Interview mit Helge Schneider„Open Air im Winter? Ich mach das!“

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Helge Schneider in Aktion

Helge Schneider in Aktion

  • Helge Schneider spricht im Interview über den Ernst, aus dem Komik entsteht, digitale Mehrarbeit und den Reiz von Open-Air-Konzerten im Winter.

Herr Schneider, hören Sie eigentlich oft die Frage, ob ein Komiker auch ein ernster Mensch sein kann? Schneider: Oft nicht, aber regelmäßig. Gehört denn der Ernst für Sie zur Komik dazu oder gibt es den ernsten Helge und den witzigen Helge? Nein, nein. Ich finde, der Ernst gehört dazu, denn dadurch entsteht ja oft Komik. Oder durch die Absurdität einer Situation. Es gibt viele verschiedene Arten, warum man komisch ist, und viele verschiedene Gründe, warum Menschen lachen.

Wie ist es bei Ihnen?

Ich glaube, ich habe einen großen Horizont. Ich finde nichts langweiliger als Humor, der sich immer nur auf ein Thema beschränkt. Und sich auf Kosten anderer Menschen zu amüsieren ist für mich auch kein Humor. Meine Komik entsteht in mir selbst, und wenn, mache ich mich über mich selbst lustig. Oder ich stelle mich als komische Person dar. Ich improvisiere ja, ich spiegele den Alltag als komische Situation wider. Das ist eine Kunst, die man nicht auf dem Schreibtisch entwerfen kann, sondern die das Leben selbst entwirft. Man muss dann natürlich auch ein Typ sein, der aufmerksam zusieht, zuhört und paradoxe Situationen sofort erfasst und dann auch verarbeiten kann.

Also achten Sie auf das Absurde im Leben?

Ja, das ist aber bei mir kein bewusstes Draufachten, sondern ich bin so. Ich war auch schon als Kind so. Vielleicht liegt es an mir selbst, an meiner Situation als Kind. Denn als rothaariger, dünner, kleiner Junge mit dem komischen Namen Helge bist du sowieso Außenseiter. Und dann muss man irgendwas daraus machen, und ich glaube, ich habe das Beste daraus gemacht.

Der Schriftsteller und Filmemacher Alexander Kluge hat Sie im vergangenen Jahr zu einem Gespräch eingeladen, das hieß: „Komik, eine Zweigstelle der Philosophie“. Wie philosophisch ist denn Komik?

Beides hat viel miteinander gemein. Aber die Komik hält das Denken und das Spekulieren immer am Boden und bringt Philosophie auch den Menschen näher, die sich sonst vielleicht gar nicht für Philosophie interessieren. Sie ist aber auch eine Philosophie.

Weil die Komik auf ihre Art die richtigen Fragen stellt?

Zum Beispiel. Aber auch, indem sie mit Absicht falsche Antworten gibt auf Situationen, auf das Leben. Dann kommt man ja auch ins Nachdenken. Es ist nicht so, dass man sich bei Komik einfach nur auf die Schenkel haut und lacht. Meine Aufgabe ist auch, die Leute zum Nachdenken zu bringen. Aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit mir. Ich stelle mich selbst zur Verfügung, ich bin der Motor in dem Getriebe, der dafür sorgt, dass man über meine Kunst nachdenken kann.

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Sie arbeiten oft mit Alexander Kluge zusammen. Was schätzen Sie an ihm?

Ich schätze an ihm die bedingungslose Freundschaft, das offene Auge, das offene Ohr, das offene Herz. Wir sind ja ungefähr 25 Jahre auseinander. Er ist eine ganz andere Generation. Von ihm kann ich lernen, etwas zu sehen, was ich bislang nicht kannte. Und er bei mir auch. Meine Jugend ist anders verlaufen als seine. Wir sind Freunde, weil wir beide noch Jungs geblieben sind, die experimentieren wollen, und wegen der Phantastereien. Unser eigentliches Alter ist so neun bis zehn Jahre.

Ein schönes Alter. Da darf man noch viele Flausen im Kopf haben. Oder wie man früher sagte: Grillen. Haben Sie gelesen, dass das schöne alte Wort für Wunderlichsein, „Grillenhaftigkeit“, jetzt aus dem Duden gestrichen wurde?

Warum das denn?

Der Duden nimmt mit jeder Auflage neue Wörter auf – wie jetzt etwa Influencer und Flugscham – und schmeißt dafür veraltete Begriffe raus.

Also: Grillen im Kopf ist weg?

Auf jeden Fall die Grillenhaftigkeit.

Die Grille ist ja das Synonym für das spielende Tier. Ich finde: Das gehört sich nicht, solch ein Wort aus dem Duden zu nehmen.

Weil es so ein schöner alter Begriff ist?

Das lasse ich jetzt einfach so stehen: Das gehört sich nicht.

Ein Song Ihres neuen Albums „Mama“ heißt „Ich setz mein Herz bei Ebay rein“. Wie ist Ihr Verhältnis zum Internet?

Das ist gespalten. Auf der einen Seite konnte ich mir bei Youtube Sachen anschauen, die ich sonst nicht hätte sehen können, weil sie der Öffentlichkeit vorher nicht zugänglich waren. Alte Aufnahmen von Louis Armstrong, Thelonious Monk oder Bill Haley und Fats Domino zum Beispiel – alles Musiker, die ich gern mal live gesehen hätte. Das ist die gute Seite.

Und die schlechte?

Mir geht schon etwas auf den Wecker, wenn Leute E-Mails schreiben und denken, man würde sich sofort danach richten. Bei mir geht da ziemlich viel schief. Ich schaue da nicht ständig rein, ich habe auch noch andere Dinge zu tun. Dann muss ich die Leute doch immer wieder auffordern, mich anzurufen und mit mir persönlich zu sprechen. Das Gleiche gilt auch für Whatsapp und so.

Aber die Kommunikation geht dann doch schön schnell.

Ich finde, das ist oft kontraproduktiv. Die Leute denken, ich schreibe schnell mal was und der andere liest das dann sofort und schreibt schnell zurück – und dann wird immer wieder hin- und hergeschrieben. Im Grunde ist es eine Mehrarbeit.

Ist das das Einzige, was Sie stört?

Noch schlimmer ist, dass die Kinder und Jugendlichen mittlerweile von der Idee des Mobilfunks dermaßen besessen sind, dass sie überhaupt nicht mehr telefonieren und nur noch chatten. Und auf Facebook und Instagram posen sie und lassen sich abbilden. Die Kinder und Jugendlichen bauen dadurch Druck auf und spüren auch Druck, bestimmte Aussehensvarianten immer wieder zu generieren. Ich spreche aus Erfahrung, ich habe eine zwölfjährige Tochter. Es ist sehr, sehr schwer, mit dem Thema umzugehen.

Warum?

Wenn du sagst, sie bekommt gar kein Handy, ist sie die Einzige auf dem Gymnasium ohne Mobiltelefon. Das geht auch nicht. Man muss den Kindern schon die Möglichkeit geben, einen vernünftigen Umgang mit dem Gerät zu lernen. Man kann das Handy nicht verbieten. Doch ich halte das alles für eine verheerende Entwicklung, denn daraus resultiert ein verändertes Verhalten der gesamten Bevölkerung. Alle werden permanent mit Nachrichten zugeschüttet, die zum Teil noch nicht mal stimmen. Jeder kann irgendetwas posten.

Sie singen auf Ihrem neuen Album auch von der Liebe im Sechsachteltakt. Unterscheidet die sich von der Liebe im Dreivierteltakt?

Auf jeden Fall. Liebe im Dreivierteltakt, das ist Walzer. Da denke ich an wallende Gewänder und an Sissi. Liebe im Sechsachteltakt hingegen ist mehr so Soul.

Tiefergehender?

Mehr sexy.

Sie haben auf dem ersten Höhepunkt der Corona-Krise ein Video gepostet, auf dem sie sagten, Sie werden nicht vor Zuschauern spielen, wenn diese mit Sicherheitsabstand sitzen müssen, und schon gar nicht vor Autos. Jetzt geben Sie aber wieder Konzerte. Woher kommt dieser Sinneswandel?

Ich habe gar keinen Sinneswandel vollzogen, denn im Autokino vor Autos trete ich auch weiterhin nicht auf. Ich wollte damals darauf hinweisen, dass es nicht gut ist, vor Autos aufzutreten. Ich hatte nicht die Sicherheitsabstände gemeint, sondern habe gesagt: Wenn alle Masken tragen müssen, ist so ein Konzert blödsinnig, weil ich die Leute nicht sehen kann. Deswegen kann ich mir für mich auch nicht ein gestreamtes Konzert vorstellen, denn ich brauche mein Publikum.

Zur person

Helge Schneider, 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren, begann bereits mit fünf Jahren Klavier zu spielen. Die Schule, Lehren und auch das Klavierstudium brach er ohne Abschluss ab. Stattdessen verdingte er sich als Studiomusiker und Stummfilmbegleiter, bevor ihm als „Singende Herrentorte“ der Durchbruch gelang. Fünf Filme, etliche Alben, Bücher, Hörspiele und Tourneen später gilt Schneider als Grand Seigneur des deutschen Humors.

Sie haben die ersten Konzerte schon gespielt. Wie lief das denn ab?

Wir waren in unterschiedlichen Städten, die dann alle auch unterschiedliche Konzepte hatten. In der einen Stadt standen vier Stühle nebeneinander, in der anderen Stadt zwei. Und in der dritten standen zwei Stühle, daneben vier Meter Platz und dahinter auch – also ganz extrem. Aber für meine Kunst war das eine gute Geschichte. Denn ein Publikum, das eine Eigendynamik entwickelt wie bei einem Rockkonzert im Stadion, ist nichts für mich. Dann kann ich nicht mehr mit denen kommunizieren.

Das heißt, Sie wünschen sich auch in Zukunft wieder kleinere Konzerte?

Ich hatte mich sowieso schon nach Situationen zurückgesehnt, die ich am Anfang meiner Karriere erlebt habe, als ich viel weniger Publikum hatte als heute. Da waren die Sachen, die ich machen konnte, wesentlich abgefahrener. Weil ich viel mehr Platz hatte für mich.

Hat sich das Publikum nach der Corona-Zeit im Vergleich zu dem vor der Krise verändert?

Jetzt ist es so: Die Leute sitzen da und sind zwar viel weniger als sonst, aber sie sind sehr aufmerksam und freuen sich. Und ich freue mich auch. Wer weiß, wie es im Winter wird.

Was machen Sie denn dann?

Ich habe mir schon überlegt, ob ich mir einen Anhänger an einen Lkw hänge, worauf ich eine Bühne habe. Dann trage ich unter dem Anzug einen Pullover und trete einfach in der Kälte auf. Das wäre wahrscheinlich die nächste Alternative.

Open-Air im Winter?

Ich mache das.

Das Gespräch führte Kristian Teetz

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