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Haus der GeschichteWie Deutschland seine Geschichte neu erzählt

4 min
So sahen mal Kinokassen aus: Das Haus der Geschichte präsentiert einen neuen Blick auf die deutsche Geschichte.

So sahen mal Kinokassen aus: Das Haus der Geschichte präsentiert einen neuen Blick auf die deutsche Geschichte.

Die Welt ist kompliziert genug. Das Haus der Geschichte erzählt Deutschland in seiner neuen Ausstellung nun zugänglicher und aktueller – bis hin zu «Klimaklebern». Selbst die Mauer wurde verschoben.

Es ist schade, dass Friedrich Merz das nicht sieht. Der Bundeskanzler, der in seinem Politikerleben schon so manche verästelte Entscheidungsfindung miterlebte, könnte in der neuen Dauerausstellung des Hauses der Geschichte einen Akt radikaler Vereinfachung erleben. 

„Welche Forderung finanzierst Du?“ steht als Frage an der Wand. Es gibt nur drei Auswahlmöglichkeiten: „Militär stärken“, „Wildtiere schützen“ – oder beides je zur Hälfte. Die Besucher nehmen in Original-Bundestagsmobiliar Platz, stimmen ab – und schwups, schon liegt das Ergebnis vor. So rasant fühlt sich Politik sonst eher selten an.

Was spielerisch wirkt, ist Teil eines grundsätzlichen Neuanfangs. Die Dauerausstellung des Hauses der Geschichte in Bonn, ein zentraler Erinnerungsort des Landes, ist vollständig neu konzipiert worden - und lässt ihre Besucher nun richtig mitmachen. Die fiktive Abstimmung im Bundestag ist Teil davon.

Die Idee dahinter: Die deutsche Nachkriegsgeschichte soll fortan zugänglicher, weniger verschachtelt und insgesamt gegenwärtiger erzählt werden - mit viel mehr Möglichkeiten, Politik intuitiv zu erleben. Am Montag wird sie feierlich eröffnet. Eigentlich sollte Merz kommen, der aber kurzfristig absagen musste. Die Festrede hält Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos). Er jubiliert:„Liebe Bundesrepublikaner, es ist wirklich ein Tag der Freude.“

Umbau nach 30 Jahren

Wer das Wort Dauerausstellung hört, bekommt gleichwohl nicht direkt Gänsehaut. Warum ist sie also wichtig? Dazu kann man sich die Dimension vergegenwärtigen. Das Haus der Geschichte sammelt Dinge - sehr viele Dinge. Mehr als eine Million Objekte hat es in der Sammlung, vom Füller, den Wolfgang Schäuble 1990 zur Unterzeichnung des Einigungsvertrags nutzte, bis hin zu Flipperautomaten. Damit soll die Geschichte seit 1945 erfahrbar gemacht werden. Das Interesse daran ist groß - durch die alte Ausstellung streiften seit der Eröffnung 1994 mehr als 14 Millionen Besucher.

Zugleich hatte die alte Schau eine große Unwucht. Nach dem Mauerfall (1989) war man fast schon am Ausgang angelangt - die räumliche Aufteilung der Epochen sah es so vor. 2024 beanspruchten die 35 Jahre nach dem Fall der Mauer so viel Fläche wie die ersten vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Für viele Jüngere wirkte das befremdlich.

Stalin blickt in Richtung eines VW-Käfers - die Geschichte von BRD und DDR wird parallel erzählt.

Stalin blickt in Richtung eines VW-Käfers - die Geschichte von BRD und DDR wird parallel erzählt.

Die Neugestaltung, die mit einem Budget von 25 Millionen Euro Sondermitteln ermöglicht wurde, ist daher kein kosmetischer Umbau, sondern eine neue Perspektive. Die erzählt zugleich viel darüber, wie sich Deutschland heute sieht oder zumindest sehen will.

Mauerfall und Wiedervereinigung wurden vom Ende in die Mitte des Rundgangs gerückt. Die Geschichte nach 1989 wird somit nicht länger auf dem Weg nach draußen erzählt. Zugleich gibt es eine neue Fokussierung, was man schon an der Zahl der Objekte sehen kann. 7000 waren es zuvor - nun sind es 3.850. Der neue Titel ist ein Versprechen: „Du bist Teil der Geschichte.“ Die Ausstellung soll persönlicher werden, weniger abstrakt. Mehr als ein Jahr lang war sie Ausstellung für diese Mission geschlossen worden. 

Zwischen Stalin und Tamagotchi

Was geblieben oder neu hinzugekommen ist, soll helfen, den Alltag vergangener Epochen besser zu erzählen. Etwa die Theke vom „Musikhaus Muck“, an der man sich weit vor der Erfindung der Streamingdienste einzelne Songs anspielen lassen konnte. Oder ein Stadtmodell, das in den 1960ern zeigen sollte, wie Bonn nach einem Atomschlag hätte aussehen können. Von der Decke hängt darüber schwer eine stilisierte Bombenspitze. Subtil ist anders, aber es macht gut begreifbar, worauf man sich im Kalten Krieg vorbereitete. 

Jüngere Generationen werden sich zudem freuen, noch einmal ein altes Klapphandy zu sehen - oder ein Tamagotchi. Selbst die Diddl-Maus, Pausenhof-Ikone der Nullerjahre, hat einen schönen Platz bekommen.

Nicht nur Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Harald Biermann, können nun rätseln, welche Handy sie noch kennen.

Nicht nur Kulturstaatsminister Wolfram Weimer und der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Harald Biermann, können nun rätseln, welche Handy sie noch kennen.

Politik, die man ja auch nie vom Alltag trennen kann, spielt natürlich weiterhin eine dominierende Rolle. Eine mächtige Stalin-Statue starrt über Besucher hinweg - Bundesrepublik und DDR werden parallel erzählt. Die Wahlurne bei der Wahl von Adenauer, die Strickjacke von Helmut Kohl, ein verschlammtes Bundeswehr-Fahrzeug aus dem Afghanistan-Einsatz - wer will, kann einen Crashkurs in deutsche Geschichte machen.

Die „Zeitenwende“ ist nun Zeitgeschichte

Präsenter sind nun etwa die Geschichte Deutschlands als Einwanderungsland und die Klimaproteste. Hinter Glas ist ein Stück Asphalt von der Hamburger Köhlbrandbrücke zu sehen - versehen mit einem Handabdruck aus Kleberesten. Was gestern noch empörte, liegt heute in der Vitrine.

Eine Schallplatten-Theke ist ein besonderer Hingucker der Ausstellung: Besucher können selbst Musik auflegen.

Eine Schallplatten-Theke ist ein besonderer Hingucker der Ausstellung: Besucher können selbst Musik auflegen.

Wenn man schließlich das Manuskript der „Zeitenwende“-Rede von Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) passiert, ist man fast schon am Ausgang angelangt. Scholz hatte die Rede kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 gehalten. 

Es ist nun das letzte große Kapitel der neuen Dauerausstellung. Eines, das sich draußen in der Welt fortschreibt, während man daran vorbeigeht. (dpa)