KriminalgeschichteDas Drama um das Lindbergh-Baby

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  • Der erste Alleinflug über den Atlantik nonstop von New York nach Paris im Mai 1927 macht Charles Lindbergh weltberühmt - mit gerade mal 25 Jahren.
  • Vor 90 Jahren wird sein Sohn gekidnappt und getötet. Als Mörder wird ein Deutscher zum Tode verurteilt.
  • Die Nachricht von der Entführung sorgt für Schockwellen in den USA. Die Jagd nach dem Täter ist eine der größten Fahndungsaktionen des 20. Jahrhunderts.

Das Kindermädchen  entdeckt gegen 22 Uhr das leere Bettchen. Schnell ist klar, dass das Kind Opfer eines Verbrechens geworden sein muss. Vor 90 Jahren, es ist der März des Jahres 1932, wird der erst 20 Monate alte Sohn des legendären Fliegers und seiner Frau Anne aus seinem Kinderzimmer im zweiten Stock des Elternhauses in der Nähe von Hopewell (New Jersey) gekidnappt.

50 000 Dollar Lösegeld

Im Zimmer wird eine Lösegeldforderung in Höhe von rund 50 000 Dollar entdeckt. Binnen kurzer Zeit belagern Heerscharen von Reportern das Haus, berichten rund um die Uhr, kämpfen um die besten Plätze, um ein Foto von den verzweifelten Eltern zu schießen. Denn auch fünf Jahre nach seiner Atlantik-Überquerung in 33,5 Stunden mit seiner "Spirit of St. Louis" ist Lindbergh oder "Lucky Lindy", wie ihn seine Fans nennen, immer noch ein Superstar. Der großgewachsene, blonde Mann mit seinem jungenhaften Charme und seine Frau Anne, die ebenfalls als Flugpionierin berühmt ist, gelten als Vorzeige-Traumpaar. Sie sind gern gesehene Gäste bei Spitzenpolitikern und in der High Society. Die Anteilnahme ist enorm, unzählige Menschen bieten ihre Hilfe bei der Fahndung an (in die sich Lindbergh auch immer wieder selbst einschaltet) - darunter ist sogar der berüchtigte Mafiaboss Al Capone, der seine Unterstützung aus dem Gefängnis heraus offeriert.

Kein Lebenszeichen

Doch von dem entführten Kind gibt es kein Lebenszeichen - auch nicht, als die Lindberghs das geforderte Lösegeld schon längst gezahlt haben. Tage und Nächte zwischen Bangen und Hoffen vergehen, ohne die geringste Spur. Dann - zehn Wochen nach der Entführung - entdeckt ein Lastwagenfahrer auf einem Feld nur wenige Kilometer vom Haus der Lindberghs entfernt eine bereits stark verweste Kinderleiche - von Tieren angefressen, mit einem Loch im Kopf. Es ist das Lindbergh-Baby. Die schreckliche Nachricht ist das Topthema in den Radiosendern und auf den Titelseiten der Zeitungen. Eine heiße Spur gibt es allerdings nicht.

Erst zwei Jahre später führt eine Banknote aus dem Lösegeld, das registriert worden war, zur Verhaftung von Bruno Richard Hauptmann - einem 35-jährigen mit gefälschten Papieren aus Sachsen eingewanderten Schreiner. In seiner Wohnung finden die Fahnder weitere Banknoten aus dem Lösegeld. Doch Hauptmann bestreitet das Verbrechen vehement, beschuldigt einen inzwischen nach Deutschland zurückgekehrten und dort verstorbenen Landsmann. Für die Öffentlichkeit steht aber von Anfang an fest: Hauptmann ist der Mörder. Als ihm in Flemington der Prozess gemacht wird, bevölkern tausende Schaulustige den Ort. Der Medienrummel ist riesig. Aufgestachelt durch reißerische Berichte skandieren die Menschen lautstark in Sprechchören "Kill the German" (Tötet den Deutschen).

Lynchjustiz-Hysterie

Bis zur Hysterie steigert sich die Lynchjustiz-Stimmung, als auch noch Bilder des toten Lindbergh-Babys vor dem Justizgebäude kursieren, dessen Sarg aufgebrochen worden war. Aufgrund von Indizien wird Hauptmann schließlich zum Tode verurteilt. Am 3. April 1936 stirbt er im Staatsgefängnis in Trenton (New Jersey) auf dem elektrischen Stuhl. War er schuldig oder Opfer eines Justizirrtums? Letzte Gewissheit gibt es nicht, obwohl vieles dafür spricht, dass er an der Entführung zumindest beteiligt gewesen sein muss.

Lindbergh und seine Frau verlassen danach fluchtartig die USA - Richtung England. Der Medienrummel ist unerträglich worden. Auch fürchten sie um die Sicherheit ihres zweitgeborenen Sohnes Jon. Als Flugexperte ist Lindbergh aber weiter aktiv. Auf Bitte des US-Militärs reist er mehrmals nach Nazi-Deutschland, um sich über die Luftrüstung zu informieren. Dabei trifft er auch Hermann Göring (1893-1946), der dem berühmten Flieger-Ass 1938 den Adlerorden verleiht. Im April 1939 kehrt das Ehepaar Lindbergh wieder in die USA zurück. Doch hier verblasst der Ruhm des Nationalhelden schnell. Sein Engagement gegen den Kriegseintritt der USA und eine judenfeindliche Äußerung katapultieren ihn ins Abseits. Er wird als Nazi-Freund und Antisemit beschimpft. Erst nach dem Krieg, an dem er als Freiwilliger an Luftschlachten gegen die Japaner teilnimmt, wird Lindbergh rehabilitiert.

Schillerndes Doppelleben

Am 26. August 1974 stirbt er mit 72 Jahren in seinem Haus auf Hawaii an Krebs. Erst danach wird bekannt, dass er außerhalb der Ehe mit seiner Frau Anne (starb 2001 im Alter von 94 Jahren), mit der er insgesamt sechs Kinder hatte, ein geheimes Doppelleben führte. Aus den Beziehungen mit zwei Münchener Schwestern und seiner Privatsekretärin stammen noch sieben weitere Kinder.

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