Manche „Tatort“-Folgen wurden seit Jahrzehnten nicht mehr gezeigt – wegen Kritik, rechtlicher Probleme oder weil sie der ARD zu heikel waren.
„Giftschrank“11 berüchtigte „Tatort“-Folgen, die die ARD nicht mehr zeigt

Filmszene aus dem legendären „Tatort“-Krimi „Reifezeugnis“ mit Christian Quadflieg und Nastassja Kinski. Ob der Klassiker jemals wieder ausgestrahlt wird, ist unklar. (Archivbild)
Copyright: picture alliance / dpa
Bevor es unter dem Titel „Ich sehe Dich“ am 14. September 2025 nach der Sommerpause mit einem neuen „Tatort“ weitergeht, lohnt sich ein Blick zurück – auf elf Folgen, die sich im berüchtigten ARD-Giftschrank befinden oder seit Jahren nicht mehr zu sehen waren.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Mal gab es Kritik an der Darstellung gesellschaftlicher Gruppen, mal war die Gewalt zu explizit, oder es liegen rechtliche Probleme vor. Manche dieser Fälle schlummern bereits seit Jahrzehnten in den Archiven der ARD, andere sind vergleichsweise neu. Diese elf „Tatorte“ befinden sich aktuell im Giftschrank oder haben einen ungeklärten Status.
„Der Fall Geisterbahn“ (12.03.1972) – Konrad, Frankfurt
Nach der Erstausstrahlung wurde diese nur 73 Minuten lange Folge nie wieder gezeigt. Grund sind ungeklärte Verwertungsrechte, da die Produktionsfirma Horst Film kurz darauf Insolvenz anmeldete. Der HR verzichtete aus rechtlicher Vorsicht auf Wiederholungen. Inhaltlich geht es um einen Mord auf einem Jahrmarkt, der Kommissar Konrad ins Schaustellermilieu führt.

Klaus Höhne war zwischen 1971 und 1973 insgesamt viermal als Tatort-Kommissar Konrad im Einsatz – zuständig für die Frankfurter Fälle des Hessischen Rundfunks. (Archivbild)
Copyright: imago stock&people
Trotz großer Zuschauerresonanz – damals immerhin 59 Prozent Einschaltquote – verschwand der Film im Archiv. Eine Auswertung in Mediatheken oder auf DVD erfolgte nicht. Der Fall gilt bis heute als erster „Tatort“, der im Giftschrank landete. Bei YouTube haben findige „Tatort“-Fans allerdings längst Mitschnitte hochgeladen.
„Ein ganz gewöhnlicher Mord“ (04.02.1973) – Böck, Bremen
Nur ein einziges Mal kam Kommissar Böck zum Einsatz – und das mit Wucht: Dieter Wedels Bremer „Tatort“-Debüt schildert einen Mord nach einem durchzechten Abend, der allmählich in seinen sozialen Dimensionen aufreißt. Die Folge galt als handwerklich stark, aber düster und betont realistisch – inklusive Crossover mit Kommissar Veigl aus München. Einen kuriosen Gastauftritt hatte „Tagesschau“-Sprecherin Dagmar Berghoff als „Tippfräulein“.

Bevor sie „Tagesschau“-Sprecherin wurde, spielte Dagmar Berghoff unter anderem im „Tatort“-Film „Ein ganz gewöhnlicher Mord“ ein „Tippfräulein“. (Archivbild)
Copyright: dpa
Trotz 53 Prozent Marktanteil wurde die Folge erst 27 Jahre später, im Dezember 2000, ein einziges Mal wiederholt. Heute ist sie nahezu vergessen, aber nicht offiziell gesperrt. Ein Fall, der eher unter dem Radar verschwand als aus dem Programm verbannt wurde.
„Reifezeugnis“ (27.03.1977) – Finke, Schleswig-Holstein
Diese legendäre Folge mit Nastassja Kinski als Schülerin wurde jahrzehntelang regelmäßig wiederholt und gilt als eine der besten. Seit 2024 liegt sie jedoch auf Eis, da Kinski juristisch gegen die Ausstrahlung ihrer Nacktszenen vorgeht. Sie war beim Dreh erst 15 Jahre alt, ihre Zustimmung gilt heute als nicht rechtssicher.

Nastassja Kinski in ihrer Rolle als Schülerin Sina Wolf im „Tatort: Reifezeugnis“ (1977). Die Folge war ihr großer Durchbruch als Schauspielerin. (Archivbild)
Copyright: imago images / United Archives
Der NDR verzichtete daraufhin auf weitere Wiederholungen und entfernte die Folge aus der Mediathek. Inhaltlich sorgte das Lehrer-Schülerin-Verhältnis schon damals für Diskussionen. Regie führte Wolfgang Petersen, der später in Hollywood Karriere machte. Ob die Folge erneut gezeigt wird, ist derzeit unklar.
„Mit nackten Füßen“ (09.03.1980) – Sander, Frankfurt
Einmal „Tatort“-Kommissar und dann nie wieder: Volkert Kraeft ermittelte in dieser HR-Produktion erstmals und letztmals als Kriminalhauptkommissar Sander. Trotz hoher Quote von 18 Millionen Zuschauern verschwand die Folge sofort im Archiv. Der Grund: massive Kritik daran, dass ein Epileptiker als potenziell gefährlich dargestellt worden sei.

Volkert Kraeft gilt bis heute als TV-Urgestein. Im „Tatort“ durfte er jedoch nur ein einziges Mal ermitteln. (Archivbild)
Copyright: imago stock&people
Fachverbände protestierten, der HR reagierte – und ließ den Film nie wieder ausstrahlen. Der WDR hatte das Drehbuch zuvor abgelehnt. Kurios: Auf VHS erschien der Krimi später als „Mord ohne Reue“. Auch die Eigenwerbung für andere Serien im Dialog sorgt bis heute für Stirnrunzeln.
„Riedmüller, Vorname Sigi“ (19.05.1986) – Riedmüller, München
Nur einmal durfte Günther Maria Halmer als Kommissar Siegfried Riedmüller ermitteln – und blieb ein Sonderfall in der „Tatort“-Geschichte. Die Geschichte verhandelt den Mord an einer Prostituierten, einen groß angelegten Autodiebstahl und weitere tödliche Verstrickungen in einem Netz aus Erpressung und Verrat. Riedmüller wirkt dabei etwas unbeholfen, nervös und von Gastritis geplagt – ein deutlich untypischer Charakter für die „Tatort“-Reihe jener Jahre.

Großer Schauspieler, aber nur einmal „Tatort“-Kommissar: Günther Maria Halmer (m) in der Folge „Riedmüller, Vorname Sigi“ von 1986 – bis heute ein einmaliger Sonderfall der Krimireihe. (Archivbild)
Copyright: IMAGO/United Archives
Trotz starker Einschaltquote von über 20 Millionen Zuschauern, was einem Marktanteil von 54 Prozent entsprach, blieb es bei diesem einen Fall. Nach der Erstausstrahlung wurde der Film 1988 ein einziges Mal wiederholt. Seither gilt er als die am längsten nicht gezeigte „Tatort“-Folge ohne offiziellen Sperrvermerk.
„Tod im Jaguar“ (09.06.1996) – Roiter und Zorowski, Berlin
Der Einstand des neuen Berliner Ermittlerduos geriet zum Fehlstart: Die Folge wurde nach der Erstausstrahlung nicht wiederholt. Kritisiert wurde unter anderem die klischeebeladene Darstellung eines jüdischen Verdächtigen. Zusätzlich sorgte die sterile Videolook-Optik für Ablehnung – der SFB-Film wurde mit Betacam-Kameras gedreht und wirkte untypisch für die Reihe. Dabei lobte „TV Spielfilm“ den Fall als „verzwickt, explosiv und leider hochaktuell“.

Winfried Glatzeder, einst der „Belmondo des Ostens“, spielte von 1996 bis 1998 den Berliner Kommissar Roiter – später nahm er am RTL-Dschungelcamp teil. (Archivbild)
Copyright: imago stock&people
Inhaltlich ging es um Mord, Politik und Machtmissbrauch im Berliner Establishment. Trotz guter Einschaltquote verschwand der Krimi im Archiv – Winfried Glatzeder durfte als Kommissar Roiter dennoch in elf weiteren Fällen ermitteln. Und machte noch zwei weitere Male Bekanntschaft mit dem Giftschrank.
„Krokodilwächter“ (10.11.1996) – Roiter und Zorowski, Berlin
1996 verschwanden gleich zwei „Tatort“-Folgen im Giftschrank – nach Jahren ohne Sperrvermerk. Neben „Tod im Jaguar“ traf es auch diesen Fall des Berliner Duos. Kritisiert wurden die exzessive Gewaltdarstellung, ein frauenfeindliches Grundmotiv und die ungebrochene Brutalität in Bild und Ton. Der Fall handelt von einer Mordserie an jungen Frauen, bei der ein Täter die Leichen wie Trophäen inszeniert.

Szene aus der „Tatort“-Folge „Die Krokodilwächter“: Winfried Glatzeder (2. v. r.) und Robinson Reichel (r.) ermitteln im Rotlichtmilieu – der Film landete später wegen Gewalt und Sexismus im Giftschrank.
Copyright: imago stock&people
Der SFB reagierte auf die negativen Reaktionen mit einem internen Wiederholungsverzicht. Auch hier verstärkte die Videolook-Optik die Ablehnung weiter Teile des Publikums. Die Folge gilt als eine der umstrittensten der 90er-Jahre-Reihe.
„Ein Hauch von Hollywood“ (13.07.1998) – Roiter und Zorowski, Berlin
Viele „Tatort“-Fans werten diese Folge bis heute als eine der schwächsten der gesamten Reihe. Ein deutscher Hollywood-Star, eine rätselhafte Bedrohung, ein plötzliches Verschwinden – mehr braucht es nicht für einen Fall in der Berliner Filmszene. Doch statt Kino-Atmosphäre bot dieser „Tatort“ erneut kalten Betacam-Look und eine Inszenierung, die bei Kritikern wie Publikum gnadenlos durchfiel. Die Folge wurde verrissen – visuell wie erzählerisch.

Johannes Brandrup spielte im „Tatort: Ein Hauch von Hollywood“ (1998) die Rolle des Roland Haas, einen gefeierten Schauspieler mit Hollywood-Erfahrung, der in Berlin eine Comeback-Pressekonferenz geben will – und plötzlich verschwindet. (Archivbild)
Copyright: imago images/Photopress Müller
Die Folge wurde nach der Premiere nur zwei Mal spätabends wiederholt, zuletzt 2010 im rbb. Mit 1,11 Millionen Zuschauern hält sie bis heute den Negativrekord für eine Erstausstrahlung. Grund war vor allem der Sendeplatz: Montag, 23 Uhr – von der ARD als nicht hauptabendtauglich eingestuft.
„Wem Ehre gebührt“ (23.12.2007) – Lindholm, Hannover
Ein brisantes Thema in der Weihnachtszeit: Die junge Ceyda wird tot aufgefunden, und schnell fällt der Verdacht auf ihre Familie – ein Ehrenmord im alevitischen Milieu? Was als gesellschaftskritischer Film gedacht war, schlug hohe Wellen. Alevitische Verbände protestierten gegen die Darstellung als rückständig und gewalttätig, sogar Außenminister Steinmeier meldete sich zu Wort.

Maria Furtwängler spielt seit 2002 die Kriminalhauptkommissarin Charlotte Lindholm. (Archivbild)
Copyright: dpa
Der NDR stoppte sämtliche Wiederholungen, die Folge verschwand kommentarlos im Archiv. Seitdem gilt „Wem Ehre gebührt“ als Lehrstück für die Risiken kultureller Zuschreibungen im Krimi-Format. Immerhin: Kommissarin Lindholm, seit 2002 gespielt von Maria Furtwängler, durfte weiterermitteln – und tut das bis heute.
„Zwischen zwei Welten“ (21.04.2014) – Flückiger und Ritschard, Luzern
Ein junger Asylbewerber wird tot in Luzern aufgefunden, die Ermittlungen führen tief in ein Geflecht aus Angst, Abschottung und einem schweigenden Behördenapparat. Der Fall war heikel – und wurde es auch für die Macher. Kritiker warfen dem SRF eine einseitige, teils überzeichnete Darstellung von Rassismus und Polizeigewalt vor.

Stefan Gubser und Delia Mayer spielten das Schweizer „Tatort“-Duo Flückiger und Ritschard. Einige ihrer Folgen, darunter „Zwischen zwei Welten“, wurden seit der Erstausstrahlung nicht mehr gesendet. (Archivbild)
Copyright: imago/Future Image
Nach der Erstausstrahlung verschwand die Folge kommentarlos aus dem Programm. Eine offizielle Sperre gab es nie, doch eine zweite Ausstrahlung blieb bis heute aus. Ähnlich erging es den Schweizer Flückiger/Ritschard-Fällen „Freitod“ (2016), „Ausgezählt“ (2019) und „Der Elefant im Raum“ (2019) – auch sie wurden nur unmittelbar nach der Premiere gezeigt. Seitdem herrscht: Sendepause. Fall ungelöst.
„Angriff auf Wache 08“ (20.10.2019) – Murot, Wiesbaden
Ein Einsatz eskaliert: In einer abgelegenen Polizeiwache wird Murot mit anderen von einem schwer bewaffneten Kommando belagert – und gerät in einen Albtraum zwischen Realität und Genre-Zitat. Der hessische „Tatort“ mit Ulrich Tukur wurde bei seiner Erstausstrahlung gefeiert, verrissen – oder schlicht nicht verstanden.

Ulrich Tukur steht auch 2025 wieder als Kommissar Felix Murot für neue „Tatort“-Folgen vor der Kamera – zuletzt wurde in Hessen gedreht. (Archivbild)
Copyright: dpa
Experimentell erzählt, stilistisch kühn und inspiriert vom US-Film „Assault – Anschlag bei Nacht“, spaltete der Film Publikum wie Presse. Im TV lief er nur am Premierentag und in der Nacht darauf. Warum er seitdem nicht mehr ausgestrahlt wurde, bleibt unklar. Auf Streamingplattformen ist er weiterhin abrufbar. In Fanforen gilt er längst als Kult – oder als völlige Entgleisung.