Ende der Maskenpflicht in Bus und BahnAuf Wiedersehen, Corona-Maske – ein Abschiedsbrief

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In Bus und Bahn kein Muss mehr: die Maske.

In Bus und Bahn kein Muss mehr: die Maske.

Fast drei Jahre ist die Maske unser Begleiter gewesen. Außerhalb von Krankenhäusern und Arztpraxen müssen wir sie nun nicht mehr tragen. Unser Autor sagt Tschüss.

Sehr geehrte Corona-Maske,

am 17. April 2020 saß ich am späten Abend in einem Keller in Norddeutschland. Neben mir, an ihrer Nähmaschine, saß eine Mutter von drei Kindern. Sie nähte nachts. Bunte Masken. Außen aus Baumwolle, innen aus Moltonstoff, waschbar bei 90 Grad. „Ich brauche 14 Minuten pro Maske, inklusive Zuschnitt“, sagte sie. Viele Masken spendete sie. Denn Du, Corona-Maske, warst Mangelware, damals. Bis zu 300 Euro verlangten windige Abzocker bei Ebay für einen einzigen „Mund-Nasen-Schutz“. „Ich sitze hier teilweise bis halb eins nachts und nähe morgens um sieben weiter“, sagte die Maskendesignerin. „Und ich bin nicht allein.“

Das Rattern der Nähmaschinen war der Soundtrack der ersten Corona-Wochen. Neben „Der Mond ist aufgegangen“. Das war damals, vor unendlich langer Zeit, als wir Regenbogen malten und in die Fenster stellten. Als Kinder beim Händewaschen zweimal „Happy Birthday“ sangen und in aufgemalten Kreisen auf Schulhöfen standen. Als Paare sich durch Plastikplanen umarmten. Als noch kein Mensch wusste, was „FFP2″ bedeuten soll. Oder „Reproduktionswert“. Oder „Superspreader-Event“.

Ein Alltagsobjekt verabschiedet sich

Und nun, Corona-Maske, nach gut drei Jahren, ist unsere Zwangsbeziehung zu Ende. Du bist das Symbol einer Menschheitskrise. Du gehörtest zum Alltag: Schlüssel, Portemonnaie, Handy, Maske. Erst warst Du gar nicht lieferbar, dann in Massen: Im Vor-Corona-Jahr 2019 gab die ganze Welt gerade 12 Milliarden Dollar für Masken aller Art aus. 2020 und 2021 waren es dann jeweils 400 Milliarden Euro. Das Dreißigfache.

Du hast Billionen von Geschwistern, Corona-Maske. Sie liegen auf Müllhalden und Gehsteigen, an Stränden, in Gleisbetten und (noch) in Handschuhfächern und kleinen Kisten im Hausflur. Du bist die Ikone einer seltsamen, lauten, leisen, kaputten, anstrengenden Zeit. Du warst eben das Mittel der Wahl gegen diesen vermaledeiten Eindringling, der sich in unsere Körper und Seelen einnistete und uns bedrohte, diesen Gast, der nicht mal ein richtiges Lebewesen ist und bitte in Deinem Zellstoff hängen bleiben sollte, bevor er Schaden anrichten konnte. 120 Millionstel Millimeter klein ist dieses noch immer ätzende Virus, sein Radius tausendmal dünner als ein menschliches Haar, ein Klumpen Nichts, gegen den über Monate vor allem eines half: Du.

Die Maske, ein Maulkorb?

Du und das Virus – Ihr habt uns knapp drei Jahre schmerzvoll daran erinnert, dass der menschliche Körper zwar ein unvorstellbar kraftvolles, aber eben auch verletzliches Wunderwerk ist. Für eine Spezies, die drei Milliarden Jahre Evolution hinter sich hat, haben wir erstaunliche Baumängel. Alle Coronaviren auf der Erde zusammen passen in eine Coladose, hat die Wissenschaft errechnet. 160 Milliliter Giftbrühe. Sie hat uns als Menschen schneller auseinandergetrieben als eine Löwin die Gazellen. Bis wir Angst haben mussten, Nähe zu verlernen.

Es scheint Jahrzehnte her, aber es lag ja ein Gefühl von Zusammenhalt in der Luft, bevor uns der Streit über Sinn und Unsinn der Corona-Bekämpfung entzweite. Die bunten Stoffmasken waren das Sinnbild dieser Zeit. Als medizinische Masken Pflicht wurden, kippte die Stimmung. Ein Vegankoch drehte durch. Ein Schlagersänger folgte. Eine Pandemie des Zorns begleitet Dich seither. Je komplexer die Zeiten, desto irrealer die Erklärungsmuster.

Manche hielten Dich für eine Zumutung. Für einen Maulkorb, verordnet von einem übergriffigen Staat. Die meisten freilich fanden, dass diese Zumutung zumutbar sei in unzumutbaren Zeiten. Einig war man sich darin: dass man an mancher politischen Entscheidung verzweifeln konnte. Und dass Du uns bei dem behindertest, was uns als Menschen ausmacht: atmen, sprechen, singen. Dafür hast Du, davon darf man ausgehen, sehr vielen Menschen das Leben gerettet.

Prävention ist immer unpopulär

Prävention ist immer unpopulär. Ein Schaden, der nie eingetreten ist, weil er verhindert wurde, ist eben unsichtbar. Die Politik hat begonnen, zerknirscht die eine oder andere Fehlentscheidung zu bedauern. Die strengen Ausgangsregeln. Die Schul- und Kita-Schließungen. Die Maskenpflicht freilich gehört zu den Maßnahmen, die noch am breitesten akzeptiert wurden.

Inzwischen aber, Maske, ist es Zeit, Dich zum Accessoire zu erklären. Wie Sonnenbrille oder Schal. Menschen werden sich aus freien Stücken für Dich entscheiden. Denn Du hilfst ja weiter gegen allerhand Übel. Aber dass wir unsere Gesichter wieder sehen können, ist gut.

Es gibt Abschiede, die schmerzen. Dieser nicht. Auf Wiedersehen, Corona-Maske.

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