Neustart nach der Flut„Abwrackprämie für Häuser würde uns weiterbringen“

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Der erste Wein aus dem Flutjahr: Lukas Sermann mit 2021er Weißburgunder.

Altenahr – Die zweite Preisliste vom Weingut Sermann erzählt viel über das Jahr 2021 an der Ahr. Ob Gypsy One Spätburgunder, Marienthaler Frühburgunder oder Altenahrer Eck Spätburgunder – sie alle sind markiert mit „Ausverkauft“ und dem Zusatz „weggeschwommen am 14.07.2021“. Dezenter lässt sich auf die Flutkatastrophe, die eine ganze Region auf Jahrzehnte verändert und viele Menschen das Leben gekostet hat, kaum hinweisen.

„Ich glaub, da schwimmt grad der Sermann vorbei.“

Da war das Video, das Lukas Sermann an diesem 14.Juli von einem befreundeten Feuerwehrmann erhielt, schon eindeutiger. Während der letzte selbstständige Winzer von Altenahr mit seinem Vater im Obergeschoß eines leerstehenden Hauses festsaß, kommentierte der Feuerwehrkumpel die Bilder der auf den apokalyptischen Ahrfluten treibenden Holzfässer trocken: „Ich glaub, da schwimmt grad der Sermann vorbei.“

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Elmar Sermann reinigt die Kellerei, die kurzzeitig ohne Dach ist

Ein halbes Jahr später ist längst nicht alles gut, aber einige Dinge haben wundersamer Weise doch geklappt. Dass Lukas Sermann vor Weihnachten in seiner Kellerei steht – auf dem Dach der etwa acht Meter hohen Halle hatte nach der Flut ein dicker Baumstamm gelegen – und einige Flaschen 2021er Weißburgunder präsentieren kann, die gerade abgefüllt wurden, ist so ein kleines Wunder.

Solidarische Kunden

„Mein bester Weißburgunder bisher“, sagt der Jungwinzer stolz, und weiß doch: „Ohne diese gigantische Solidarität, ohne die Hilfe von Freunden oder Wildfremden, ohne die Winzerkollegen, die mit Equipment und Tatkraft eingesprungen sind, wäre das nicht machbar gewesen.“ Auch Sauvignon Blanc und Bellabianca sind mittlerweile abgefüllt. Die zweite Füllung Mitte Februar für Riesling wird derzeit vorbereitet. Und auch die Weinkenner zeigen sich solidarisch. „Viele haben Wein bestellt – die wollen den Flut-Jahrgang testen“, sagt Sermann.

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Ein Kölner Schmied hat das Wirtshausschild auf eigene Kosten renoviert - ein Lichtblick in einer Nachbarschaft aus leerstehenden Hausruinen.

Mitte Januar ist die Kellerei kurz ohne Dach. Beim Abriss kommen schlammige Wassermassen aus den Elementen und lassen erahnen, wie es in den leerstehenden Häusern ringsum aussieht. Die Renovierung des Weinguts geht langsam voran. Der Rohbau mit Fenstern ist weitgehend trocken, im Erdgeschoß werden nach und nach die Fundamente erneuert. Die hatten sich mit Treiböl vollgesogen, ein bestialischer Gestank. An der Fassade hängt, frisch vergoldet, der Weinkrug. Das alte Wirtshaussymbol hatte Schmiedemeister Thomas Hecker aus Köln-Worringen gesehen und für überarbeitungswürdig gehalten. Hecker, der auch viel für den Kölner Dom arbeitet, nahm es mit und restaurierte es auf eigene Kosten. Ein kleiner Lichtblick, jetzt erstrahlt es in neuem Glanz.

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Luzia Sermann in der Dachwohnung.

Oben im zweiten Stock sitzen Luzia und Elmar Sermann unter der Dachschräge bei einem schnellen Mittagssnack. Seit Ende November leben sie in der ehemaligen Gästewohnung und sind damit die Einzigen, die aktuell in der Seilbahnstraße wohnen. Alle anderen Häuser, die nicht von der Ahr zum Einsturz gebracht worden waren, stehen leer. Fensterlose Geisterhäuser, die zumal an trüben Wintertagen endzeitlich wirken.

„Die Infrastruktur ist weg"

Das sieht auch Elmar Sermann so. Mit den Fortschritten im Weingut seines Sohnes ist er zufrieden, aber sonst geht ihm alles zu langsam. „Wir hatten hier eine ideale Kombination aus Übernachtung, Gastronomie und dem Reiz des Weinbaus für Wanderer und Radler. Jetzt ist die Infrastruktur weg.“ Schön, wenn die Bahn lauthals verkünde, dass die Ahrtalbahn wieder bis Walportzheim fahren kann. „Zu allem anderen sagen die nichts“, sagt Sermann.

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Die von der Flut zerstörte Eisenbahnbrücke über dem Fluss Ahr in Altenahr.

Es könne doch nicht sein, dass ein behindertes Kind eineinhalb Stunden mit dem Bus nach Neuenahr zur Schule fahren müsse. Und das täglich, klagt er. Auch der Schienenersatzverkehr sei unzureichend. „Bis du mit dem Zug wieder nach Altenahr kommst, kann das noch zehn Jahre dauern.“ Wenn man die zerstörten Brücken vor und hinter dem Altenahrer Tunnel, in Dernau, Rech oder Mayschoß sieht, den weggespülten Bahndamm, dann kann man sich der Vermutung nur anschließen.

Unbewohnte Häuser ringsum

Sermann hält die Verwaltung für überfordert, der Bürgermeister mache das im Nebenberuf. Das Altenahrer Rathaus sei immer noch geschlossen, die Verwaltung umgezogen auf den Berg. „Der Vertrag mit dem ehemaligen Hotel Sonnenschein oben an der Sommerrodelbahn wurde jetzt um ein Jahr verlängert.“ Hoch oben über dem zerstörten Ahrtal würde da jetzt Business as usual betrieben. Schulen wieder aufbauen? Dauert viel zu lange. Camping- und Sportplätze erneuern? Scheitert an nicht umsetzbaren Vorschriften. „Alles wie gehabt: Beim Baustopp sind die fix, aber Bauvoranfragen dauern ewig. „Was wir brauchen, sind Kümmerer, Katastrophenmanager; die mit viel Know-how von außen kommen“, sagt der Winzer.

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Zahlreiche Häuser in der Nachbarschaft wurden zerstört: Luzia Sermann auf ihrer Dachterrasse.

Ganz konkret wird Elmar Sermann bei der eigenen Nachbarschaft und blickt aus dem Fenster auf die Geisterhäuser in der Seilbahnstraße. „Wenn die Ruinen stehen bleiben, wird das hier zum Armenhaus“, sagt er und malt das Bild vom Touristen, der aus alter Verbundenheit zum Weingut kommt, dort alles vorfindet wie früher, aber von der verwüsteten Wildwest-Kulisse drum herum nachhaltig abgeschreckt wird. „Jeder hier wurstelt vor sich hin, auf den Balkonen wachsen schon Bäume. Theoretisch könnten die Häuser 100 Jahre so stehen bleiben.“ Viele Besitzer seien alt und unentschlossen, sagt Sermann. Auch würde oft das Geld für einen Abriss fehlen. Andererseits sei im Grundgesetz festgelegt, dass Eigentum verpflichte. „Eine Abwrackprämie für Häuser würde uns weiterbringen“, schlägt er vor.

Wer sich innerhalb einer Frist nicht zur Instandsetzung entscheide, würde vom Staat für sein Grundstück entschädigt, der auch die Abrisskosten übernähme. „Dann kann man neu planen im Sinne einer modernen, nachhaltigen, hochwassergerechten Stadtentwicklung.“ Und so den Raum schaffen etwa für junge Familien, die sich hier ansiedeln könnten. „Hier stehen 35, vielleicht 40 Häuser, aber wohnen tun hier nur meine Frau und ich.“

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Schuttberge und Ruinen prägen das Bild im Altenahrer Seilbahnstraßenviertel.

Seinen Vorschlag hat Elmar Sermann jetzt auch schriftlich formuliert und an Horst Gies, den 1. Beigeordneten des Kreises geschickt. Gies ist aktuell geschäftsführender Landrat und Kandidat der CDU für die Landratswahl am 23. Januar. Sermann fordert Taten statt Versprechungen: „Alles bleibt provisorisch.“ Mal werde hier ein bisschen gefrickelt, mal da, etwa am Friedhof gegenüber. „Wir müssen mal ein Objekt auf Vor-Flut-Niveau bringen, damit die Menschen sehen: So könnte das in zehn Jahren hier überall aussehen“, schlägt er vor.

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Unterdessen orientiert sich Jungwinzer Lukas Sermann weiter an der Zukunft. Nach einem kurzen Sonnenurlaub mit Freundin Nadja im Süden ist er wieder fast täglich in den Weinbergen unterwegs. Bis die Dunkelheit weiterarbeiten unmöglich macht, schneidet er zusammen mit Winzerfreund Philipp Emmerich im Ahrweiler Rosengarten. Die fast 100 Jahre alten Portugieser- und halb so alten Spätburgunderstöcke hat er von einem Biowinzer übernommen. Was die alten Wurzeln können? „Sie kommen an tiefere Wasserschichten dran, der Organismus hat über Jahre gelernt, anders mit Krankheiten umzugehen, eigene Schutzmechanismen entwickelt“, erzählt Sermann. „Auf die Weinqualität habe das keine signifikanten Ergebnisse, sagt die Wissenschaft. Ich würde sagen, dass ich viel ausgeglichener Weine bekomme. Du hast auf natürliche Weise einen geringeren Ertrag, das bedeutet eine höhere Intensität.“ Aber auch mehr Arbeit. Unten im Tal gehen in Ahrweiler die Lichter an. „Guck mal Richtung Altstadt, da bleibt fast alles dunkel“, sagt er. Die Narben der Flut werden auch in der Dunkelheit sichtbar.

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Ahrwinzer Lukas Sermann will im Frühjahr ein Pop-up-Restaurant in seinem Weingut in Altenahr eröffnen.

Abends beim Wein schmiedet Lukas Sermann neue Pläne. „Wir vergrößern jetzt den Gastraum unten im Weingut“, erzählt er und bekommt ein Leuchten in den Augen. „Wenn der Umbau gut vorangeht, eröffnen wir im späten Frühjahr eine Pop-up-Gastronomie, im Herbst soll ein Restaurant folgen.“ Mehr will er im Moment noch nicht verraten. Aber dass er ein Macher ist, hat Lukas Sermann jetzt ausreichend bewiesen.

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