Corona-ImpfungWas wir mittlerweile über das Post-Vac-Syndrom wissen

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Ein Nachweis über eine Corona-Schutzimpfung wird in ein Impfbuch geklebt.

Ein Nachweis über eine Corona-Schutzimpfung wird in ein Impfbuch geklebt.

Welche langfristigen Beschwerden können die Corona-Impfungen auslösen? Ein Überblick.

Impfungen können Nebenwirkungen verursachen. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern gilt seit Jahrzehnten. Jede Impfung ist ein Eingriff in den menschlichen Körper. Auch die Corona-Impfung ist da keine Ausnahme: Sie kann lokale Impfreaktionen auslösen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Rötungen, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Oder aber schwerwiegende Nebenwirkungen wie Thrombosen – also Blutgerinnsel –, Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen und Anaphylaxie – also eine potenziell lebensbedrohliche allergische Reaktion.

Solche Komplikationen sind zwar sehr seltene Ereignisse, wie der zuletzt veröffentlichte Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zeigt. Dennoch können die Corona-Impfungen langfristige Folgen haben.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat nun Hilfen für Menschen zugesagt, die nach den Corona-Impfungen unter Langzeitschäden leiden. Am Sonntagabend sagte er im ZDF-„heute journal“, dass er ein Programm erarbeiten werde, das die Folgen von Impfschäden untersuchen und die Versorgung der Betroffenen verbessern werde. „Das ist ein Programm, das ich so schnell wie möglich auflegen möchte“, erklärte der SPD-Politiker. „Ich bin quasi in den Haushaltsverhandlungen für dieses Geld.“ Es gehe auch darum, die Expertinnen und Experten in diesem Bereich so zu vernetzen, dass die Wahrscheinlichkeit einer guten Therapie steige.

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Die Langzeitschäden der Corona-Impfungen, zusammengefasst unter dem Begriff Post-Vac-Syndrom, sind noch wenig erforscht. Es gibt inzwischen einige Erkenntnisse zu dem Phänomen, aber genauso viele Forschungslücken. Ein Überblick.

Welche Symptome treten beim Post-Vac-Syndrom auf?

Es gibt keine spezifische medizinische Definition für das Post-Vac-Syndrom. Folglich gibt es auch keine definierten Symptome, die darauf hindeuten. Allerdings gibt es Beschwerden, über die Betroffene vermehrt nach den Impfungen berichten. Dazu zählen Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Atemnot, Herz-Kreislauf- und Bewegungsbeschwerden. Diese Symptome sind recht unspezifisch und ähneln denen von Long Covid, also den Spätfolgen einer Corona-Infektion.

Außerdem ist nicht definiert, wie lange die Symptome anhalten müssen, um vom Post-Vac-Syndrom zu sprechen. Genaue Zahlen, wie viele Menschen am Post-Vac-Syndrom leiden, gibt es nicht – was auch der fehlenden Definition geschuldet ist.

Das Post-Vac-Syndrom ist wohlgemerkt nichts, das nur im Zusammenhang mit dem Coronavirus auftritt. Auch nach anderen Impfungen wie den Grippeimpfungen können langfristige Beschwerden auftreten. Aber weil gegen Covid‑19 sehr viele Menschen innerhalb kurzer Zeit geimpft wurden, fallen seltene Nebenwirkungen nun besonders auf.

Wie häufig sind Impfnebenwirkungen?

Hier muss man zwischen Impfkomplikationen, Impfreaktionen und Impfschäden unterscheiden. Impfreaktionen sind kurzzeitig auftretende Reaktionen auf die Impfungen. Das können zum Beispiel Kopfschmerzen, Gliederschmerzen oder Rötungen an der Einstichstelle sein. Impfreaktionen treten häufig im Zusammenhang mit Impfungen auf. Sie sind ein Zeichen dafür, dass sich der Körper mit den Vakzinen auseinandersetzt. Nach wenigen Tagen klingen sie wieder ab.

Unter Impfkomplikationen werden wiederum alle unerwünschten Arzneimittelreaktionen zusammengefasst, die über die Impfreaktionen hinausgehen. Das können Herzmuskelentzündungen, Blutgerinnsel oder Gesichtslähmungen sein. In seinem aktuellen Sicherheitsbericht nennt das PEI eine Rate von 0,27 Meldungen über Verdachtsfälle von schwerwiegenden Nebenwirkungen pro 1000 Impfungen, die bis zum 31. Oktober 2022 bei Geboosterten auftraten. Das heißt, Impfkomplikationen sind selten bis sehr selten.

Von Impfschäden ist laut Infektionsschutzgesetz dann die Rede, wenn die Impfkomplikationen so gravierend sind, dass sie längerfristig anhalten und nicht von selbst wieder verschwinden. Betroffenen stehen dann Kompensationen zu. Gesundheitsminister Lauterbach spricht davon, dass eine von 10.000 Impfungen zu Impfschäden führe. Belegen lassen sich die Zahlen jedoch nicht. Und sie bedeuten auch nicht, dass einer von 10.000 Geimpften unter dem Post-Vac-Syndrom leidet. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ vom Januar 2023 sind bisher 253 Anträge auf Entschädigungen wegen schwerer unerwünschter Nebenwirkungen bewilligt worden.

Ursache: Wie entsteht das Post-Vac-Syndrom?

Warum Menschen von den Corona-Impfungen langfristige Symptome davontragen, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Es gibt verschiedene Theorien, die in den vergangenen Monaten vermehrt unter Fachleuten diskutiert wurden:

Ein Faktor, der beim Post-Vac-Syndrom eine Rolle spielen könnte, ist das ACE2-Protein. Es ist ein Protein auf der Oberfläche menschlicher Zellen und dient dem Coronavirus als Eintrittspforte. Gleichzeitigt beeinflusst es den Flüssigkeitshaushalt und den Blutdruck des Körpers. Besonders viel ACE2 haben jüngere, sportliche Frauen. Sie sind verhältnismäßig häufig vom Post-Vac-Syndrom betroffen. Die Vermutung ist, dass sowohl eine Infektion mit dem Coronavirus als auch die Impfung das Kreislaufsystem unter Umständen überfordern.

Post-Vac-Betroffene könnten eine Infektionserkrankung gehabt haben, die unbemerkt geblieben ist, das Immunsystem jedoch beansprucht hat. Die Schutzimpfungen könnten dann das Immunsystem zusätzlich belastet haben.

Die Corona-Impfungen könnten eine überschießende Immunreaktion auslösen. So entstehen Autoantikörper, die körpereigenes Gewebe angreifen.

Ursache könnte auch eine frühere Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus sein. Mehr als 90 Prozent der Menschen stecken sich im Laufe ihres Lebens mit dem Erreger an. Kommt man mit dem Virus in Kontakt, bleibt es lebenslang im Körper – und zwar in einer Art Schlafzustand. Die Corona-Impfung könnte das Virus wieder reaktivieren, so eine weitere Vermutung von Post-Vac-Forschenden.

Behandlung: Was hilft gegen das Post-Vac-Syndrom?

Eine Behandlungsleitlinie gibt es für das Post-Vac-Syndrom nicht. Das ist auch der vielfältigen Symptomatik und der fehlenden Ursache geschuldet. Folglich gibt es auch kein Medikament gegen das Syndrom. Ärztinnen und Ärzte können nur versuchen, die einzelnen Symptome zu behandeln.

In ganz Deutschland gibt es bisher nur zwei Anlaufstellen für Post-Vac-Betroffene:

Das Universitätsklinikum Marburg bietet die Spezialsprechstunde Post-Vax an. Betroffene können per E‑Mail an post-covid-impfung.mr@uk-gm.de einen Termin vereinbaren. In der E‑Mail müssen die Kontaktdaten mit Name mit Geburtsdatum und Telefonnummer genannt werden, der Zeitpunkt der Impfung oder der Corona-Infektion, die aktuellen Symptome in kurzen Stichpunkten, der zeitliche Verlauf der Symptome sowie Vorerkrankungen, Allergien und Unverträglichkeiten, ebenfalls in Stichpunkten. 

An der Charité Berlin gibt es eine neurologische Post-Covid‑19-Sprechstunde. Anders als in Marburg werden hier primär Patientinnen und Patienten mit neurologischen Symptomen wie Gedächtnisproblemen, Konzentrationsschwierigkeiten oder Kopfschmerzen betreut. Die Sprechstunden finden wöchentlich online als Videosprechstunden statt und kosten pro Sitzung 220 Euro. 

Sollte man also vorsichtshalber auf eine Corona-Impfung verzichten?

Nein. Langzeitschäden der Corona-Impfungen bleiben sehr seltene Ereignisse. Die Mehrheit der Geimpften entwickelt nur lokale Impfreaktionen, die nach wenigen Tagen wieder abklingen. Die Corona-Impfungen sind auch weiterhin ein sehr gutes Mittel, um schweren Covid‑19-Krankheitsverläufen und Todesfällen vorzubeugen. Mehrere internationale Studien kamen zudem zu dem Ergebnis, dass eine Corona-Infektion ohne Impfschutz deutlich risikoreicher ist als eine Impfung. Zum Beispiel geht eine Ansteckung häufiger mit Herzmuskelentzündungen einher.

Wichtig ist aus Sicht von Lauterbach jetzt, dass die Langzeitfolgen einer Corona-Impfung schneller anerkannt werden. Bisher müssen Betroffene zahlreiche Stationen durchlaufen, ehe das Syndrom überhaupt bei ihnen diagnostiziert wird. Weil das Krankheitsbild immer deutlicher werde, müsse es in Zukunft schneller gehen, die Betroffenen zu identifizieren und ihnen zu helfen, forderte der Gesundheitsminister.

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