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt.“

In Duisburg herrscht seit den Kämpfen auf dem Hamborner Altmarkt Ruhe. Nach wie vor sucht man noch viele Antworten auf Fragen. Kaum einer redet. Einzig die mutmaßliche Clan-Größe Salah Saado ließ sich kurz nach der Schießerei zu einigen Äußerungen herab.

Saado gilt als große Nummer im Ruhrpott. In Videos wird er als „Rücken“ namhafter Gangsta-Rapper wie Kollegah gefeiert. Als „Rücken“ bezeichnen Insider die Beschützer der Sprechsänger. Auf diese Weise wollen Clan-Bosse am Musikgeschäft mitverdienen.

Clan-Größe Salah Saado gerät ins Plaudern

Als die Schüsse am Altmarkt längst verhallt waren, tauchte Saado am späten Abend des 4. Mai laut einem Polizeivermerk am Flatterband auf, der den Tatort weiträumig absperrte. Er wolle nur seinen Mercedes abholen, um nach Hause fahren zu können, beteuerte der Besitzer einer Shisha-Bar in Düsseldorf.

Dann aber geriet der Geschäftsmann ins Plaudern. Der Streit zwischen den Rockern und einem Saado-Familienzweig sei bereits seit Wochen im Gange. Auch über den mutmaßlichen Grund gab er Auskunft: Offenbar soll der Duisburger Rockerboss den späteren Clan-Schützen aus seinem „Club geworfen“ haben.

Seit Jahren hält die Justiz den Hells-Angels-Chef im Blick. Bereits 2015 taucht er in einem Polizeireport auf. Mitunter gab es Zoff mit Clans. Dabei soll es um Drogen gegangen sein In solchen Fällen musste eine Art Friedensrichter die Wogen glätten.

Rocker soll mit einer Pistole auf einen flüchtigen Gegner angelegt haben

Bei der Schlacht am Hamborner Altmarkt wurde ein mutmaßlicher Schütze aus dem Umfeld des Rocker-Chefs ausgemacht. So glauben die Duisburger Ermittler auf Überwachungsvideos lokaler Geschäfte einen Tatverdächtigen der Hells Angels ermittelt zu haben. Die Aufzeichnungen zeigen, wie der 37-jährige Deutsch-Türke mit einem dunklen Gegenstand in Richtung des nahegelegenen Kreisverkehrs zielt.

Die Auswerter gehen davon aus, dass der Rocker mit einer Pistole auf flüchtige Gegner anlegt. Auf dem Überwachungs-Video, das über Mikrofon auch alle Außengeräusche aufzeichnet, sind zur selben Zeit Schüsse zu hören.

Zugleich filterten die Ermittler kompromittierende Gesprächsfragmente heraus. Da brüllt der mutmaßliche Schütze, dass sein Gegner am Boden liege. Der habe geschossen, aber nicht getroffen. Als die Polizeisirene in der Ferne erklingt, erhält der Rocker den Rat, sich doch dringend die Hände waschen zu gehen, um Schmauchspuren zu entfernen.

Drohungen gegen Reporter via TikTok

Wie dreist kriminelle Motorcycle-Gangs und Clans inzwischen vorgehen, belegen Drohungen gegen einen Journalisten. Als ein Boulevard-Reporter über die Hintergründe der Auseinandersetzung berichtete und den Rocker-Chef bei der Schießerei in ein schlechtes Licht rückte, erhielt er „Ansagen“.

Über Tik Tok drohte der 37-Jährige dem Reporter. „Glaub nicht, ich habe dich vergessen du Hund.“ Erstmal müsse er Dinge klären. „Danach kommen wir zu dir – zum Tee trinken.“ Es könne auch sein, dass vorher ein Bruder vorbeischauen werde.

Die Duisburger Polizei nahm den Vorgang so ernst, dass man dem Redakteur riet, zunächst einmal mit unbekanntem Ziel zu verreisen. Zugleich kontaktierte die Kripo den Anwalt des Rocker-Chefs, um ihn davor zu warnen, seine Drohung umzusetzen.

Der Jurist meldete sich zurück und versicherte nach Rücksprache mit der Duisburger Rocker-Spitze, dass der Journalist nichts zu befürchten habe. Auf Anfrage wollte sich der Strafverteidiger nicht dazu äußern.

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Der Duisburger Fall dokumentiert auch, mit welcher Arroganz sowohl Rocker als auch Clans auftreten. Als Polizisten einen der Angeschossenen aufforderten, sein Handy herauszugeben, löschte dieser vor ihren Augen seelenruhig Chat-Nachrichten. Am Telefon hatte er vorher noch geprahlt: Es möge sich niemand freuen, „man sieht sich noch“. Danach erst übergab er den Beamten sein Mobiltelefon.

Nach überstandener Operation schlurfte der Mann aus dem Krankenhaus nach Hause. Bekleidet war er nur mit OP-Latschen und einem Schutzumhang.

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