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AfD in NRWParteitag in Kalkar wird zum Showdown der Lager

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Rüdiger Lucassen wurde zum Landessprecher der Alternative für Deutschland (AfD) gewählt.

Kalkar – Selbstbewusst tritt Rüdiger Lucassen am Samstagnachmitttag im „Wunderland“ von Kalkar vor die Kameras. Der anthrazitfarbene Anzug sitzt akkurat. Die Sätze des 68 Jahre alten Oberst a. D. sind kurz und präzise. „Dieses Ergebnis sendet ein klares Signal“, sagt er. Vor ihm stehe nun eine „herausfordernde Tätigkeit“.

Mit der Wahl des AfD-Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Euskirchen zum neuen Landessprecher dürfte der erbittert geführte Richtungskampf innerhalb des NRW-Landesverbands zumindest vorerst beendet sein. Mit knapp sechzig Prozent erreichte der als gemäßigt geltende verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion bereits im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit. Für Kontrahent Thomas Röckemann, Sympathisant des rechtsnationalen Flügels, stimmten fast 40 Prozent. Es habe in den vergangenen Monaten viel Unruhe im Landesverband gegeben, sagte Lucassen. „Ich werde die Partei in ruhigere Fahrwasser führen.“

Niederlage für den Flügel

Der Parteitag im „Wunderland“ von Kalkar, einem Erlebnisparkt auf dem Gelände des nie in Betrieb genommenen Kernkraftwerks „schneller Brüter“, war im Vorfeld zum Showdown zwischen den Strömungen erklärt worden. Schon einmal trafen sich hier am Niederrhein die rund 500 Delegierten. Das war im Dezember 2017, der Parteitag brachte damals eine Doppelspitze aus dem als gemäßigt geltenden Helmut Seifen und dem Flügel-Sympathisanten Röckemann hervor. Die Strategie, mit Repräsentanten beider Lager konstruktiv Politik zu betreiben, scheiterte grandios.

Die unheilige Allianz entwickelte sich zu einer öffentlich ausgetragenen Schlammschlacht und endete furios vor drei Monaten bei einem außerordentlichen Parteitag in Warburg. Damals waren neun der zwölf Vorstandsmitglieder zurückgetreten, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Auch Landessprecher Seifen hatte sein Amt niedergelegt. Röckemann und seine beiden Mitstreiter Christian Blex und Jürgen Spenrath indes verweigerten einen freiwilligen Rückzug. Der Versuch der Abwahl scheiterte an der Zwei-Drittel-Mehrheit. Das Treffen endete im Desaster, seitdem führte der dreiköpfige Rumpfvorstand den mit etwa 5300 Mitgliedern größten AfD-Landesverband in Deutschland.

Höcke im Hintergrund?

Schon damals wurde gemunkelt, die Thüringer Flügel-Ikone Björn Höcke habe Röckemann und die beiden anderen zur Blockade animiert. Und auch in Kalkar wurde spekuliert, Höcke könnte hinter den Kulissen eine Strategie entworfen haben. Die mutmaßlich gemäßigten Kreise hatten schon lange die Einflussnahme des Thüringer AfD-Landeschefs Höcke auf den verbliebenen NRW-Landesvorstand beklagt. Selbst Sitzungen der Fraktion seien via Handy heimlich live nach Thüringen übertragen worden, sagte ein Delegierter dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Röckemann dagegen wies eine zu große Nähe zum Flügel-Boss zurück. „Wir telefonieren kaum“, sagte er. Ohnehin würde er sich eine Einmischung eines anderen Landesverbands verbitten.

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Röckemann und den Strategen des Flügels dürfte allerdings klar gewesen sein, dass der Landessprecher den Weg zu Neuwahlen nicht ein weiteres Mal würde blockieren können. Also trat er zu Beginn des Parteitags zurück und stellte sich erneut zur Wahl.

In Kalkar schlug Röckemann, der sich bislang vor allem mit hetzerischen Aussagen in die Schlagzeilen beförderte, verblüffend gemäßigte Töne an. Er bittet die Delegierten, „ein Leuchtfeuer der Einigkeit” zu entzünden gegen den „linksgrünen Lügenmainstream”. Er sprach vom kleinen Bächlein, das auf seinem Weg zur Flusswerdung viele Widerstände zu überstehen habe und auch unterschiedliche Strömungen herausbilde. Am Ende aber münde der Fluss samt all seiner Arme in ein gemeinsames AfD-Meer. Dort, schwärmte der Ostwestfale wie nach einem Nahtoderlebnis, herrsche schließlich Einigkeit. Genutzt hat ihm die esoterische Schmuserei nicht. „Wir werden jetzt sehen, ob ich die Mehrheiten so halten“, sagte Röckemann nach seiner Niederlage. Persönlich aber fühle er sich nun „erleichtert“.

Stimmungstest der Rechtspopulisten

Die Signalwirkung des NRW-Parteitags war von der AfD hoch gehängt worden. Nicht nur für Flügel-Boss Höcke, der in Thüringen kurz vor der Landtagswahl steht, auch für den Bundesvorstand sollte das Treffen als Stimmungstest herhalten. Die Berliner Chefetage entsandte Alice Weidel ins Wunderland, um den Delegierten ins Gewissen zu reden. „Euer Landesverband ist mächtig, er trägt große Verantwortung“, sagte Weidel. „Hier und heute müssen wir den Neustart leben. Weckt den schlafenden Riesen“, blies Weidel ins Mikrophon. Tosender Applaus. Mit wem sie es denn halte, mit den Gemäßigten oder den Flügelanten, wollte Weidel nicht sagen. „Ich habe keinen Favoriten, ich bin indifferent“, sagte sie.

Auch Lucassen behauptet, keinem der Lager anzugehören. Er wolle nun integrieren und versöhnen. Auch Anhänger des Flügels seien willkommen, „wenn sie denn nach vorne schauen und keine rückwärtsgewandte Politik betreiben“. Bleibt die Frage, wie weit der Offizier bei seiner Handreichung gehen wird. Immerhin sind nach Informationen dieser Zeitung allein bei seinem Landesverband mehr als 80 Schiedsverfahren gegen Mitglieder der AfD anhängig. In vielen Fällen geht es um Parteiausschlüsse wegen zu radikaler Äußerungen. Querschüsse aus dem Landesvorstand wird Lucassen vorerst wohl nicht fürchten müssen. Vor seiner Wahl hatte er zur Bedingung gemacht, die Doppelspitze abzuschaffen, um den Landesverband allein führen zu können. Dem entsprechenden Antrag wurde stattgegeben.