„Der Katastrophenschutz hat gepennt“Flut an der Ahr tötete Feuerwehrfrau

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Mindestens sechs Häuser wurden durch die Ahrflut in Schuld zerstört.

Ende Oktober 2021. Peter Willems (Name geändert), Notfallsanitäter beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) an der Ahr, schildert Beamten aus dem Landeskriminalamt (LKA) Rheinland-Pfalz die dramatischen Stunden in der Flutnacht dreieinhalb Monate zuvor. Ehrenamtlich fungiert Sanitäter Willems als Führer der Schnelleinsatzgruppe (SEG) beim DRK für die Ahreifelstadt Adenau.

Die Einheit versuchte seinerzeit, so viele Menschen wie möglich aus ihren Notlagen zu befreien. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bricht es am Ende der Vernehmung aus dem 32-jährigen Sanitäter heraus: „Der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler hat lange gepennt.“

Bewohner wurden zu spät gewarnt

Die Strafverfolger ermitteln gegen den Leiter des Krisenstabes des Landkreises sowie gegen den damaligen Landrat Jürgen Pföhler (CDU) wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen. Bei der Katastrophe starben 134 Menschen in der Ahr- und Eifelregion. Nach derzeitigem Ermittlungsstand scheinbar auch, weil die Anwohner zu spät durch den Krisenstab vor der tödlichen Flutwelle gewarnt wurden. Die Beschuldigten weisen jegliches Verschulden zurück. Für sie gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.

Helfer wie Willems sind die Helden in der Flut-Nacht des 14. Juli 2021. Es sind die Männer und Frauen der Feuerwehren, des Deutschen Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerks und anderer Hilfsorganisationen, die selbst oft alles einsetzen, um das Schlimmste zu verhindern. Monate später beschreiben führende Einsatzkräfte den LKA-Beamten ihren verzweifelten Kampf gegen die Starkregenfluten.

Das Bild, das die Retter zeichnen, zeigt das eines dilettantischen Krisenmanagements – sowohl was die Ampel-Regierung in Mainz betrifft als auch ihre nachgeordneten Kreisbehörden. Gerade sie sind im Ernstfall die ersten Entscheidungsträger: Laut rheinland-pfälzischem Landesgesetz obliegt der Katastrophenschutz dem jeweiligen Landkreis und den kreisfreien Städten.

Ausrüstung, Einsatzwagen, Technik - überall Mangel

Aber in der Flutnacht fehlt es an allen Ecken und Enden: bei der Ausrüstung, bei den Einsatzwagen, die Kommunikationstechnik ist mangelhaft. Aber auch ein koordinierender Plan, um die Bürger in den Risikoregionen rechtzeitig zu warnen, scheint nirgends entstanden zu sein, wie die Unterlagen zeigen. Fasst man die Aussageprotokolle zusammen, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte, scheinen zahlreiche Rettungseinheiten in jener Nacht des 14. auf den 15. Juli auf sich allein gestellt gewesen zu sein, ein landesweites Krisenmanagement fehlte offenbar vollends. Niemand hatte einen Überblick über die Gefahrenlage. Funk- und Handynetze funktionierten kaum. Rettungshubschrauber konnten wegen des Unwetters nur vereinzelt abheben.

Insgesamt zählen die Ermittler für den Landkreis Ahrweiler mit seinen 130.000 Einwohnern gut 1900 Feuerwehrkräfte. Viele von ihnen gehören den Freiwilligen Wehren an, die das Rückgrat in den meist ländlichen Kommunen bilden. Dazu kommen nochmals hunderte freiwillige Helfer der Deutschen Lebens- und Rettungsgesellschaft bis hin zum DRK.

Eifelort Schuld völlig abgeschnitten

Notfallsanitäter Peter Willems erreicht der Hochwasseralarm an jenem 14. Juli gegen 18.38 Uhr. Willems rast laut eigener Aussage zum Sammelpunkt. Um 19.10 Uhr ist die SEG abfahrtbereit, erste Horrormeldungen treffen ein. Der Eifelort Schuld scheint durch die hereinströmenden Wassermassen völlig abgeschnitten. Die Einsatzkräfte können drei Rettungswagen besetzen, eilen von einem Notfall zum anderen.

Plötzlich meldet sich das DRK Ahrweiler und verkündet, was die Helfer vor Ort längst wissen: „Es läuft ein Katastropheneinsatz.“ Das DRK arbeitet dem Krisenstab zu, der aus einem Keller der Kreisverwaltung heraus alle Hilfsmaßnahmen in der Region steuern soll. Aber offenbar wissen die Katastrophenschützer in ihrem Keller gar nicht, was sich draußen in den Gemeinden abspielt. Nur spärlich treffen dort Meldungen ein, dass die Flutwellen an der Oberahr bereits etliche Gemeinden überschwemmen.

DRK-Koordinator Willems sitzt derweil in Adenau auf einer Bierbank am Funk, um seine Einsatzkräfte in einigen überschwemmten Orten zu lenken. Angesichts der prekären Lage insistiert er bei seinen Vorgesetzten, einen zweiten Einsatzabschnitt Gesundheit in Altenahr aufzumachen Er solle mal nicht so „eine Welle machen“, lautet die lapidare Antwort.

Es scheint, als hätten die Verantwortlichen in Ahrweiler weiter unten am Fluss zu der Zeit nicht gewusst, wie es tatsächlich in den oberen Ahrgebieten aussah. Am späten Abend fällt der Funk aus, das Handynetz funktioniert nicht. Willems fährt noch in der Nacht gen Schuld, wo alles unter Wasser steht. Er macht um 1.23 Uhr ein Foto. Als er zurückkehrt und ihn ein Kollege fragt, wie die Lage sei, entgegnet der Sanitäter: „Schuld ist weg.“

Dabei haben doch viele Anwohner in der Wein-Region den ganzen Tag über geglaubt, dass es nicht schlimmer werden könnte als beim Hochwasser im 2016. Es gab ja auch keine offiziellen Warnungen. Als die ersten Bäche am Nachmittag über die Ufer treten, nehmen manche Bewohner die Lage immer noch nicht ernst. Doch auch eine Retterin kostet diese Lage der Uninformiertheit das Leben.

Campingplatz verweigert Warnruf

Petra Wenter (Name geändert), Zugführerin bei der Freiwilligen Feuerwehr in der Ortsgemeinde Antweiler an der Oberahr, sucht am Nachmittag den Betreiber eines Campingplatzes in der Region auf. Wenter fordert ihn auf, den Platz zu räumen. Der aber weigert sich. Laut ihrer Aussage unterlässt es der Platzbesitzer, der sich auf Anfrage dieser Zeitung nicht äußerte, einen Warnaufruf an seine Gäste weiterzuleiten. „Letztendlich sind dort in dem Bereich am Campingplatz mehrere Menschen verstorben“, berichtet die Wehrführerin den vernehmenden LKA-Ermittlern. „So auch eine Kameradin von der Feuerwehr Barweiler.“

Katharina Kraatz, 19, hat für die Feuerwehr gelebt. Das liegt in der Familie. Der Vater der jungen Frau leitet die Jugendabteilung der Freiwilligen Feuerwehr in Barweiler. Er fährt auch einen Einsatzwagen, der am Katastrophentag den Campingplatz ansteuert. Inzwischen hat sich bewahrheitet, was bereits nachmittags angekündigt wurde: Die Flutwelle bricht sich Bahn.

Katharina Kraatz und ihre Kollegen sollen helfen, den Stellplatz zu räumen. Doch das Wasser rast auf die Einsatzkräfte zu. Ein Hubschrauber schafft es, einen Kollegen Katharinas sowie Campingplatzgäste zu retten. Die junge Wehrfrau kümmert sich indes um eine bettlägrige Seniorin in einem Mobilheim. Die Wassermassen reißen beide fort. So wie auch fünf weitere Menschen auf der Anlage. Drei Tage später wird Katharina Kraatz flussabwärts tot aufgefunden. Für ihre Eltern ist der Verlust bis heute kaum zu verwinden: „Wir sind stolz auf Dich“, heißt es in der Traueranzeige. „Flieg kleiner Engel!“.

Rund um die Uhr sind die Einsatzkräfte in jener Nacht gefordert, riskieren ihr Leben. Informationen über das wahre Ausmaß der Katastrophe fließen nur spärlich oder viel zu spät. Vor den hereinbrechenden Wassermassen können sich zwei Wehrmänner in Ahrweiler nur noch auf einen Baum retten und bitten um Hilfe. In jener Nacht fährt allein die Feuerwehr der größten Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler 1300 Einsätze. Basisstationen des Digitalfunks fallen aus. Ein Mitglied des Krisenstabs der Kreisverwaltung gibt später zu Protokoll: „Die Feuerwehreinsatzzentralen waren massiv überlastet und teilweise nicht mehr funktionsfähig, wie zum Beispiel in Altenahr.“

„Ich hatte das Gefühl, es explodiert hier“

Gegen 19 Uhr muss man dort das Feuerwehrhaus räumen. Da die Internetanzeige des Wasserpegelmessstandes von Müsch weiter oben im Ahrtal ausfällt, werden die Retter in Altenahr durch die heranrauschende Flutwelle überrascht. „Ich hatte das Gefühl, es explodiert hier“, erinnert sich der Bürgermeister Rüdiger Fuhrmann. „Das Wasser ist innerhalb von einer viertel Stunde um einen halben Meter gestiegen. Geparkte Autos sind innerhalb von Minuten weggeschwommen. Es war, als wäre eine Talsperre gebrochen, aber eine solche gibt es hier nicht.“ In jenem Moment sei die Feuerwehr machtlos gewesen, fuhr der Zeuge fort.

Fünf Menschen ertrinken in seiner Gemeinde in den Wassermassen. „Soweit ich weiß, haben sich alle in ihren Häusern aufgehalten“, berichtet der Bürgermeister. Zwei der Häuser seien demnach weggespült worden, „die anderen Menschen sind in den Häusern ertrunken oder wurden rausgespült“, sagt Fuhrmann. „Theoretisch wären alle in der Lage gewesen, sich zu retten, wenn die Leute die Informationen rechtzeitig gehabt hätten.“

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