Syrische GroßfamilieFlüchtlinge im Bürokratie-Dschungel

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Die Kinder haben sich im Rheinland schon gut eingelebt.

Die Kinder haben sich im Rheinland schon gut eingelebt.

Aachen – Nein, es gibt leider keine Neuigkeiten aus Beirut, berichtet die Aachener Lehrerin Dagmar Ahmad am Freitagmorgen. Wenige Tage zuvor, am Montag, ist ihr Mann Mustafa in den Libanon geflogen, um seine betagten syrischen Eltern im Rahmen eines NRW-Flüchtlingsprogramms (siehe "Familiennachzug") nach Deutschland zu holen. Nach dem ersten Termin in der deutschen Botschaft am Mittwoch warten Mustafa Ahmad, der deutscher Staatsbürger ist, und seine Eltern nun auf die Ausreisedokumente - das kann schlimmstenfalls mehrere Wochen dauern. Immerhin, der gefährlichste Teil der Reise liegt hinter den Eltern: eine knapp zweitägige Busfahrt über eine nicht asphaltierte Wüstenpiste von Afrin im Norden Syriens bis nach Beirut.

Mustafa Ahmad kennt die deutsche Botschaft recht gut. Der Gastronom ist im Dezember und Januar bereits zweimal in Beirut gewesen und hat dort 20 syrische Verwandte (vier Schwestern, eine Schwägerin und deren insgesamt 15 Kinder) in Empfang genommen und durch den Dschungel der deutschen Bürokratie bis nach Aachen gelotst. Vier der fünf Familien leben nun seit dem 21. Januar im Haus der Familie Ahmad im Aachener Südviertel. 22 Menschen unter einem Dach. Eine fünfte Familie ist- ebenfalls in Aachen - bei Dagmar Ahmads Schwester untergekommen.

Massentermin beim Einwohnermeldeamt

"Seitdem ist so wahnsinnig viel passiert", sagt Dagmar Ahmad beim Gespräch in Aachen, "wo soll ich anfangen?" Sie berichtet vom Massentermin im Einwohnermeldeamt, mit allen 20 Verwandten, und einer konsternierten Behördenmitarbeiterin, als sie die Frage "Rufen Sie von einem Heim an?" verneint. Mit den Anmeldepapieren und einer Vollmacht geht es dann weiter zum Ausländeramt, dort gibt es die Anträge für die Aufenthaltsgenehmigung. Die nächste Station ist das Sozialamt, wegen der Krankenversicherung. "Nun gibt es Anfang des Quartals für jede Familie einen Krankenschein. Damit können wir zum Hausarzt. Wenn der zum Facharzt überweist, muss ich wieder zum Sozialamt und die Überweisung genehmigen lassen. Das ist sehr aufwendig bei 20 Leuten."

Immerhin kommt die Städteregion Aachen der Familie entgegen - und verzichtet auf die Gebühr für die Aufenthaltsgenehmigung (110 Euro für Erwachsene, 55 für Kinder). Städteregionsrat Helmut Etschenberg stellt klar, dieses "Zeichen der Solidarität" gelte für alle syrischen Flüchtlinge, die von Verwandten aufgenommen werden.

Besonders reibungslos haben sich die vier jüngsten Kinder an ihr neues Leben gewöhnt. Sie besuchen eine städtische Grundschule. Die Anmeldung war kein Problem, "aber auch nur, weil die Rektorin sich so ins Zeug gelegt hat". Der erste kleine Kulturschock: Mit ihrer Schule gehen die Flüchtlingskinder kostümiert im Aachener Rosenmontagszug mit, und bei der internen Karnevalsfeier spielen sie schon bei Sketchen mit. "Sie sind unglaublich wissbegierig. Die sitzen zu Hause und füllen seitenweise ihre Vokabelhefte", sagt Dagmar Ahmad. Mindestens eine Stunde pro Tag erteilt sie den Kindern und den Erwachsenen Deutschunterricht.

"Im Grunde läuft es besser, als ich gedacht hatte", lautet ihre Bilanz zwei Monate nach dem Einzug ihrer Verwandten - mit kleinen Einschränkungen: "Ich finde bei mir in der Küche nichts mehr. Wenn fünf Frauen aufräumen, jede nach ihrem System, dann wird es schwierig." Den Haushalt organisieren die syrischen Schwägerinnen in Eigenregie, am Kühlschrank hängt ein arabischer Wasch- und Putzplan.

Tränen nach Telefonaten in die Heimat

Die heillose Situation in ihrer Heimat schlägt den Verwandten aber nach wie vor aufs Gemüt, erzählt Ahmad. "Wir haben sehr viel Spaß miteinander, aber wir haben auch Abende, da heulen alle und haben furchtbares Heimweh." Dafür sorgten schon die abendlichen Video-Telefonate mit den in Syrien gebliebenen Ehemännern. "Einerseits ist es lebensnotwendig, dass man jeden Tag Kontakt hat, auf der anderen Seite hindert es am Ankommen."

Manchmal ist es eine banale Panne in der Küche, die die Flüchtlinge an Bürgerkrieg und Bombenlärm erinnert. "Einmal sind Maronen im Backofen explodiert, da saßen die Kinder sofort unterm Tisch." Auch Behördengänge seien heikel, hat Dagmar Ahmad festgestellt: "Als ich mit den Frauen beim Einwohnermeldeamt war, waren die klatschnass geschwitzt", so ausgeprägt sei die Angst, "dass da jemand sitzt, der willkürlich entscheidet: Du bleibst - und du nicht."

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