Lottis WeihnachtswunderWie die Gans von einer Kölnerin gerettet wurde

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Zahme Gans: Lotti nähert sich bedenkenlos Gerhard Laukötter, ihrem Gastgeber.

Zahme Gans: Lotti nähert sich bedenkenlos Gerhard Laukötter, ihrem Gastgeber.

  • Vor einem Jahr rettete eine junge Frau aus Köln den weiblichen Vogel vor dem Kochtopf – eine Aktion, die ihr Leben und das der Gastfamilie des Tiers veränderte.

Das Leben an sich ist ein unergründliches Wunder, aber das Dasein der Hausgans Lotti ist gleich ein doppeltes Mirakel. Sie läuft, spielt, schwimmt und faucht nun im riesigen Garten der Familie Laukötter in Oer-Erkenschwick, idyllisch gelegen und umgeben von Wäldern, Feldern und einem vom Grundstück abgetrennten Bach ganz hinten jenseits des Zauns. Die weiße Lotti lebt mit ihrer Freundin Bertha, einer Pommerngans mit grauem Hals- und Brustgefieder, zusammen. Gerhard Laukötter hat den beiden in diesem Jahr extra einen neuen Stall gebaut, mit grünen Jugendstilfenstern an der Seite. Es ist faszinierend zu sehen, wie sehr die beiden Vögel bei den Laukötters Gänse sein dürfen – und vor allem leben.

Denn Lotti hätte es eigentlich schon längst nicht mehr gegeben. Sie war als letzte Bio-Prachtgans des Millianshofs in Euskirchen auserkoren für den Backofen der Familie Nadzeika aus Köln-Junkersdorf, die es bis zum 25. Dezember 2020 gewohnt war, zu Weihnachten mit Freunden und Freuden eine Gans zu verspeisen. Und es schien ja auch alles zu passen: „Eine Gans ist noch da, können Sie haben“, hieß es, als Eva Nadzeika sich nach dem Braten für das Fest telefonisch beim Millianshof in Euskirchen erkundigte. Doch als die Mutter diese Nachricht ihren beiden Kindern mitteilte, regte sich etwas in Lotta Nadzeika, damals 19 Jahre alt.

Bis dahin aß sie immer Fleisch und freute sich auch auf den Gänsebraten zum Weihnachtsfest, doch nun war da nur ein großer Schreck: „Das kann doch nicht sein, dass dieses Tier nur ein paar Monate dafür gelebt hat, dass ihr es getötet zum Essen in Euskirchen abholt.“ Das war der Anfang der Rettungsaktion für Lotti, die Gans mit dem wohl größten Glück der Welt.

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Fühlt sich wohl auf dem Hof der Laukötters in Oer-Erkenschwick: die vor dem Kochtopf gerettete Gans Lotti.

Die Eltern reagierten überrascht, überließen ihrer Tochter aber die Initiative. Denn klar war: Wenn das Tier leben soll, dann bitte woanders, nur nicht hier bei uns. Lotta hatte in der WDR-Sendung „Lecker an Bord“ von den Laukötters, deren Tierliebe und riesigem Gartenareal erfahren, in dem damals noch der alte und blinde Ganter Theo lebte, dazu ein Schaf-Schwesternpaar, etliche Hühner, der Labrador Carlos sowie im Keller auch noch drei Meerschweinchen. Alles harmonisch und draußen mit riesigem Auslauf auf einem 2000 Quadratmeter großen Grundstück.

Gans gekauft

Lotta Nadzeika hat die Telefonnummer der Laukötters recherchiert und dort dann nachgefragt: „Entschuldigung, ich würde gerne einer für den Kochtopf vorgesehenen Weihnachtsgans das Leben retten. Darf ich Sie Ihnen schenken?“ Dazu sollte gesagt sein, dass eine solche Mastgans 70 Euro kostet, und das war auch der Preis, den letztlich Lotta zahlte, um das Tier beim Millianshof lebend auszulösen, um es dann den Laukötters zu schenken. Die schlugen gleich ein, weil sie eine Partnerin für den zehnjährigen streichelzahmen Theo suchten.

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Und tatsächlich: Mutter und Tochter Nadzeika kauften die Gans gackerlebendig auf dem Millianshof, steckten sie in einen Umzugskarton und beförderten sie darin im Kofferraum nach Oer-Erkenschwick im nördlichen Ruhrgebiet. Fahrzeit: eine gute Stunde. Als die beiden dort ankamen, sprang die Gans sofort aus dem Karton, Theo entgegen, es war Liebe.

Im Laufe des Jahres kümmerte sich Theo derart rührend um die neue Mitbewohnerin, dass Lotti sogar an die 20 Eier legte und auch brütete. Doch beim Bespringen im Teich hatte etwas nicht geklappt, Küken gingen aus dieser Liebe nicht hervor.

Zuvor allerdings gab es große Aufregung um Lotti. Kurz nach der Eingewöhnung im neuen Lebensraum, Lotti lebte zunächst im Stall der Hühner, war sie verschwunden. „Ausgebüxt“, wie Anni Laukötter entsetzt feststellte, und das kurz vor Weihnachten 2020. Das Geschenk, die Verantwortung für das Tier, die Gefährtin von Theo einfach als verschwunden zu melden – das überstieg das Vorstellungsvermögen der geschockten Gastmutter. Eine Spur gab es: Lotti muss den Zaun vor dem Bach unterschlüpft haben und dann über das Wasser abgehauen sein.

Großangelegte Suche

Also begann eine großangelegte Suche: Nachbarn, Bauern der Umgebung, Passanten – alle wurden auf Lotti aufmerksam gemacht und darauf, doch bitte Bescheid zu sagen, wenn sich das Tier finde. Dazu kam es sechs Wochen später. Ein Bekannter wies die Laukötters darauf hin, dass er nicht weit von deren Grundstück in einem Tunnel, durch den der Bach fließt, etwas Weißes hat watscheln sehen. Sofortiger Aufbruch.

Und tatsächlich: Es war Lotti. Die Laukötters näherten sich dem Tier von beiden Seiten, ehe Gerhard Laukötter zupacken konnte und der Ausreißerin habhaft wurde. Ab ging es nach Hause, der Zaun war inzwischen gesichert – und Lotti blieb fortan in ihrem neuen Zuhause. Doch bald darauf verstarb nun Theo, der alte Ganter, woraufhin Bertha als Freundin für Lotti hinzukam.

Glücklich durchs Leben watschelnd

Der neue Stall wurde gebaut, die Tiere mögen dieses Versteck, auch wenn sie noch nicht verstanden haben, dass man auch durch die Tür rein- und rausgehen kann. Durchs Fenster zu hüpfen macht ihnen mehr Spaß. Die beiden schätzen sich, die Laukötters dürfen sich ihnen nähern, sie füttern und streicheln. Ja, es ist ein Wunder, dass ein gedachter Braten so glücklich mitten im Leben watschelt.

Und Lotta? Isst seit ihrer Befreiungsaktion kein Fleisch mehr. Bei Nadzeikas wird es auch 2021 und darüber hinaus nie mehr Gans zum Essen geben. Ach ja, in Freiheit kann eine glückliche Hausgans bis zu 15 Jahre alt werden.

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