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„Von oben herab“Adveniat kritisiert Merz' Worte über Klima-Gastgeber als symptomatisch

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Bischof Vicente Ferreira aus dem Bistum Livramento, Brasilien, um mit Menschen zu sprechen und ihre Sorgen und Nöte besser zu verstehen.

Bischof Vicente Ferreira aus dem Bistum Livramento, Brasilien, ist Gast der Adveniat-Weihnachtsaktion 2025 Weihnachtsaktion 2025

Vertreter der katholischen Kirche auf der Weltklimakonferenz haben eine klare Meinung zum Ergebnis – und zu den Äußerungen des Kanzlers.

Die Enttäuschung ist Dom Vicente Ferreira und Schwester Elis dos Santos anzumerken, und sie bringen das auch unumwunden ins Wort. Der katholische Bischof aus dem Bistum Livramento im brasilianischen Bundesstaat Bahia und die Ordensfrau aus der Amazonas-Metropole Manaus waren beide zur Weltklimakonferenz COP30 im brasilianischen Belem – der 54 Jahre alte Geistliche als offizieller Teilnehmer, die 37 Jahre alte Ordensfrau als Vertreterin auf der parallel abgehaltenen „Konferenz der Völker“.

Keine Vereinbarung zum Stopp der bedrohlichen Erderwärmung, kein entscheidender Schritt zur Verbannung der fossilen Brennstoffe – aber viel Tamtam um ein aus ihrer Sicht verfehltes Projekt, den vom brasilianischen Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva vorgeschlagenen Regenwald-Fonds. Das ist den beiden katholischen Beobachtern viel, viel zu wenig.

„Vergötterung des Gelds“

Der Fonds soll die Folgen des Raubbaus am tropischen Regenwald, der „grünen Lunge der Welt“, mindern. Deutschland beteiligt sich bis 2035 mit einer Milliarde Euro. Das ganze Modell, sagt Ferreira, folge weiterhin der zerstörerischen „Vergötterung des Gelds“. Erforderlich seien aber eine „ökologische Umkehr“ und eine „solidarische Ökonomie“, wie der verstorbene Papst Franziskus sie in seiner Enzyklika „Laudato si“ propagiert habe. Dafür müssten die Mächtigen der Welt denen zuhören, die am meisten unter den Folgen der Umweltzerstörung leiden. Ihnen will das katholische Hilfswerk Adveniat mit seinen Projekten in Lateinamerika und Ozeanien eine Stimme geben. Zur Eröffnung der diesjährigen Weihnachtsaktion sind Bischof Ferreira und Schwester Elis als Gäste und als Botschafter für die Menschen aus ihrer Region nach Deutschland gekommen.

Schwester Elis Dos Santos (links) im Gespräch mit Kethleen Morase de Souza (28), die getrennten Müll bei Sammelstellen abholt. Das Recyclingprojekt ist Teil des Netzwerks Solidarische Ökonomie, das von Schwester Elis' Casa Amazonica aufgebaut und betreut wird. Die Ordensfrau ist Adveniat-Aktionsgast 2025.

Schwester Elis Dos Santos (links) im Gespräch mit Kethleen Morase de Souza (28), die getrennten Müll bei Sammelstellen abholt. Das Recyclingprojekt ist Teil des Netzwerks Solidarische Ökonomie, das von Schwester Elis' Casa Amazonica aufgebaut und betreut wird. Die Ordensfrau ist Adveniat-Aktionsgast 2025.

Die viel kritisierten, in Brasilien als abfällig wahrgenommenen Worte von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) über die Gastgeberstadt der Weltklimakonferenz haben der Bischof und die Ordensfrau als symptomatisch wahrgenommen für das, was international schiefläuft. „Wir als indigene Menschen müssen feststellen, wie sehr der Blick des globalen Nordens noch die alten Züge des Kolonialismus trägt“, sagt Schwester Elis: „Man schaut von oben herab und gleichsam von außen auf uns und unseren Lebensraum. Dabei ist das Amazonasgebiet, wo die COP30 getagt hat, unser gemeinsames Haus. Den Menschen im Norden fehlt die Verbindung zur Erde, wie wir sie haben. Ihnen fehlt es an Sensibilität. Deshalb bräuchten sie dringend einen Perspektivwechsel, die Bereitschaft zur Veränderung ihres Blicks.“

Adveniat unterstützt Projekte für alternatives Wirtschaften

Was alle davon hätten, wenn der globale Norden den indigenen Völkern, sozialen Gruppen und Bewegungen zuhörten, erläutert Bischof Ferreira mit dem Hinweis, dass der Regenwald dort noch am ehesten intakt, wo die hier traditionell Ansässigen im Einklang mit der Natur lebten – ohne den Zugriff einer nach Rohstoffen und Geld gierenden Wirtschaft. „Wir wollen nicht als kulturelle Requisiten dienen, um internationale Veranstaltungen zu verschönern“, ergänzt Schwester Elis, „sondern als Teil der Lösung an den Verhandlungstischen teilnehmen. Die Antwort sind wir selbst: unser Wissen, unsere Territorien, unsere Spiritualität und unsere Art, uns um das Leben zu kümmern.“

Adveniat unterstützt unter anderem Projekte für ein alternatives Wirtschaften. Indigene Gemeinschaften finden Rückhalt bei ihrem Einsatz für den Schutz der Menschenrechte, des Rechts auf Land und sauberes Wasser und im Kampf gegen zerstörerische Eingriffe nationaler und multinationaler Konzerne mit Billigung der Regierungen.

Deutschland, findet Bischof Ferreira, müsste hier deutlicher Stellung beziehen, sich stärker einsetzen. Das Know-how und technische Mittel zu einem ökologischen Umbau seien vorhanden, lobt er. Und es gebe gute, gewachsene Verbindungen nach Deutschland – auch durch Aktivitäten wie die von Adveniat. „Aber der Fokus auf die Notwendigkeit der ökologischen Transformation ist verloren gegangen, weil Deutschland derzeit so sehr mit dem Krieg in der Ukraine und Fragen der eigenen Sicherheit beschäftigt ist.“

Tagebau von Brazil Iron in unmittelbarer Nachbarschaft einer von Bischof Vicente Ferreira, dem Adveniats-Aktionsgast 2025, betreuten Gemeinde in der brasilianischen Diözese Livramento

Tagebau von Brazil Iron in unmittelbarer Nachbarschaft einer von Bischof Vicente Ferreira, dem Adveniats-Aktionsgast 2025, betreuten Gemeinde in der brasilianischen Diözese Livramento

Ferreira selbst kämpft seit Jahren gegen die verheerende Ausbeutung des Regenwalds und insbesondere gegen den Abbau von Eisenerz. Allein in der Amazonasregion gibt es mehr als 45.000 Bergbauprojekte, die bereits in Betrieb sind oder angemeldet wurden. Mehr als 21.000 davon befinden sich in Umweltschutzgebieten oder auf dem Land indigener Völker.

Vor seinem Wechsel nach Livramento war Ferreira als Weihbischof in Brumadinho eingesetzt, wo 2019 das Rückhaltebecken einer Eisenerzmine des brasilianischen Bergbaugiganten Vale barst. Die ins Tal stürzende Schlammlawine tötete fast 300 Bewohner, begrub Häuser und Felder unter sich. Ferreira kümmerte sich damals um die Angehörigen der Opfer und verlangte in ihrem Namen Gerechtigkeit. Auf staatlicher Seite läuft zur Aufarbeitung der Katastrophe von Brumadinho derzeit noch ein Verfahren gegen den deutschen Tüv Süd.

Den Einfluss der katholischen Kirche und ihrer Haltung zur Umwelt- und Klimapolitik sieht Ferreira differenziert. Auch in der Kirche gebe es „zwei Strömungen“. Die eine folge der Spur von Papst Franziskus mit seiner Kritik am neoliberalen, kapitalistischen System und einer „Wirtschaft, die tötet“. Die andere – tue das nicht und leugne die Umweltprobleme.

Solche „verschlossenen, undemokratischen Tendenzen“ in der Kirche wie in der Gesellschaft begünstigten ausbeuterisches Handeln, ohne sich um ethische, ökologische und humanitäre Kriterien zu kümmern. „Leider sind auch Teile unserer Kirchen gegenüber all dem gleichgültig.“ Aber diese konservativen Extreme müssten durch die „Prophezeiung von Papst Franziskus“ überzeugt werden: „Es wird unerlässlich, ein Rechtssystem zu schaffen, das unüberwindliche Grenzen enthält und den Schutz der Ökosysteme gewährleistet, bevor die neuen Formen der Macht, die sich von dem techno-ökonomischen Paradigma herleiten, schließlich nicht nur die Politik zerstören, sondern sogar die Freiheit und die Gerechtigkeit.“

Dabei sei eines ganz sicher, betont Schwester Elis: Die Welt hat keine Zeit mehr zu verlieren – und eine Erneuerung aus christlichem Geist würde ihr guttun. „Vielleicht rennt uns die Zeit davon. Aber solange wir leben und die Welt existiert, ist es nicht zu spät.“


Die bundesweite Adveniat-Weihnachtsaktion wird am 1. Advent, 30. November, in Mainz eröffnet. Die Weihnachtskollekte am 24. und 25. Dezember in allen katholischen Kirchen Deutschlands ist für Adveniat bestimmt.

www.adveniat.de

Ebenfalls am 1. Advent startet die Weihnachtsaktion 2025 des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“. Sie steht unter dem Motto „Kraft zum Leben schöpfen“. (jf)

www.brot-fuer-die-welt.de