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Kommentar

Pandemie-Kommission
Das Auftreten der AfD ist inquisitorisch und irreführend

4 min
Professor Christian Drosten (Mitte), Virologe, in der öfffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Rechts neben ihm Johannes Nießen, kommissarischer Leiter des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) und ehemaliger Leiter des Kölner Gesundheitsamts.

Professor Christian Drosten (Mitte), Virologe, in der öfffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission des Bundestags zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Rechts neben ihm Johannes Nießen, kommissarischer Leiter des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) und ehemaliger Leiter des Kölner Gesundheitsamts. 

Professor Gerd Fätkenheuer vom Uniklinikum Köln kritisiert das Auftreten der AfD in der Enquetekommission des Bundestags zur Corona-Pandemie.

Die Enquetekommission des Deutschen Bundestags zur „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“ hat ihre Arbeit aufgenommen. Die 22 Mitglieder – Vertreter der Parteien und Sachverständige – haben bis zum vorgesehenen Abschluss im Jahr 2027 eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Das Arbeitspensum ist gewaltig, die Erwartungen der Öffentlichkeit sind hoch.

Die ersten Sitzungen der Kommission mit geladenen Experten, einsehbar im Internet, hinterlassen insgesamt einen positiven Eindruck. Die Vorsitzende Franziska Hoppermann (CDU) leitet die Besprechungen souverän. Die Diskussion wird weitgehend an der Sache orientiert und ernsthaft geführt. Die Einschränkung „weitgehend“ rührt vom Verhalten der AfD-Vertreter in der Kommission. Mit ihren Ausführungen und mit ihren Fragen zeigen sie, dass es ihnen in erster Linie um persönliche Diskreditierung einzelner Personen sowie um ihre Sicht der Dinge geht, nicht aber um eine offene Diskussion darüber, was während der Pandemie gut oder weniger gut gemacht wurde und was für die Zukunft gelernt werden kann. Sie benutzen häufig eine inquisitorisch anmutende Fragetechnik („Antworten Sie – ja oder nein!“) und setzen besonders gern auf die Methode der Überrumpelung. Experten werden mit Aussagen konfrontiert, die nicht ad hoc überprüfbar sind, auf die aber eine direkte Antwort verlangt wird.

Einzelne Wissenschaftler moralisch in die Pflicht nehmen zu wollen, ist von vorneherein irreführend.
Professor Gerd Fätkenheuer

Ein anschauliches Beispiel lieferte die Sitzung der Kommission am 1. Dezember. Ihr Thema: „Vorsorge, Krisenpläne und Frühwarnsysteme“. Die Vertreterin der AfD konfrontierte einen geladenen Experten damit, dass die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel FDA (Food and Drug Administration) den Tod von zehn Kindern mit der Corona-Impfung in Verbindung gebracht habe. Ob er es denn moralisch verantworten könne, dass auch nur ein einziges Kind an einer Impfung sterbe, lautete die Frage.

Nun erfolgen Empfehlungen zu Impfungen immer aus einer Güterabwägung vielen nationaler und internationaler Expertengremien zum möglichen Nutzen und möglichen Schäden. Einzelne Wissenschaftler hier moralisch in die Pflicht nehmen zu wollen, ist deshalb von vorneherein irreführend.

Befürworter der Impfung sollen als rücksichts- und skrupellos moralisch diskreditiert werden.
Professor Gerd Fätkenheuer

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die in der Frage mitgeteilte Information zum Zeitpunkt der Sitzung sozusagen taufrisch, jedenfalls noch nicht allgemein bekannt war. Es war unmöglich, zu diesem Zeitpunkt einzuschätzen, wie stichhaltig die Behauptung eines impfungsbedingten Kindstods war und ob sie wissenschaftlichen Kriterien genügte. Mit dem Verweis auf die FDA als Quelle sollte hier eine vermeintlich unantastbare Autorität suggeriert und zugleich der Wert der Corona-Impfung insgesamt angezweifelt werden. Zusätzlich sollten Befürworter der Impfung als rücksichts- und skrupellos moralisch diskreditiert werden.

Inzwischen ist bekannt, dass die FDA bisher keine Daten vorgelegt hat, die ihre Aussagen belegen und von unabhängigen Wissenschaftlern überprüft werden können. Jeder Person, die sich ernsthaft nicht nur mit Impfungen, sondern grundsätzlich mit medizinischen Wirkstoffen auseinandersetzt, muss bekannt sein, dass die Beurteilung einer Kausalität von Nebenwirkungen häufig eine komplexe Angelegenheit ist und akribisch geprüft werden muss.

Die ehemals hoch angesehene US-Gesundheitsbehörde FDA ist offensichtlich zu einer Erfüllungsgehilfin der Trump-Regierung umgewandelt worden.
Professor Gerd Fätkenheuer

Das Vorgehen der FDA widerspricht allen Grundsätzen eines guten wissenschaftlichen Arbeitens und zeigt, dass die ehemals hoch angesehene Institution nach der vom amtierenden US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. vollzogenen personellen Umstrukturierung dessen politische Agenda umsetzt. Sie ist offensichtlich zu einer Erfüllungsgehilfin umgewandelt worden, deren primäre Aufgabe es ist, die von Kennedy seit langem verbreiteten Zweifel an Impfungen und seine teils nachweislich falschen Behauptungen zu verbreiten. Als Reaktion auf diese Entwicklung haben sich inzwischen Mediziner und andere Wissenschaftler in den USA zusammengeschlossen, um politisch unbeeinflusste Empfehlungen zu Impfungen an die Öffentlichkeit zu geben.

Was lehrt das Beispiel nun in Bezug auf die Ziele der AfD in der Enquete-Kommission? Offenbar eifert sie Kennedys Vorgehen nach und setzt alles daran, den Nutzen der Corona-Impfung in Zweifel zu ziehen. Hierfür werden einzelne Arbeiten herangezogen, die im Widerspruch stehen zur überwältigenden Mehrheit hochwertiger wissenschaftlicher Studien. Für alle, die sich nicht sehr intensiv mit der Materie befassen können, ist in der Regel nicht direkt zu erkennen, wer Recht hat. Im Zweifel gilt damit das Motto: „Der eine sagt so, der andere sagt so.“

Als anerkannte Richtschnur darf aber gelten, dass den Empfehlungen einer Gruppe aus zahlreichen renommierten Experten mehr zu vertrauen ist als Äußerungen einzelner Personen oder – das kommt jetzt im Falle der FDA leider hinzu – einer Institution, die primär politische Ziele verfolgt.

Die Vorgänge in den USA zeigen auch, wie leicht wissenschaftliche Institutionen instrumentalisiert werden können, wenn der politische Wille und die Möglichkeiten dafür vorhanden sind. Eine Gesundheitsbehörde, die einer von der AfD geführten Regierung unterstünde, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit denselben Bedrohungen ausgesetzt, wie wir sie zurzeit in den USA beobachten können – mit allen daraus resultierenden Folgen: Ausrichtung der Institution an politischen Zielen, Entfernung von ausgewiesenen Experten und Ersatz durch willfährige Personen ohne notwendige Fachkenntnisse, Delegitimierung faktenbasierter Wissenschaft insgesamt. Und schließlich die Umsetzung gesundheitsgefährdender Maßnahmen für die Bevölkerung.

Es gilt, solche Bestrebungen mit allen Kräften bereits im Ansatz zu verhindern.