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Eurovision Song ContestWirbel um die vielen Stimmen für Israel beim ESC

Lesezeit 4 Minuten
Yuval Raphael singt ihren Titel «New Day Will Rise».

Yuval Raphael singt ihren Titel „New Day Will Rise“.

Der Eurovision Song Contest ist vorbei, doch die Debatte um Israel bleibt: Kann das mit den Punkten so hinkommen? Die Veranstalter beruhigen und scheinen dennoch Regeländerungen in Betracht zu ziehen.

Die unerwartet hohe Zahl an Publikumspunkten für Israel beim diesjährigen Eurovision Song Contest sorgt offenbar für Unruhe hinter den Kulissen. Wie die Europäische Rundfunkunion (EBU) in Genf bestätigte, hätten sich mehrere teilnehmende Sender mit Fragen zur Wertung an die Veranstalter gewandt. Man stehe im „engen Austausch mit allen beteiligten Rundfunkanstalten“ und nehme die geäußerten Bedenken sehr ernst, so ESC-Direktor Martin Green laut EBU.

„Jetzt, da die Veranstaltung vorbei ist, werden wir umfangreiche Diskussionen mit den teilnehmenden Sendern führen, über alle Aspekte des diesjährigen Wettbewerbs nachdenken und Feedback sammeln. Das wird in die Planungen des 70. ESC im kommenden Jahr einfließen“, sagte Green weiter.

Televoting beim ESC: Kritik von Sendern an Punkten für Israel

Mehrere beteiligte Fernsehsender haben die Stimmabgabe beim Finale des Eurovision Song Contest in Basel am Samstagabend infrage gestellt. Die spanische Rundfunkanstalt RTVE kündigte an, einen offiziellen Antrag auf Überprüfung des Televotings einzureichen. Auch weitere Länder würden einen solchen Schritt erwägen, da der Eindruck bestehe, dass die Abstimmung durch aktuelle militärische Konflikte beeinflusst worden sei und dies den kulturellen Charakter des Wettbewerbs gefährden könne.

Beim Eurovision Song Contest zählen die Stimmen des Publikums und der nationalen Fachjurys zu gleichen Teilen. Letztere setzen sich aus Musikerinnen, Produzenten und weiteren Branchenprofis zusammen. In diesem Jahr zeigte sich eine deutliche Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Experten und der Publikumsmeinung zum israelischen Beitrag.

Yuval Raphael ist eine Überlebende des Massakers der Hamas

Israel hatte Yuval Raphael zum ESC geschickt. Sie ist eine Überlebende des Massakers der islamistischen Hamas und weiterer Terrorgruppen vom 7. Oktober 2023. Wegen des Gazakriegs, den Israel nach den Anschlägen begonnen hat, gab es immer wieder Proteste gegen die Teilnahme Israels am ESC. 

Raphael erhielt beim Finale für den Song „New Day Will Rise“ 60 Punkte von den Fachjurys der 37 teilnehmenden Länder und landete damit im Ranking nur auf Platz 15, hinter Deutschland (Platz 13). In der Gunst des Publikums stand die 24-Jährige aber laut Messung mit großem Abstand auf dem ersten Platz. Sie erhielt insgesamt 297 Publikumspunkte, was sie in der Gesamtwertung auf Platz zwei katapultierte. 

Der österreichische Sänger Johannes Pietsch alias JJ, Gewinner des Eurovision Song Contest 2025, posiert mit seiner Trophäe nach einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Wien.

Der österreichische Sänger Johannes Pietsch alias JJ, Gewinner des Eurovision Song Contest 2025, posiert mit seiner Trophäe nach einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Wien.

Unterschiedliche Bewertungen durch Jury und Publikum sind beim ESC nicht ungewöhnlich – doch selten ist die Kluft so auffällig wie in diesem Jahr. Zum Vergleich: Der österreichische Sieger JJ erhielt 258 Jury- und 178 Publikumspunkte. Deutschland kam auf 77 Punkte von den Jurys und 74 vom Publikum, was Platz 15 bedeutete. Für einen Schockmoment sorgte die Schweiz: Sängerin Zoë Më erhielt zwar starke 214 Punkte von den Fachjurys, doch vom internationalen Publikum keinen einzigen – ein seltener und deutlich spürbarer Bruch zwischen Expertenmeinung und Publikumsurteil.

Abor & Tynna aus Deutschland mit dem Titel „Baller“ performen beim Finale des 69. Eurovision Song Contest.

Abor & Tynna aus Deutschland mit dem Titel „Baller“ performen beim Finale des 69. Eurovision Song Contest.

Die EBU verweist auf die Firma Once in Köln, die seit Jahren das Televoting für den ESC koordiniert. Sie habe bestätigt, dass die Abstimmungsergebnisse aus allen Ländern korrekt angegeben worden seien. Das Abstimmungsverfahren für den ESC sei „das fortschrittlichste der Welt“, so ESC-Direktor Green. Alles werde geprüft und verifiziert, „um verdächtige oder unregelmäßige Abstimmungsmuster auszuschließen.“ Once habe die Gültigkeit bestätigt.

Ist das derzeitige Abstimmungssystem fair?

Der belgische öffentlich-rechtliche Sender VRT stellte seine künftige ESC-Teilnahme infrage. Es lägen zwar keine Hinweise darauf vor, dass die Stimmenauszählung nicht korrekt durchgeführt wurde, so VRT. Aber die Frage sei, „ob das derzeitige Abstimmungssystem ein faires Abbild der Meinungen der Zuschauer und Zuhörer garantiert“.

Unter anderem hatte der Israeli American Council über Facebook um Stimmen für Raphael geworben. „Sie singt für uns alle“, hieß es da. Neben den Publikumsbewertungen aus den teilnehmenden Ländern gab es auch eine Rubrik „Rest of the World“, in der Menschen in allen Nicht-ESC-Nationen abstimmen konnten. „Rest of the World“ zählte wie das Ergebnis eines Landes.

Kompliziertes Punktesystem

Beim Publikumsvotum erhält der Song, der in einem Land die meisten Stimmen bekam, zwölf Punkte, der nächste zehn und die folgenden acht Songs bekommen Punkte von acht bis eins. 

Auf dem offiziellen EBU-Kanal für den ESC war die israelische Sängerin vor dem Finale in den aufgezeichneten Halbfinal-Sendungen immer wieder in einem Werbefenster zu sehen, mit dem Aufruf, für sie zu stimmen. Kein anderer Interpret war in Werbefenstern vertreten, dort lief sonst nur Reklame etwa für Fast Food und Internetdienste. Seit dem Ende des Wettbewerbs sind die Spots mit Raphael in den Aufzeichnungen nicht mehr zu sehen. Dazu sagt die EBU auf Anfrage, solche Werbung sei nach den ESC-Regeln nicht verboten. 

Auf dem Papier ist der ESC eine völlig unpolitische Veranstaltung, in der es nur um Spaß, Völkerverständigung und den besten Auftritt geht. In Wirklichkeit spielen Ressentiments, Sympathien und kulturelle Nähe beim Voting des Publikums erfahrungsgemäß aber eine offenkundig gewichtige Rolle. (jag/dpa)